Regierungen sollen Patente vorübergehend leichter umgehen können

Regierungen sollen Patente von Pharmafirmen vorübergehend leichter umgehen können, um Menschenleben zu retten. Darauf hat sich die Welthandelsorganisation vergangenen Freitag geeinigt. Während die Bundesregierung sich mit dem Durchbruch zufrieden zeigte, kritisierten sowohl die Pharmaindustrie als auch Gruppen der Zivilgesellschaft die Vereinbarung.

Die 164 Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) haben sich nach langem Ringen vergangenen Freitag auf eine Vereinbarung zur Produktionsausweitung von Corona-Impfstoffen geeinigt. Das Bundeswirtschaftsministerium lobte die neue Patentvereinbarung der WTO, bekannt als „Trips waiver“ – also Einschränkungen des Trips-Abkommens über geistiges Eigentum. Regierungen könnten damit gegen den Willen von Pharmafirmen etwa Zwangslizenzen für die Produktion von COVID-19-Impfstoffen erteilen, ohne den Schutz geistigen Eigentums generell infrage zu stellen, wie der deutsche Staatssekretär Udo Philipp sagte. Zwangslizenzen waren auch vorher möglich, aber sie gehen nun in Teilbereichen etwas weiter. 

Auch Südafrika begrüßte die Vereinbarung als „solide und nützliche Grundlage“, um Herstellungskapazitäten für Impfstoffe in Afrika zu entwickeln.

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Der Pharmaverband IFPMA äußerte sich hingegen enttäuscht. Es sei ein gefährliches Signal an die Wissenschaft. Volle Patentrechte seien nötig, um Innovationen hervorzubringen. Ähnlich äußerte sich die deutsche Pharmaindustrie. „Hier wird das Patentrecht politisch instrumentalisiert, statt die Probleme anzugehen, die wirklich existieren“, sagte der Präsident des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller, Han Steutel. Die Produktion der Corona-Impfstoffe sei nicht mehr das Problem. Vielmehr gebe es ein Überangebot. Durch Lockerungen des Patentschutzes würde höchstens noch mehr auf Halde produziert.

Der Mainzer Corona-Impfmittelhersteller Biontech erklärte, dass Patente nicht der „limitierende Faktor“ für die Produktion oder Versorgung mit Corona-Impfstoff seien. Das Unternehmen hätte aktuell zusätzlichen Impfstoff auf Lager. Wichtiger als die Patentfrage sei der Aufbau einer Versorgungskette, die die Herstellung, die Verteilung und die Aufklärung rund um die Medikamente umfasse. „Deshalb arbeitet Biontech am Aufbau von regionalen Produktionskapazitäten“, betonte das Mainzer Unternehmen. Der Bau der ersten Produktionsstätte in Afrika starte in der kommenden Woche offiziell in Ruanda und werde von Regierungen sowie internationalen und nationalen Organisationen gemeinsam gestemmt.

Ohne Medikamente und Diagnostika – wirkungslose Vereinbarung?

Organisationen wie die People’s Vaccine Alliance oder Oxfam kritisierten die Vereinbarung dagegen als wirkungslos, auch weil sie nur Impfstoffe und keine Medikamente und Diagnostika umfasst. Von der ursprünglichen Forderung nach Aufhebung der Patente sei durch viele Auflagen wenig übrig geblieben. „Es ist beschämend, dass die WTO-Mitglieder dem Versuch, eine strauchelnde Institution und obszöne Unternehmensgewinne zu retten, Vorrang vor der Rettung von Menschenleben gaben“, meinte Melinda St. Louis von Public Citizen. Besonders die EU habe eine echte Aufhebung von Patentrechten blockiert.

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Auch die Ärzte ohne Grenzen sehen wenig Nutzen: „Die Maßnahmen werden weder gegen Pharmamonopole vorgehen noch einen erschwinglichen Zugang zu lebensrettenden medizinischen Hilfsmitteln gewährleisten.“

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