Mein liebes Tagebuch

Lauterbach wird Mister 50 Cent: Es sind gerade mal 50 Cent, die uns der Bundesgesundheitsminister mit seinem Engpass-Gesetz anbietet. 50 Cent, um einen Riesenberg an Arbeit zu stemmen und die Lieferengpässe zu managen. Das lässt auch die ABDA nicht kalt: Dieses Angebot ist ein Affront, eine Missachtung, eine Herabwürdigung, ein „schamloser Betrag“. Richtig, und jetzt? Geht es uns so wie mit der Erhöhung des Kassenabschlags? Und noch ein Affront: Im Beipackzettel soll gegendert werden, aber nur bei den Ärztinnen und Ärzten. Wenn wir Apothekerinnen und Apotheker zu Risiken und Nebenwirkungen gefragt werden sollen, dann soll es heißen: „Fragen Sie in ihrer Apotheke“. Eine größere  Geringschätzung unseres Berufes gibt es kaum.

13. Februar 2023

Bitte, mein liebes Tagebuch, du musst jetzt ganz stark sein, denn: Es kommt ein neues Gesetz, der Referentenentwurf liegt nun vor. Und so soll das Gesetz heißen: „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“, kurz (ALBVVG). Mit diesem Gesetz, das hat unser Bundesgesundheitsminister versprochen, will er die Lieferengpässe bekämpfen. Wird er es mit diesem Mangelverwaltungsgesetz (das wäre eindeutig der bessere Name dafür) schaffen? Geplant ist ein Sammelsurium an Maßnahmen, es sollen diverse Vorschriften im Sozialgesetzbuch V, Arzneimittelgesetz, Apothekengesetz, in der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung geändert werden. Vorgesehen sind z. B. viele strukturelle Maßnahmen im Generika-Bereich. Betroffen ist davon die Pharmaindustrie, es werden Anreize geschaffen, dass Arzneistoffe wieder vermehrt in der EU hergestellt werden. Außerdem soll z. B. eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung eingeführt werden. Und mit mehreren Maßnahmen soll die Versorgung mit Kinderarzneimitteln verbessert werden. Aber klar, auch die Apotheken kommen nicht ungeschoren davon. Das BfArM wird eine Liste der aktuellen Lieferengpässe bei Arzneimitteln mit versorgungsrelevanten und versorgungskritischen Arzneimitteln veröffentlichen. Und diese Arzneimittel sollen die Apotheken dann leichter austauschen können. Mehr Austauschmöglichkeiten sind dann auch bei der Packungsanzahl, der Entnahme von Teilmengen und in Bezug auf die Wirkstärke vorgesehen ohne Rücksprache mit der Arztpraxis. Und wenn eine Apotheke bei betroffenen Arzneimitteln stückelt, dann muss auch die Patientenzuzahlung bei Abgabe von Teilmengen angepasst, sprich prozentual reduziert werden. Was kommt da auf uns zu, mein liebes Tagebuch? Wieder mehr Arbeit. Aber es gibt ja auch mehr Honorar dafür: Wenn Apotheken einen Austausch bei betroffenen Engpass-Arzneimitteln vornehmen, ist das unserer Regierung satte 50 Cent mehr an Honorar wert! Krass, oder? 50 Cent mehr für diese Maloche, die uns Nerven und Zeit kostet. Und da dürfen wir noch froh sein, denn eigentlich, so lässt es sich aus der Begründung entnehmen, ist die Apothekenvergütung eine Mischkalkulation, die grundsätzlich sämtliche Tätigkeiten und Aufwände der Apotheken, die mit der Abgabe von Arzneimitteln verbunden sind, erfasst. Aber bei Engpässen sieht das Ministerium dann doch, dass der Aufwand höher ist. Sinngemäß: „Und in diesen Fällen, liebe Apothekers, belohnen wir Euch mit dem fürstlichen Honorarplus von 50 Cent.“

 

„Wir werden uns wehren“, tönt es bereits aus dem Berliner Apothekerhaus. Die ABDA zeigt sich in Kampfeslaune: Mit den 50 Cent dürfen die Apotheken für ihre Austausch- und Engpass-Arbeit nicht abgespeist werden, so ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Außerdem sollen die Austauschregeln bei nicht vorrätigen Arzneimitteln uneingeschränkt wie in Pandemiezeiten beibehalten werden. Zur Begründung führt die Präsidentin die unermüdlich erbrachten Leistungen der Apotheken und die zuverlässige Versorgung der Patientinnen und Patienten an. Overwiening bringt es in ihrer Videobotschaft auf den Punkt: „Ich bleibe dabei: Die 50 Cent sind eine Missachtung der Apothekerinnen und Apotheker, einer Herabwürdigung unseres Berufsstands und unserer Tätigkeit.“ Richtig, alles richtig. Mein liebes Tagebuch, mit 50 Cent können wir nicht einverstanden sein. Die Präsidentin fordert einen „angemessenen Engpass-Ausgleich als Honorierung für das Management der Lieferengpässe. 50 Cent reichen nicht aus“ – aber wie viel fordern wir eigentlich?

Overwiening belässt es dieses Mal allerdings nicht bei einem Protest via Pressemitteilung und einer Videobotschaft. Sie schreibt einen offenen Brief an Lauterbach, in dem sie dem Gesundheitsminister vorwirft, die Leistungen der Apotheken nicht zu würdigen. Der vorliegende Referentenentwurf, der den Apotheken zu wenig Entscheidungskompetenz zugesteht, sei für sie „ein Ausweis von Missachtung und Misstrauen uns Apothekerinnen und Apothekern gegenüber“. Die 50 Cent Aufwandspauschale sind in ihren Augen ein Affront, lässt sie Lauterbach wissen und macht deutlich: „Mit diesem schamlosen Betrag vergüten Sie 24 Sekunden Arbeitszeit.“ Es sei ihr „unbegreiflich“, so Overwiening in ihrem Brief an Lauterbach, „warum Sie das Potenzial, über das wir durch unsere Apotheken verfügen, nicht ausschöpfen, sondern eindämmen.“  Schön, mein liebes Tagebuch, dass die Präsidentin in ihrem offenen Brief deutlicher geworden ist. Angesichts dieser Worte sollte man eine Antwort des Ministers erwarten, wir sind gespannt.

Und was uns vielleicht noch fehlt: Was wäre denn nach Ansicht der ABDA ein gerechter Ausgleich für unsere Lieferengpass-Managementaufgabe? 1 Euro, 1,50 Euro? Oder gerechterweise 5 Euro, wenn man davon ausgeht, dass für diese Aufgabe fünf Minuten und für eine Minute unserer Arbeitszeit ein Euro angesetzt werden? Dazu ist leider noch nichts aus dem Apothekerhaus zu hören.

Lesen Sie zum Thema Arbeitszeitvergütung und Honorarmaßstäbe auch den Kommentar von DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Thomas Müller-Bohn. Er macht darauf aufmerksam, dass nach den Honorarmaßstäben des Schiedsspruchs für pharmazeutische Dienstleistungen sich mit 50 Cent gerade mal 43 PTA-Sekunden finanzieren lassen.

14. Februar 2023

Als eine Maßnahme von mehreren gegen die Lieferengpässe nimmt sich der Referentenentwurf des „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“ u.a. das bestehende Festbetragssystem vor. So sollen in Zukunft Hersteller von Kinderarzneimitteln besser gestellt werden als bisher, denn die Produktion kindgerechter Darreichungsformen ist naturgemäß aufwendiger als das Pressen von Tabletten für Erwachsene. Der Hersteller soll demnach den Abgabepreis für ein solches Arzneimittel um bis zu 50 Prozent über dem vom GKV-Spitzenverband zu berechnenden Festbetrag anheben, der bei einer fiktiven Eingruppierung in eine Festbetragsgruppe gelten würde. Mein liebes Tagebuch, ob das genug Anreiz sein wird, die Produktion von Fiebersäften und -zäpfchen für Kinder anzukurbeln, wird man sehen. Eine weitere Maßnahme des Engpassgesetzes: Ein Frühwarnsystem bei drohenden Lieferengpässen und eine aktuelle Liste der Lieferengpässe bei Arzneimitteln mit versorgungsrelevanten und versorgungskritischen Wirkstoffe, die das BMG auf seiner Internetseite veröffentlichen soll.

 

Mal abgesehen von einzelnen Formulierungen trifft der Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei den Pharmaverbänden grundsätzlich auf Zuspruch – weil der Preisdruck gelockert werden soll, so z. B. bei den Kinderarzneimitteln oder bei Antibiotika und Krebsmitteln. Aber, so fragen die Verbände, warum soll es Änderungen am Festbetrags- und am Rabattsystem nur hier geben? Aus Sicht von Pro Generika sollten die Maßnahmen für alle Generika gelten. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) fordert zum Umdenken bei den Preisen der Arzneimittel der Grundversorgung. Und der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) hält von den punktuellen Korrekturen wenig. Dem BAH fehlt eine umfassende Überprüfung der Ausschreibepraxis bei Rabattverträge und ein Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel.

 

Auch das hat das BMG im künftigen Lieferengpass-Gesetz versteckt: die Geschlechtergerechtigkeit beim Pflichttext der Arzneimittelwerbung. Es muss in Zukunft gegendert werden. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragt man/frau nicht mehr nur den Arzt oder Apotheker, sondern… ja, was oder wen soll man in Zukunft fragen? Der Lauterbachsche Referentenentwurf schlägt diese Formulierung vor: „…und fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke“. Mein liebes Tagebuch, da stellen sich mir ehrlich gesagt die Nackenhaare auf. Nein, nicht wegen des Genderns an sich, sondern wegen der Diskriminierung von uns Apothekerinnen und Apothekern. Die vorgeschlagene Formulierung ist schlichtweg eine Geringschätzung unseres Berufs. Die Ärztin oder der Arzt wird als Persönlichkeit, die man fragen soll, explizit genannt, aber nicht die Apothekerin oder den Apotheker. Uns Apothekers sieht das Ministerium nur als Institution „Apotheke“, aber nicht als Personen. Mein liebes Tagebuch, so geht’s nicht, das lassen wir nicht mit uns machen! Wo ist der Aufschrei aus dem Apothekerhaus? Wie aus Insiderkreisen zu vernehmen ist, plädiert auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller  (BAH) für die Formulierung: „… und fragen Sie in Ihrer ärztlichen Praxis oder in Ihrer Apotheke“. Richtig! Wenn neu formuliert wird, dann bitte auf gleichem Level für alle.

 

Mit Pragmatismus geht die Apothekerkammer Sachsen das Lieferengpass-Problem an. Hier gibt es Vereinbarungen des zuständigen Ministerium mit der Landesdirektion Sachsen und der Apothekerkammer, um Bundesrecht unbürokratisch anzuwenden. So erhalten die sächsischen Apotheken mehr Rechtssicherheit, wenn sie sich zum Beispiel einander kurzfristig und ohne gesonderte Erlaubnis mit Arzneimitteln aushelfen (ausgenommen BtM). Tauschplattformen werden nicht beanstandet, sofern sie nicht gewerbsmäßig arbeiten. Apotheken dürfen außerdem nicht verfügbare Arzneimittel defekturmäßig herstellen und der Einzelimport von Arzneimitteln wird großzügiger gehandhabt. Mein liebes Tagebuch, da sieht man mal, was alles geht, wenn auch die Behörden und Kammern mit Augenmaß arbeiten.

 

Impfen Sie schon? Und wenn ja (oder nein), warum? Finden Sie gut, dass Apotheken impfen dürfen? Wünschen Sie sich mehr Impfmöglichkeiten? Und was sagen Ihre Ärztinnen und Ärzte dazu? Oder halten Sie vom Impfen in der Apotheke rein gar nichts? Die ABDA will’s wissen. Sie hat dafür eine kleine Blitzumfrage aufgesetzt, an der sich jede Apotheke beteiligen kann. Machen Sie mit! Zur Umfrage geht es hier.

 

15. Februar 2023

Der ALBVVG-Entwurf, also der Entwurf zum Gesetz gegen Lieferengpässe, wird auch unter Gesundheitspolitikern heftig diskutiert. Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hält nicht viel von diesem Entwurf, er sei ein „ein mut- und kraftloser Versuch, die immer prekärer werdende Versorgungslage in den Griff zu bekommen“. Sie hat zum Beispiel kein Verständnis dafür, dass die erleichterten Austauschregeln für die Apotheken beschränkt werden sollen auf die vom BfArM gelisteten Arzneimittel mit besonders versorgungsrelevanten und versorgungskritischen Wirkstoffen. Sie fordert neue Regeln für die Preisbildung für Arzneimittel und die Abschaffung der Rabattverträge. Klingt gut, nmein liebes Tagebuch, zum Jubeln veranlasst das die Industrie allerdings nicht, denn es sollte nach Ansicht der Linken dann mehr Transparenz und Kontrolle bei der Preisbildung in der Pharmaindustrie eingeführt werden.

 

Mein liebes Tagebuch, ein Entwurf fürs ALBVVG zur Eindämmung der Lieferengpässe und mehr liegt schon mal vor. Und mit welchen Gesetzen und Maßnahmen müssen wir in diesem Jahr noch rechnen? Die Politik kündigte bereits an, gegen die Bürokratie im Gesundheitswesen etwas tun zu wollen. Außerdem ist im Koalitionsvertrag noch eine Novelle des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) vorgesehen. Ist da vielleicht eine Honoraranpassung drin? Eine Honoraranpassung, auf die wir seit mehr als zehn Jahren warten? Dirk Heidenblut, SPD-Berichterstatter für Apothekenthemen, sagte im Gespräch mit der DAZ, man habe sich vorgenommen, die pharmazeutischen Dienstleistungen besser vergüten zu wollen als bisher. Und ein Ziel müsse es sein, auch den Teil des Apothekenhonorars anzupassen, der seit vielen Jahren eingefroren ist. „Da müssen wir ran“, sagt Heidenblut. Mein liebes Tagebuch, klingt das hoffnungsvoll? Ist das ein kleiner Lichtblick, dass unser Honorar endlich, endlich nach oben korrigiert wird?

 

16. Februar 2023

Im DAZ-Gespräch äußerte sich Dirk Heidenblut, der SPD-Berichterstatter für Apothekenthemen, auch zur geplanten Novelle des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG). Sein Ziel: „Insgesamt muss es darum gehen, sicherzustellen, dass überall Apotheken auch weiterhin zeitnah zu Fuß oder mit dem ÖPNV zu erreichen sind.“ Und er sagte auch: Wir müssen uns fragen, was es uns wert ist, weiterhin überall Apotheken verfügbar zu haben und wie man den unterschiedlichen Anforderungen und Voraussetzungen Rechnung tragen kann.“ Mein liebes Tagebuch, gute Frage: Was ist es uns als Gesellschaft wert, unsere Apotheken zu erhalten? Dazu würde ich gerne mal die Antworten aus den verschiedenen Parteien hören. 
Was Heidenblut noch sagte: Er findet es „sehr schade, dass die Dienstleistungen noch nicht richtig in Fahrt kommen, denn wir brauchen davon eher mehr als weniger“. Und im Impfen liegen nach seiner Meinung ebenfalls viele Chancen. Mein liebes Tagebuch, da kann man nur hoffen, das seine Ansichten über den Wert der Apotheke überzeugend bis zu seinem obersten Dienstherrn durchdringen – denn der scheint bisher nicht so viel von den Apotheken zu halten.

17. Februar 2023

Eine echte Erfolgsgeschichte ist das E-Rezept in Deutschland nicht. Es hat eher so etwas von kleinem Debakel oder BER an sich. Klar, es gibt sie noch, die Handvoll Enthusiasten, die es nicht erwarten können, bis alles wirklich läuft. Aber hört man sich im Land um, so haben viele Apothekers nichts dagegen, dass das E-Rezept noch nicht wirklich da ist – denn dann fahren auch die Versender ihre Werbestrategie hoch. Also, mein liebes Tagebuch, halten wir fest, das E-Rezept kommt, aber langsam. Einen Schub versprechen sich viele von der elektronischen Gesundheitskarte, die zurzeit für den Einsatz mit der E-Rezept-Einlösung vorbereitet wird. Gerade hat dieser Weg eine weitere Hürde genommen: Die Datenschützer haben die von der Gematik vorgelegte Spezifikation abgesegnet. Im Sommer 2023 soll dann der neue Einlöseweg verfügbar sein – heißt es heute. Warten wir’s ab. Mein liebes Tagebuch, als in dieser Woche die Meldung zu vernehmen war, dass ein Bagger ein dickes Internetkabel durchtrennt und damit den Frankfurter Flughafen lahmgelegt hat, drängte sich mir die Frage auf: Was ist, wenn durch ein Unglück, einen Cyberangriff oder eine technische Störung der Zugang zum Fachserver ausfällt, auf dem die E-Rezepte liegen? Also in einigen Jahren, wenn die meisten E-Rezepte dann per App oder eGK eingelöst werden? Haben wir einen Plan B oder bricht dann die Arzneiversorgung zusammen? Werden solche Szenarien eigentlich durchgespielt?

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