Besonders für Kinder und Jugendliche waren die Pandemiejahre herausfordernd. Neue Studienergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Isolation nicht nur auf die emotionale und soziale Entwicklung, sondern auch auf die Leistungen der Schüler ausgewirkt hat.
Die Jahre 2020 bis 2022 waren vor allem für deutsche Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung. Durch die Schulschließungen fand der Unterricht primär digital von zuhause statt. Die Konsequenz: Erhebliche Belastungen für die emotionale und soziale Entwicklung sowie ein enormer Abfall der Leistungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie, die jetzt im Fachblatt „Plos One“ veröffentlicht wurde.
Studie vergleicht Leistungen von 424 Schülerinnen und Schülern
Im Rahmen ihrer Untersuchung verglichen die Forscher die Leistungen von insgesamt 424 Schülerinnen und Schülern aus vier Schulen in Rheinland-Pfalz aus den Klassenstufen sieben bis neun. Die Jugendlichen wurden dazu aufgefordert, den Berliner Intelligenzstrukturtest für Jugendliche zu absolvieren. Dieser testet verschiedene Kompetenzen:
- Bearbeitungsgeschwindigkeit,
- Merkfähigkeit,
- Verarbeitungskapazität,
- Einfallsreichtum und die Fähigkeit im Umgang mit numerischem, verbalem und figuralem Material.
Dafür unterteilten die Wissenschaftler die Probanden in Gruppen von je 104 abhängig vom:
- Geschlecht,
- Klassen-Typ (reguläre Klassen und Hochbegabtenklassen),
- Klassenstufe und
- Alter dieser.
Die Resultate im Intelligenztest wurden im nächsten Schritt mit vergleichbaren Gruppen aus den Jahr 2002 und 2020 verglichen.
2002 und 2022: Sieben IQ-Punkte Unterschied
Das Ergebnis: Während der Mittelwert der Allgemeinen Intelligenz für 2002 noch bei 112 IQ-Punkten lag, betrug der Wert 2020 nur etwa 105 . Zudem zeigte eine weitere Stichprobe aus dem Jahr 2012 deutlich höhere Werte als die beiden anderen Gruppen aus den Jahren 2002 und 2020. Laut Studie deute das darauf hin, dass der zuvor beobachtete Unterschied nicht die Fortsetzung eines längeren Abwärtstrends sei. Schülerinnen und Schüler der Pandemiejahre schnitten im Durchschnitt eindeutig schlechter ab als die Vergleichsgruppen in den Jahren 2002 und 2012.
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Zehn Monate nach der ersten Testung in 2020 – dementsprechend 16 Monate nach Pandemiebeginn – wurde die Pandemiegruppe erneut getestet. Der Intelligenzzuwachs (knapp 8 IQ-Punkte) lag hier im Normalbereich, der Rückstand zu den Vorjahren konnte jedoch nicht wieder aufgeholt werden. Wahrgenommener Stress stand dabei in keinem signifikanten Zusammenhang mit der Leistung im Intelligenztest.
Intelligenz multifaktoriell bedingt
„Bei Intelligenz (handelt es sich) um ein komplexes Konstrukt, das substanziell mit schulischen Leistungen – und vielem mehr – korreliert“, führt Eva Stumpf Direktorin des Instituts für Pädagogische Psychologie „Rosa und David Katz“ an der Universität Rostock, im Hinblick auf die Studie an. Wie Stumpf erklärt, sei die Entwicklung von Intelligenzunterschieden ein Zusammenspiel aus Veranlagung und Umwelt. Dazu zähle beispielsweise die familiäre und schulische Lernumwelt.
„Auch wenn Einflüsse von Beschulung auf die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten generell schwer zu untersuchen sind – unter anderem, da es keine nicht-beschulten Vergleichsgruppen gibt –, sprechen vorhandene Befunde dafür, dass sowohl die Quantität als auch die Qualität der Beschulung die intellektuelle Entwicklung beeinflussen“, kommentiert die Expertin.
Kritik an G8: „Ein Jahr Schule bringt Intelligenzzuwachs von etwa fünf IQ-Punkten"
Hinsichtlich der Ergebnisse kritisiert Detlef Rost, Professor für Psychologie am Center for Mental Health Education in China, auch das G8-System: „Ein Jahr Schule bringt einen Intelligenzzuwachs, der ungefähr fünf IQ-Punkten entspricht. Im Zusammenhang der G8-G9 Diskussion bedeutet das zum Beispiel plakativ gesagt, dass das fehlende Schuljahr und der damit verbundene Intelligenzzuwachs unsere Schüler dümmer macht“, betont Rost.
Wie die Forschenden in ihrem Bericht resümieren, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Pandemie und die daraus resultierenden Probleme im Bildungsbereich einen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler haben könnten. Klaus Zierer, Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, hält die Ergebnisse für plausibel.
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„Aufgrund des Studiendesigns, in dem verschiedene Kohorten über verschiedene Zeiträume miteinander verglichen werden, ist es möglich, diesen Schluss zu ziehen“, erklärt Zierer. „Die Corona-Pandemie war für Kinder und Jugendliche geprägt von Schulschließungen und – für die Persönlichkeitsentwicklung noch gravierender – sozialer Isolation. Gerade Jugendliche brauchen das Gegenüber, um sich psychosozial entwickeln zu können und auch um Lernen zu können.“
Weitere Faktoren von Bedeutung: Digitalisierung und Smartphone-Nutzung
Dennoch führt der Experte an, dass es weitere wichtige Moderatoren gebe, die bei genanntem Schluss hinzugezogen werden müssten. Ein Beispiel dafür sei die Digitalisierung der Lebenswelt, die seit 2012 bis heute dramatisch zugenommen hat. „Hierzu liegen Studien vor, die zeigen, dass beispielsweise die Nutzungsdauer und -art von Smartphones einen negativen Einfluss auf die Intelligenzentwicklung hat“, erklärt Zierer. Zudem kritisiert er die Repräsentativität der Studie angesichts der sehr unterschiedlichen Stichprobengröße.
Dem stimmt Rost zu: „2020 beziehungsweise 2012 wurden Klassen aus vier Schulen in Rheinland-Pfalz, darunter Spezialklassen für Hochbegabte/Hochleistende, die es so in anderen Bundesländern nur selten oder gar nicht gibt, untersucht“. Das schränke die Belastbarkeit der Studie deutlich ein.
Kritik: Studie liefert keine neuen Erkenntnisse
„Weitere Probleme der Studie – die zum Teil auch von den Autoren selbst genannt werden – sind das Fehlen einer Vorher-Nachher-Testung.“, ergänzt Samuel Greiff, Professor für Psychologie und pädagogisch-psychologische Diagnostik an der Universität Luxemburg. Das sei so jedoch kaum möglich werden, da man dafür schon 2019 hätte vorhersehen müssen, dass es die Pandemie geben wird.
Wirklich neue Erkenntnisse liefere die Studie also nicht, betont jedoch die Bedeutung des Präsenzunterrichts für Schülerinnen und Schüler für deren emotionale, psychische und intellektuelle Entwicklung.
„Kurz gesagt: Die Ergebnisse stimmen mit dem überein, was man bereits weiß: Die Dauer des Schulbesuchs wirkt sich positiv auf die Intelligenz aus. Zu Pandemiezeiten erhielten die Schüler weniger Klassenunterricht. Andere Probleme kamen hinzu, wie zum Beispiel Online-Unterricht, der oft kaum mehr ist als das stupide Ausfüllen von Arbeitsblättern. Was letztlich für welche Veränderung verantwortlich ist, kann die Studie nicht klären“, resümiert der Wissenschaftler.
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