Depressionen in der Corona-Krise: Psychiater verrät, wie man erste Anzeichen erkennt

In Deutschland erkranken jährlich mehr als fünf Millionen Menschen an Depressionen. Die Krankheit ist oft lebensbedrohlich. Ist für etwa die Hälfte aller Suizide verantwortlich.
 

Psychiater rechnet nicht mit  „Depressionsepidemie“

Der Lockdown sorgt in vielen Fällen dafür, dass der Krankheitsverlauf negativ beeinflusst wird, weiß Psychiater Ulrich Hegerl. Im Gespräch erklärt der Vorsitzende derStiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber einer Senckenberg-Professur an der Goethe-Universität Frankfurt, wie Angehörige rechtzeitig erste Warnhinweise bemerken und wie sie Betroffene unterstützen.
 

Warum leiden Menschen mit psychischen Erkrankungen besonders darunter?

Hegerl: Wir haben im Sommer 2020 eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durchgeführt. Menschen mit bekannter Depression gaben zu 80 Prozent an, dass sie sich in dieser Zeit weniger bewegt und vermehrt ins Bett zurückgezogen haben. Von beidem ist bekannt, dass es ganz spezifisch bei Depressionen den Verlauf negativ beeinflussen kann.

Schlafentzug ist übrigens ein in Kliniken eingesetztes Behandlungsverfahren mit überraschend deutlicher, aber nur vorübergehender Wirksamkeit, und Sport kann die antidepressive Behandlung unterstützen.

Ein weiterer Grund zu großer Sorge: Die Hälfte der Erkrankten, hochgerechnet also mehr als zwei Millionen Menschen, haben über eine verschlechterte medizinische Versorgung in Folge der Maßnahmen gegen Corona berichtet. Stationäre Behandlungen wurden abgesagt, Ambulanzen haben den Betrieb heruntergefahren.

Verängstigte Patienten haben von sich aus Termine bei Psychiatern oder Psychologischen Psychotherapeuten abgesagt, Selbsthilfegruppen sind ausgefallen. All das hat ohne Zweifel massive gesundheitliche Konsequenzen.

Herr Hegerl, der Lockdown wirkt sich wohl bei nahezu allen Menschen auf die Psyche aus. Gab es denn dadurch mehr Depressionen?

Ulrich Hegerl: Der Lockdown ist für viele Menschen bedrückend, stressig und voller Sorgen, ohne Frage. Das sind aber normale Reaktionen auf schwierige Lebensumstände und nicht Ausdruck einer depressiven Erkrankung. Depressionen sind ziemlich eigenständige Erkrankungen, die viel weniger von äußeren Umständen abhängen als viele denken. Ich rechne deshalb nicht mit einer „Depressionsepidemie“.

Grund zu großer Sorge ist aber, dass für diejenigen, die Depressionen haben – und das sind jährlich 5,3 Millionen Menschen in Deutschland – dieser Lockdown besonders negative Folgen hat.
 

Während Corona gab es vermutlich mehr Suizidversuche

 

Haben Menschen mit Depressionen denn mehr Angst vor Corona?

Hegerl: Die Ängste sind bei depressiv Erkrankten gar nicht so viel größer im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Es sind weniger diese Ängste als die Folgen der Maßnahmen gegen Corona, die sehr viele Nachteile nach sich gezogen haben. Und damit ohne Zweifel auch zu Leid und möglicherweise auch zu Tod.

 

Das heißt, es gab auch mehr Suizide durch den Lockdown?

Hegerl: Ich gehe davon aus, dass es in Folge der schlechteren medizinischen Versorgung zu mehr Suizidversuchen kam. Ob die Suizidraten zunehmen, ist schwer zu sagen, da dies von der Tödlichkeit der suizidalen Handlungen abhängt. Gesicherte Daten haben wir dazu bislang keine.

 

Worauf müssen Angehörige achten, um Suizide zu verhindern? Wie lassen sich erste Anzeichen einer Depression erkennen?

Hegerl: Hinweise sind tiefsitzende Hoffnungslosigkeit und übertriebene Schuldgefühle. Auch hartnäckige Schlafstörungen und Appetitstörungen mit Gewichtsverlust sind Anzeichen. Wer depressiv ist, hat keine Freude mehr, in keinem Bereich seines Lebens – bis hin, sich etwas anzutun.

 

Was können Angehörige tun, wenn sie eine solche Wesensveränderung bemerken?

Hegerl: Wichtig: sich informieren über die Erkrankung Depression, um das veränderte Verhalten des Partners nicht als Lieblosigkeit, Nachlässigkeit oder ein „Sich-gehen-lassen“ missverstehen.

Dann müssen Angehörige wissen, dass sie nicht Schuld sind an der Erkrankung.

Kein Stress, kein Streit trägt die Schuld an dieser Krankheit – nur die Krankheit selbst.

Genauso wenig sind sie zuständig oder verantwortlich für die Heilung des Betroffenen. Überspitzt gesagt, eine Depression lässt sich nicht mit Liebe allein heilen, genauso wenig wie ein Diabetes mellitus.

Das Wichtigste ist: Wer das Gefühl hat, beim Partner stimmt etwas nicht, sollte diesen dabei unterstützen, sich möglichst schnell professionelle Hilfe zu holen. Sie können beim Arzt anrufen, einen Termin vereinbaren, den Erkrankten in den Arm nehmen und dort hinbringen. Das ist sehr, sehr wichtig – ganz besonders, wenn eine Suizidgefahr besteht.
 

Angehörige können Arztermine für Depressive ausmachen

 

Welche Ärzte sind denn zuständig für die Behandlung einer Depression? Wo müssen Angehörige anrufen?

Hegerl: Für Depressive gibt es drei Anlaufstellen. Der Facharzt ist in diesem Fall der Psychiater.Er ist in der Lage, eine Diagnose zu stellen und den Betroffenen mit Antidepressiva und Psychotherapie zu behandeln.

Dann gibt es die Psychologischen Psychotherapeuten, das sind Psychologen mit einer Spezialausbildung. Sie bieten Psychotherapie an und können wie die Ärzte über die Kasse abrechnen. Schließlich kann man sich an die Hausärzte wenden, die viele depressiv Erkrankte mit Antidepressiva behandeln.

Es ist wichtig zu verstehen, dass eine Depression eine richtige Erkrankung ist und mehr als eine Reaktion auf Stress.

Es ist eine Krankheit, die sich gut behandeln lässt – aber eben auch behandelt werden muss. Konsequent und entsprechend der offiziellen Behandlungsleitlinien, auch in Corona-Zeiten. Gehen Sie als Betroffener zum Arzt oder Psychologischen Psychotherapeuten, auch während eines Lockdowns!

Paula Schneider

Das Original zu diesem Beitrag „Depressionen in der Corona-Krise: Psychiater verrät, wie man erste Anzeichen erkennt“ stammt von FitForFun.

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