Schon länger findet das Leben in Deutschland wieder ohne Corona-Beschränkungen statt. Doch jetzt bereitet Experten eine neue Corona-Variante in Indien Sorgen, die dort gerade wieder die Infektionszahlen in die Höhe treibt. Was wir über diese wissen und was ein deutscher Epidemiologe dazu sagt.
Gefühlt ist die Pandemie schon seit geraumer Zeit vorbei. Maßnahmen gibt es schon länger keine mehr in Deutschland, das Leben hat sich wieder normalisiert. Auch die Inzidenz liegt derzeit mit 43,7 Infektionsfällen pro 100.000 Einwohner weit weg von besorgniserregenden Entwicklungen.
Mitten in diese Sorglosigkeit platzen nun Nachrichten aus Indien, die aufhorchen lassen. Demnach breitet sich dort eine neue Omikron-Untervariante aus: XBB.1.16. Sie trägt den Beinamen „Arcturus“, benannt nach dem hellsten Stern des Nordhimmels. Innerhalb von 14 Tagen hat diese Variante nun die Infektionszahlen in Indien um 281 Prozent ansteigen lassen – auch die Todeszahlen seien im gleichen Zeitraum um 17 Prozent gestiegen.
Indischer Experte besorgt über die Entwicklung
Das twitterte der indische Experte Vipin Vashishta, Kinderarzt sowie Forscher am Mangla Hospital and Research Center im indischen Bijnor und Mitglied der WHO-Vakzin-Gruppe. Auch eine Warnung fügte er seinem Post an: „Alle Augen sollten auf Indien gerichtet sein! Wenn es XBB.1.16 alias #Arcturus gelingen könnte, die ‚robuste‘ Bevölkerungsimmunität von Indern zu durchbrechen, die dem Ansturm von Varianten wie BA.2.75, BA.5, BQs, XBB.1.5 erfolgreich widerstanden haben, dann muss sich die ganze Welt ernsthaft Sorgen machen!“
Arcturus-Fälle bereits weltweit festgestellt – auch in Deutschland
Nicht gerade etwas, das man nach über zwei Jahren Pandemie gerne hört. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine neue Variante von Indien aus schnell weltweit ausbreitet und für Ungemach sorgt. Tatsächlich wurde Arcturus bereits in vielen Ländern rund um den Globus nachgewiesen. Am häufigsten in den USA, aber auch in Brunei, Singapur, Australien, Japan, Südkorea, Großbritannien, Italien, Dänemark und Österreich wurden bereits Fälle registriert. Wie die deutsche Apotheker-Zeitung „ DAZ.online “ berichtet, konnten viele Infektionen auf Indien-Reisende zurückgeführt werden.
Auch bei uns in Deutschland ist die neue Variante bereits angekommen: Jeweils ein Fall in Baden-Württemberg und ein Fall in Bayern wurden bisher registriert.
Arcturus mutmaßlich Rekombination aus zwei Omikron-Varianten
Bei der neuen Variante handelt es sich mutmaßlich um eine Rekombination zweier Omikron-Untervarianten, schreibt das Blatt weiter. So stamme XBB von den Varianten BA.2.10 und BA.2.75 ab und habe sich bereits vielfach weiterentwickelt. XBB.1 und XBB.1.5 grassierten bereits weltweit. Letztere ist seit Dezember dominierende Variante in den USA. Laut WHO ist die XBB-Familie weltweit auf dem Vormarsch und hat fast überall die zuvor dominanten Varianten BA.5 und BA.2 verdrängt.
Das ist auch in Deutschland der Fall. Laut aktuellem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt der Gesamtanteil der rekombinanten Omikron-Variante XBB.1 einschließlich aller Sublinien hierzulande bereits bei 56 Prozent. BA.5 liegt dagegen nur noch bei 24 Prozent, BA.2 bei 16 Prozent.
Neue besorgniserregende Mutationen am Spike-Protein
Die neue Variante Arctururs besitzt durchaus besorgniserregende Eigenschaften, berichtet „DAZ.online“ weiter. Denn sie verfügt über weitere Mutationen am Spike-Protein, die unter anderem das Potential hätten, die Ausschüttung von Interferon zu unterdrücken und somit die Immunabwehr von Geimpften und Genesenen zu unterlaufen. Auch könnte der Eintritt in die Zellen noch schneller von statten gehen. Damit wäre die Variante noch ansteckender als ihre Vorgänger.
Gegenüber der Variante XBB1.5, die bis zuvor als die sich am schnellsten ausbreitende Variante galt, hätte die neue XBB-Variante einen Wachstumsvorteil von 140 Prozent, schreibt das Blatt weiter. Entsprechend gebe es durchaus Anlass zur Wachsamkeit.
Epidemiologe Timo Ulrichs über Lage in Deutschland
Blicken wir also auch in Deutschland einer neuen Infektionswelle entgegen? Dass neue Varianten immer wieder auftreten sei normal, erklärt der Epidemiologe Timo Ulrichs aus Berlin im Gespräch mit FOCUS online. „Omikron-Untervarianten lösen einander ab, um das Infektionsgeschehen zu beherrschen.“
Die entscheidende Frage sei aber eine andere: „Sieht die Antigenstruktur der Variante so anders aus, dass die durch Impfung und die bisherige Durchseuchung erlernte Immunität nicht mehr hilft, die Ausbreitung zu hemmen und schwere klinische Covid-19-Verläufe gering zu halten?“ Dazu lägen noch keine verlässlichen Daten aus Indien vor wie Hospitalisierungsrate, ICU-Belegung und Todesfälle.
Eine Entwarnung kann Ulrichs dennoch nicht geben. „Es wäre durchaus vorstellbar, dass eine solche neue Untervariante uns noch einmal in die Verlängerung der Pandemie zwingen könnte“, mahnt er. Die Jahreszeit spielt uns aber hier in die Karten: „Wir gehen in Europa gerade in den Frühling, so dass eine großflächige Ausbreitung eher schwerer wäre als zu Beginn der Herbst-/Wintersaison.“
Prophylaktische Impfung mit omikronspezifischen Impfstoffen für Risikogruppe sinnvoll
Risikogruppen empfiehlt Ulrichs dennoch vorsorglich eine Impfung mit den neuen omikronspezifischen Impfstoffen. „Das wäre für alle Risikogruppen prophylaktisch zu empfehlen, sofern noch nicht geschehen“, betont er.
Selbst wenn die Pandemie durch Arcturus noch einmal aufflammen könnte, sieht Ulrichs dem gelassen entgegen. „Sollte die Pandemie noch einmal eine neue Runde machen, wären wir durch die bereits erreichte Grundimmunisierung der Bevölkerung besser aufgestellt als in der Frühphase der Pandemie“, sagt er. Auch wenn weitere Krisen dafür sorgten, dass ihre Bekämpfung womöglich schwerer und aufwendiger würde als bisher.
Kein Grund zur Panik – die meisten Fälle nicht schwerwiegend
Da trotz des Anstiegs die absoluten Fallzahlen in Indien bisher noch relativ gering sind und auch noch kein Anstieg der Hospitalisierungen verzeichnet wurde, wäre also Panik völlig fehl am Platz. So sieht es auch der indische Corona-Experte Randeep Guleria, ehemaliger Leiter der dortigen Corona-Taskforce. Er sehe derzeit keinen Grund zur Sorge, da die meisten Fälle nicht schwerwiegend seien und auch mit angemessenem Verhalten die Ansteckungen eingedämmt werden könnten.
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