Angesichts der stark steigenden Coronazahlen – ausgelöst durch die Omikron-Sublinien BA.5 und BA.4 – in Großbritannien schreibt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dass zwei Impfungen nicht gut vor einer Infektion mit Omikron schützen und rät zu einer ersten beziehungsweise zweiten Booster-Impfung. Mit seiner Aussage, dass Menschen nun vor der Wahl zwischen Impfung oder einer Covid-19-Infektion stünden, sorgt der Gesundheitsminister für eine Kontroverse auf Twitter. Twitter-User: innen entgegnen Karl Lauterbach, dass sich auch geimpfte Menschen mit Covid-19 infizieren könnten. Wo sich über die zugespitzte Formulierung des Gesundheitsministers durchaus streiten lässt, ist der Kern seiner Aussage, dass Menschen mit nur zwei Corona-Impfdosen nur einen geringen Schutz vor symptomatischen Erkrankungen durch Omikron haben. Wie die Lage in Großbritannien derzeit ist, wie sich die Omikron-Untervarianten auch in Deutschland ausbreiten und für wen eine zweite Booster-Impfung empfohlen wird.
Long Covid
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Was unterscheidet die Subtypen BA.4 und BA.5 von anderen Omikron-Varianten?
Mitte April hatte die Weltgesundheitsorganisation die beiden Omikron-Untervarianten BA.4 und BA.5 in ihr Monitoring der Omikron-Varianten aufgenommen. Sie wurden zuerst in Südafrika und Botswana nachgewiesen. Die beiden Varianten haben eine Veränderung am Spike-Protein. Die neuen Sublinien haben einen Wachstumsvorteil gegenüber BA.2. Der wesentliche Wachstumsvorteil für BA.4 und BA.5 ist höchstwahrscheinlich durch ihre Fähigkeit zu erklären, sich dem durch eine frühere Infektion und/oder Impfung hervorgebrachten Immunschutz zu entziehen. Wie dies die Corona-Fallzahlen ansteigen lassen kann, hat sich in Europa bereits in Portugal gezeigt.
Wie sieht die Lage in Großbritannien derzeit aus?
In Großbritannien breiten sich die Omikron-Subtypen BA.4 und BA.5 aus. Rund 1,4 Millionen Menschen haben sich in der Woche bis zum 11. Juni mit dem Coronavirus infiziert, das ist ein Anstieg um mehr als 40 Prozent zur Vorwoche, wie die aktuellen Zahlen der Nationalen Statistikbehörde (ONS) zeigen. 4868 Menschen wurden innerhalb der letzten sieben Tage (bis zum Berichtsdatum 11. Juni 2022) wegen einer Covid-19-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert, in der Vorwoche waren 4012. Laut ONS sind die Omikron-Untervarianten BA.4 und BA.5 für einige der Infektionen verantwortlich. Im letzten Bericht der UK Health Security Agency (Stand: 16. Juni 2022) heißt es, dass bisher 51,9 Prozent der Brit:innen über alle Altersgruppen hinweg drei Corona-Impfungen erhalten haben. Eine Grundimmunisierung haben 65,9 Prozent der Brit:innen erhalten. Der Epidemiologe Tim Spector vom Kings College London schrieb jüngst zur Lage in Großbritannien auf Twitter: "Ich habe das Ausmaß der jüngsten Omikron-Welle unterschätzt. Es sieht so aus, als würden wir bald fast 200.000 Fälle pro Tag erreichen."
Wie stark breiten sich die neuen Varianten in Deutschland aus?
"Das starke Wachstum von BA.4 und insbesondere BA.5, aber auch BA.2.12.1, lässt darauf schließen, dass diese Varianten aktuell bereits die Mehrzahl der Nachweise ausmachen", heißt es im aktuellen Wochenbericht (Stand: 16. Juni 2022) des Robert Koch-Instituts (RKI). Diese Daten im Bericht beziehen sich stets auf vorvergangene Woche: BA.5 machte damals demnach in einer Stichprobe rund 24 Prozent der positiven Proben aus, das entspricht erneut in etwa einer Verdopplung im Vergleich zum Vorwochenwert. BA.4 und BA.2.12.1 lagen beide bei rund vier Prozent.
Wie gut schützt die Grundimmunisierung?
Der "Living Systematic Review", der vom RKI durchgeführt wird, zeigt, dass die zweifache Corona-Impfung weniger Schutz vor Omikron als vor Delta bietet. Das RKI fasst es so zusammen: "Die Studienergebnisse zeigen, dass die Wirksamkeit nach zwei Impfstoffdosen gegenüber jeglicher oder symptomatischer Erkrankung durch die Omikron-Variante insgesamt gering ist und mit der Zeit deutlich nachlässt. Durch eine Auffrischimpfung kann die Schutzwirkung verbessert werden. Gegen schwere Erkrankungen bietet die Impfung weiterhin einen guten Schutz." Diese Studiendaten beziehen sich noch nicht auf die neuen Untervarianten BA.4 und BA.5. Durch ihre Mutationen können die Subtypen wahrscheinlich die Immunantwort des Körpers, die nach Impfung oder Infektion gebildet wird, umgehen.
Wie gut schützt eine Booster-Impfung?
Die neuen Sublinien von Omikron treffen zu einem ungünstigen Zeitpunkt auf die Bevölkerung: Bei vielen Menschen liegt die letzte Infektion und auch die Booster-Impfung schon eine Weile zurück. Eine Studie aus Südkalifornien, die von Pfizer finanziert wurde, zeigt, wie schnell der Schutz nach der dritten Impfdosis bei Omikron nachlässt: Nach drei Dosen betrug die Wirksamkeit des Impfstoffs von Biontech-Pfizer gegen Krankenhauseinweisungen wegen Omikron 85 Prozent, wenn die Impfung weniger als drei Moante her war. Sie fiel aber auf 55 Prozent, wenn die dritte Impfung drei Monate oder länger zurücklag. In Bezug auf die Einweisung in die Notaufnahme lag die Wirksamkeit von drei Dosen bei der Omikron-Variante bei 77 Prozent, wenn die Impfung weniger als drei Monate her war, fiel aber nach drei Monaten oder länger auf 53 Prozent.
Als die Daten der Studie erhoben worden sind, grassierte die Delta- und die Omikron-Variante. Die Sublinien BA.4 und BA.5 waren zu dem Erhebungszeitraum noch nicht verbreitet. Daten, die auch fundierte Aussagen über die Wirksamkeit der dritten Impfung und den Schutz vor den neuen Sublinien zulassen, fehlen noch.
Wie gut sind Geimpfte, die sich bereits mit Omikron infiziert haben, geschützt?
Eine Studie von Forschenden der Universitäten in Mainz und Frankfurt deutet darauf hin, dass Geimpfte (zwei- oder dreifach geimpft), die sich mit der Omikron-Variante BA.1 infiziert hatten, nach der Infektion auch Antikörper gegen Delta und die Omikron-Variante BA.2 im Blut haben. Gegen die neuen Sublinien BA.4 und BA.5 schützt der Impfdurchbruch mit BA.1 kaum.
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Wer sollte sich ein viertes Mal gegen Covid-19 impfen lassen?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine vierte Impfung bisher nur Menschen über 70 Jahren, Pflegepersonal, Bewohner:innen von Alten- und Pflegeheimen und Menschen mit einer Immunschwäche. Eine allgemeine Impfempfehlung für die komplette Bevölkerung gibt es derzeit nicht. Bisher sind allerdings nur 6,4 Prozent der Deutschen zweifach geboostert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagt gegenüber dem "ZDF": "Diejenigen, die den Sommer für sich selbst absichern wollen – da ist eine vierte Impfung auf jeden Fall eine gute Investition, weil sie für einige Monate das Risiko, sich zu infizieren, reduzieren wird und vor schweren Verläufen schützen wird." Lauterbach teilt also die Einschränkung der Stiko nicht und empfiehlt allen, die "einen ruhigen und beschwerdefreien Sommer haben wollen" eine zweiten Booster-Impfung. Dies begründet der Minister unter anderem mit den neuen Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5.
Die Kölner Infektiologin Clara Lehmann rät im "Kölner Stadt-Anzeiger" Menschen, die dreifach geimpft sind und zur Risikogruppe gehören zur vierten Impfung. Für dreifach Geimpfte, die im Winter eine Omikron-Infektion hatten, ist ihre Empfehlung: "Immunkompetenten Menschen rate ich: Lasst euch im Spätsommer oder Herbst noch mal impfen. Bei Risikopatienten rate ich jetzt zu einer vierten Impfung."
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