Weltaidstag: Corona

HI-Viren (orange) infiltrieren T-Lymphozyt (blau): 2020 haben sich weltweit rund 1,5 Millionen Menschen neu infiziert

Die Coronakrise hat dramatische Auswirkungen auf die Eindämmung des HI-Virus. Aufgrund von Covid-19 seien eigentlich zur Bekämpfung von HIV gedachte Gelder umgelenkt, Präventionsprogramme kompromittiert und Lieferketten – auch für überlebenswichtige Medikamente – unterbrochen worden. Das berichten das Uno-Programm Unaids, der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria und die Deutsche Aidshilfe.

Die Bekämpfung von HIV sei zwar schon vor Ausbruch der Coronapandemie weltweit zu langsam fortgeschritten. Doch aufgrund von Covid-19 habe die HIV-Eindämmung einen weiteren Rückschlag erlitten, sagte die Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe Silke Klumb vor dem Weltaidstag am 1. Dezember.

»Pandemien verstärken die Ungleichheit«

Weltweit haben sich nach Uno-Angaben rund 80 Millionen Menschen seit der Meldung der ersten Aids-Fälle 1981 mit dem HI-Virus infiziert, 36,3 Millionen infizierte Menschen sind gestorben. Im Jahr 2020 haben sich weltweit rund 1,5 Millionen Menschen neu mit dem Virus infiziert, 680.000 sind gestorben. Etwa 37,7 Millionen Menschen leben derzeit mit der Infektion. Zwei Drittel aller Menschen mit HIV leben in Afrika südlich der Sahara.

Mit HIV infizierte Menschen haben nach Angaben von Unaids ein doppelt so hohes Risiko wie die Allgemeinbevölkerung, an einer Corona-Erkrankung zu sterben. Die meisten Menschen mit HIV hätten jedoch noch immer keinen Zugang zu Corona-Impfstoffen: In Südafrika etwa hatten bis Mitte des Jahres 2021 erst drei Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten. »Pandemien verstärken die Ungleichheit«, sagte der Exekutivdirektor des Globalen Fonds, Peter Sands. »Wir befinden uns in einer Zeit beispielloser Herausforderungen.«

Unklare Herkunft der Omikron-Mutante

Nach Angaben des Globalen Fonds habe es im vergangenen Jahr weltweit einen mehr als zehnprozentigen Rückgang von HIV-Tests und HIV-Präventionsmaßnahmen gegeben. Als Folge hätten viele mit HIV-infizierte Menschen ihre Behandlung spät begonnen. Die Coronapandemie habe zudem »katastrophale Auswirkungen« auf die weltweite Bekämpfung von Tuberkulose (TB) gehabt. Die Zahl der HIV-positiven TB-Patienten, die sowohl eine antiretrovirale als auch eine TB-Behandlung erhielten, sei 2020 um 16 Prozent zurückgegangen.

Weil so viele HIV-positive Menschen in Südafrika weder eine HIV-Therapie noch eine Corona-Impfung bekommen, halten es verschiedene Virologen für möglich, dass die Omikron-Mutante des Coronavirus in einem HIV-Infizierten oder einem Patienten mit einer anderen Form der Immunschwäche entstanden sein könnte. In Menschen mit geschwächtem Immunsystem könne sich das Virus über viele Wochen vermehren, sagte Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). »Dabei können immer wieder vereinzelt Mutationen auftreten, die dem Virus eventuell keinen Vorteil bringen, die sich aber aufgrund der fehlenden Kontrolle durch das Immunsystem dennoch weiter vermehren können.«


Rückläufige Zahlen in Deutschland

In Deutschland haben sich im vergangenen Jahr etwas weniger Menschen mit HIV infiziert als 2019, berichtet das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Nach einer Schätzung liegt die Zahl der Neuinfektionen bei 2000 und damit um 300 Fälle niedriger als im Jahr zuvor. Das geht aus einem am Donnerstag veröffentlichten RKI-Bericht hervor. Etwa 1100 Fälle gehen demnach auf Sex unter Männern zurück, auch hier sind die Zahlen rückläufig. Die Entwicklung wird jährlich neu vom RKI abgeschätzt, da HIV oft erst Jahre nach der Ansteckung diagnostiziert wird.


Woran der Rückgang liegt, ist nicht eindeutig. Das RKI weist darauf hin, dass Menschen ihre Sexualkontakte im Zuge der Coronapandemie eingeschränkt haben könnten und zudem weniger Routinetests angeboten oder genutzt worden sein könnten. In der am stärksten gefährdeten Gruppe – Männer, die Sex mit Männern haben – sei der Rückgang nicht zuletzt ein Erfolg der medikamentösen HIV-Prävention (kurz Prep), teilte der Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter, Robin Rüsenberg, mit.

Bei der Prep-Behandlung schlucken HIV-negative Menschen Medikamente, die das HI-Virus daran hindern, sich zu vermehren. Kommt dieser Mensch dann mit dem Erreger in Kontakt, schützt das Mittel vor einer Ansteckung. Konsequent eingenommen, schützen die Medikamente der Deutschen Aidshilfe zufolge so gut vor einer Ansteckung wie ein Kondom.

Laut RKI-Bericht wissen in Deutschland schätzungsweise 9500 Menschen nichts von ihrer HIV-Infektion. »Es ist sehr wichtig, frühzeitig von der Infektion zu erfahren und sich behandeln zu lassen«, sagte der Sprecher der Deutschen Aidshilfe, Holger Wicht. Man schütze damit die eigene Gesundheit, aber auch Sexpartnerinnen und Sexpartner.

Wie Medikamente die Übertragung verhindern

HIV-Medikamente können die Vermehrung von HIV im Blut verhindern, bis es nicht mehr nachweisbar ist. Das Virus sei dann sexuell auch nicht mehr übertragbar, sagte Wicht. Wer eine Infektion dagegen zu lange verschleppe, könne verschiedene Folgeschäden erleiden, die nicht mehr rückgängig zu machen seien, etwa Gehör- oder Gedächtnisstörungen.

Männer, die Sex mit Männern haben, sollten sich daher einmal pro Jahr testen lassen, Heterosexuelle nach ungeschütztem Sex mit neuen Partnerinnen oder Partnern. Ein Arzt könne eine HIV-Infektion per Blutuntersuchung sechs Wochen nach dem Sex ausschließen, ein Schnelltest sei nach zwölf Wochen verlässlich.






»Wenn Krankheitszeichen auftreten, kann schon viel kaputtgegangen sein«, sagte Wicht. Frühe Symptome wie Fieber, Nachtschweiß und Durchfall hingegen seien nicht eindeutig. »Selbst schwere Immundefekte werden in Arztpraxen oft nicht mit HIV in Verbindung gebracht. Wir sehen manchmal Menschen in Kliniken, die halb tot sind und vorher in vielen Praxen waren«, sagte Wicht. Auch Hausärzte sollten daher ihre Patienten auf eventuelle Risiken ansprechen und einen HIV-Test anbieten.

Eine Heilung von HIV ist bislang – fast – unmöglich. Im Jahr 2008 hatten Ärzte an der Berliner Charité allerdings einen spektakulären Erfolg: Sie hatten einen gleichzeitig an Leukämie und Aids erkrankten Patienten zur Behandlung des Blutkrebses mit HIV-resistenten Stammzellen behandelt – danach war er HIV-negativ. Im Jahr 2020 starb der Mann, weil seine Leukämie zurückgekehrt war.

In London gelang es Ärzten einige Jahre später, den zweiten Krebspatienten weltweit mittels einer speziellen Stammzellspende von dem HI-Virus zu befreien. Weil diese Form der Therapie allerdings hochriskant ist, kommt sie für die Millionen HIV-Infizierten bislang nicht infrage.

Noch keine Impfung in Sicht

Und auch eine Impfung gegen HIV gibt es noch nicht. Während Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Coronapandemie in wenigen Monaten verschiedene Vakzinen gegen Sars-CoV-2 entwickelt haben, ist es bislang keinem Team von Forschenden gelungen, einen Impfstoff gegen HIV zu entwickeln. Die HI-Viren sind besonders komplex und deshalb schwer zu neutralisieren. Sie infizierten Zellen des Immunsystems, in deren DNA sie ihr genetisches Material integrierten, sagt Olivier Schwartz vom Institut Pasteur in Paris. Zudem mutiere das HI-Virus viel leichter als das Coronavirus, daher sei es »schwieriger, Antikörper mit einem breiten Spektrum zu erzeugen, die die Infektion blockieren könnten«.

Derzeit werden mehrere Dutzend Aids-Impfstoffe erprobt. Das Biotechnologieunternehmen Moderna führt derzeit eine klinische Studie mit einem mRNA-Impfstoff gegen HIV durch, die auf derselben Technologie basiert wie die erfolgreichen Corona-Vakzine. »Die Verwendung dieser Technologie eröffnet neue Möglichkeiten, und die machen Hoffnung bei Viren wie HIV«, sagt Gilles Pialoux, Aids-Spezialist und Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenkrankheiten am Krankenhaus Tenon in Paris. Mit endgültigen Ergebnissen wird jedoch erst in einigen Jahren gerechnet.

Die Coronapandemie hat den Kampf gegen Aids zwar einerseits erschwert. »Andererseits wurde noch nie so viel über Gesundheit, Infektionskrankheiten und die kollektiven Anstrengungen gesprochen, die notwendig sind, um eine globale Pandemie zu bekämpfen«, sagt Serawit Bruck-Landais von der französischen Anti-Aids-Kampagne Sidaction. Davon könnte auch der Kampf gegen HIV profitieren. Denn noch sind beide Pandemien nicht besiegt.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen