„Wir können uns Streiks gar nicht leisten!“

Selten hat ein Artikel so viel Resonanz ausgelöst wie der Vorschlag einer gestaffelten Honorarerhöhung von AWA-Chefredakteur Dr. Hubert Ortner. Eine Kritik hat er exemplarisch herausgegriffen und zum Anlass für ein Interview mit dem Urheber genommen. Die überraschende Kernaussage von Dr. Christian Fehske, der stellvertretend für das „Apotheken-Oberhaus“ steht, lautet: Große Apotheken sind genauso unterfinanziert wie kleine.

AWA: Sie kritisieren (siehe Textkasten), dass die Annahme unseres Artikels im AWA 13/2023 („Die Gießkanne hat ausgedient!“), wonach große Apotheken höhere Erträge einfahren würden als kleine, falsch sei. Heißt das, dass kleine Apotheken grundsätzlich höhere Umsatzrenditen erzielen als große?

Fehske: Ich bin mit meiner Apotheke das beste „Gegenbeispiel“ für Ihre Fehlannahme, dass mehr Umsatz gleichzusetzen wäre mit höheren Erträgen. In der Tat fallen die Umsatzrenditen großer Apotheken im Durchschnitt niedriger aus als bei kleinen. Das hat mehrere Gründe. Die Wichtigsten sind:

  • Der in der Regel weit höhere Anteil von Hochpreisern drückt die Gesamtspanne bei großen Apotheken deutlich nach unten.
  • Die Geschwindigkeit der Packungsabgabe lässt sich nicht weiter steigern, solange man seiner Beratungsverpflichtung nach § 20 ApBetrO nachkommt.
  • Große Apotheken decken auch arbeitsintensive, margenschwache Randsegmente wie aufwändige Rezepturen oder die Hilfsmittelversorgung und zudem weniger ertragreiche Randöffnungszeiten ab.

Will heißen, Sie müssen ein viel größeres Rad drehen als kleine Apotheken, doch am Ende bleibt nicht mehr hängen?

Im Grunde ja. Unterm Strich fahren wir dasselbe Betriebsergebnis ein wie Apotheken, die nur ein Viertel unserer Umsätze erlösen.

Ist die Rathaus-Apotheke in Hagen mit ihrem enorm breiten Angebot und dementsprechend hohen Personalkosten eine Ausnahme oder durchaus repräsentativ für das deutsche „Apotheken-Oberhaus“?

Ich halte mich keineswegs für eine Ausnahme. Und ich bin sehr gut vernetzt und tausche mich eng mit Kollegen aus. Glauben Sie mir: Ich kenne keinen einzigen Inhaber einer umsatzstarken Apotheke, der mir hinter vorgehaltener Hand etwas anderes sagt, als dass ihm beim Blick in die BWA für 2023 angst und bange wird…

Das klingt in der Tat düster!

Der Gesetzgeber hat dafür gesorgt, dass die Löhne für PTA und PKA zuletzt so stark gestiegen sind wie nie zuvor – und das gänzlich ohne jede Gegenfinanzierung! Im Gegenteil wurde die Vergütung durch den erhöhten Kassenabschlag sogar noch gesenkt. In jedem „normalen Unternehmen“ würden derart massive Lohnerhöhungen auf die Preise umgelegt, das können wir aber nicht. Das ist eine offene Misshandlung unseres Berufsstandes und hat mit Wirtschaft nichts mehr zu tun!

Dass eine Honorarerhöhung angesichts der massiv gestiegenen Kosten überfällig ist, bestreitet niemand. Mehr als fraglich ist allerdings, ob die ABDA mit ihren üppigen Forderungen in Berlin durchkommt. Hand aufs Herz, Herr Fehske: Glauben Sie wirklich, dass Karl Lauterbach über 3,2 Milliarden Euro zusätzliches Geld für die Erhöhung des Rx-Festzuschlags auf 12 Euro für eine Berufsgruppe mobilisieren wird, die ihm nicht mal eine kurze Stippvisite auf dem Deutschen Apothekertag wert ist?

Meine Hoffnung, dass wir über ihn etwas erreichen werden, ist nicht besonders groß. Und das, obwohl Herr Lauterbach ja öffentlich geäußert hat, dass die Apotheken durch ihren Einsatz während der Corona-Pandemie zu einer geringeren Sterblichkeit beigetragen haben. Dennoch bekommen wir – im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen – noch nicht einmal einen Inflationsausgleich. Insofern bleibt uns nur der Weg über persönliche Gespräche mit den Bundestagsabgeordneten, den ich auch gehe.

Läuft es im Worst Case – es gibt doch keine Honorarerhöhung – darauf hinaus, dass Apotheken sich gezwungen sehen, an der Beratung zu sparen, um wirtschaftlich weiterhin über die Runden zu kommen?

Es ist in der Tat so, dass die Umsatzrendite leidet, wenn Sie als Apotheke ihrer Beratungspflicht nachkommen. Bei uns ist eine „stumme Abgabe“ ohne Beratung verboten, weil wir das als unterlassene Hilfeleistung werten. Deshalb liegt unsere Abgabegeschwindigkeit für Rx-Arzneimittel bei maximal zwölf Gesprächen pro Stunde – mehr geht nicht, wenn man die Kunden vernünftig berät.

Das wäre auch eine der wichtigsten Fragen, die ich Herrn Lauterbach gerne persönlich stellen würde: Möchten Sie uns die Beratung künftig verbieten? Falls nein, müssen Sie uns aber anständig bezahlen!

Wo steht geschrieben, dass Apotheken defizitäre Versorgungsleistungen (z. B. aufwändige Rezepturen oder Hilfsmittel) erbringen müssen? Viele Ärzte machen ihre Praxen schließlich auch zu, wenn sie ihr Budget ausgeschöpft haben.

Der Kontrahierungszwang gilt leider auch für defizitäre Leistungen. Als Apotheker haben wir einen gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag und gerade nicht die Freiheit, diesen auch nur teilweise zu missachten. Sonst drohen Konsequenzen. Wir haben hier keine Wahl.

Wären Leistungskürzungen, wie von Hamburgs Apothekerkammer-Präsidenten Kai-Peter Siemsen vorgeschlagen, ein probates Mittel des „zivilen kaufmännischen Ungehorsams“?

Was wollen Sie denn streichen? Dann fallen Ihnen ja auch sofort die Einnahmen weg. Das gilt übrigens ebenso für Streiks: Die können wir uns gar nicht leisten! Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen haben wir keine prall gefüllten Streikkassen.

Und dann gibt es noch die persönliche Ebene: Meine Mitarbeiter stehen Tag für Tag vor der Mutter mit ihrem herzkranken Kind und wollen ihr helfen. Das ist ja das Perfide: Wir bringen es einfach nicht übers Herz, die Schwächsten in Geiselhaft zu nehmen. Und das wird schamlos ausgenutzt.

Leider haben viele Politiker gelernt: Apotheker haben die schwächste Lobby, mit denen können wir fast alles machen…

Stellungnahme: Große Apotheken sind genauso unterfinanziert wie kleine!

Es gab zahlreiche Reaktionen auf den Artikel „Die Gießkanne hat ausgedient“ im AWA 13/2023.

Eine Kritik davon wurde für das Interview im AWA exemplarisch herausgegriffen, weil sie durchaus repräsentativ für viele große, umsatzstarke Apotheke hierzulande sein dürfte.

So schrieb Dr. Christian Fehske, Inhaber der Rathaus-Apotheke in Hagen, am 10. Juli 2023:

„Mit meiner Apotheke gehöre ich laut ABDA-Apotheken-Wirtschaftsbericht 2023 zu den 230 Apotheken in Deutschland (1,3 %) mit Jahresumsätzen über 10 Mio. €. Zunächst will ich auf die Herausgeber des ABDA-Wirtschaftsberichts verweisen, die deutlich machen, wie wenig aussagekräftig Umsatzzahlen sind, dass Absatzzahlen bzw. Roherträge aber nicht vorliegen. Woraus daher die Vermutung abgeleitet werden mag, dass 11 % der Apotheken bis zu 30 % des Gesamtgewinns aller Apotheken erlösen könnten, bleibt für mich bislang unklar. Daher empfinde ich die daraus abgeleiteten Vorschläge zu einer Umverteilung des Apothekenhonorars nicht nur politisch unglücklich, weil sie gängige Neid-Klischees bedienen – sondern auch inhaltlich unzutreffend begründet und damit riskant, weil sie das Vorhandensein jener mythischen Effizienzreserven suggerieren, die von der ABDA-Präsidentin entschieden zum „Unwort des Jahres 2022“ erklärt worden waren.

Anders als in Ihrem Artikel dargestellt, haben Apotheken mit hohen Jahresumsätzen niedrigere Ertrags-Spannen und höhere Kosten als kleine Apotheken – und das aus mehreren Gründen:

Trotz des für alle Apotheken bestehenden Kontrahierungszwangs dürfte der Anteil an Hochpreisern in großen Apotheken höher liegen als in kleinen, bei denen der Preis für eine Packung bereits den monatlichen Gewinn übersteigen und damit sogar existenzgefährdend sein kann.

Im Marktdurchschnitt lag der Umsatzanteil hochpreisiger Arzneimittel 2021 laut PHAGRO bei 35 % – in meiner Apotheke liegt dieser Anteil aktuell bei gut 46 % des Rx-Umsatzes. Bei einer Apothekenspanne von lediglich 3 % (!) wird damit die Gesamtmarge deutlich gesenkt.

Früher haben sich größere Apotheken vielleicht über Wachstum durch Schließungen von Nachbarapotheken gefreut, über diesen Punkt sind wir inzwischen längst hinweg: Jede geschlossene Apotheke bedeutet zum einen mehr eigene Notdienste – vor allem aber lässt sich auch in großen Apotheken mit neuester Automatisierung und guten Abläufen die Abgabegeschwindigkeit von Packungen nicht unbegrenzt steigern – zumindest solange man seiner Beratungsverpflichtung nach § 20 ApBetrO nachkommt.

Die ABDA-Analyse beschreibt eine Verlagerung von weniger ertragreichen Öffnungszeiten und arbeitsintensiven, ertragsschwachen Randsegmenten von kleineren auf größere Apotheken. Das betrifft u. a. Hilfsmittelversorgungen sowie aufwendige Rezepturen. Diese arbeitsintensiven Randsegmente sowie die weniger ertragreichen Randöffnungszeiten erhöhen in größeren Apotheken den größten Kostenblock aller Betriebe: die Personalkosten.

Insofern beginnen sich die Leistungsspektren größerer und kleinerer Apotheken immer weiter zu unterscheiden. In einer sicherlich angebrachten Honorar-Verteilungs-Debatte wäre es deshalb vollkommen unangebracht, aus einer hohen Packungsabgabe-Zahl oder hohen Umsätzen abzuleiten, dass große Apotheken von der aktuellen Unterfinanzierung aller Apotheken weniger stark betroffen wären als kleinere!

Abschließend noch ein Satz zu dem politischen Mantra „Mehr Geld nur für mehr Leistung“: Von jedem Politiker und jeder Politikerin, die das unerbittlich fordern, wüsste ich zunächst mal gern, welche zusätzlichen Leistungen der Öffentliche Dienst inklusive der Minister und ihrer Mitarbeitenden ab sofort erbringen, um in den Genuss von 5,5 % mehr Gehalt und 3.000 € Inflationsausgleich zu kommen.“

Hier geht es zur ungekürzten Fassung des Interviews, das kürzlich in der AWA-Ausgabe 15-2023 erschienen ist („Das ist offene Misshandlung unseres Berufsstandes!“)


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