Beim Deutschen Apothekertag werden sich die Delegierten in diesem Jahr auch mit dem Prinzip der Selbstverwaltung beschäftigen. Während Kammer und Verband des Saarlands diese stärker in Gesetzgebungsverfahren einbeziehen wollen als bisher, sorgt sich der AVWL um ihre Funktionsfähigkeit – denn allzu oft müsse die Schiedsstelle Entscheidungen herbeiführen, an denen die Selbstverwaltung scheitert.
Die Selbstverwaltung steckt in der Krise. Inzwischen kommt kaum mehr eine Einigung zwischen zwei Verhandlungspartnern zustande, ohne dass diese die Schiedsstelle anrufen müssen. Zudem steht sie nach dem Geschmack der Politik offenbar viel zu häufig auf der Bremse, wenn es um Neuerungen im Gesundheitswesen geht, etwa bei der Digitalisierung. In der Folge entmachtete sie zum Beispiel der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Gematik – seit einigen Jahren hält das Bundesministerium für Gesundheit in diesem Gremium mit 51 Prozent die absolute Mehrheit der Stimmen und kann sich somit bei anstehenden Entscheidungen notfalls über den Willen der Selbstverwaltung hinwegsetzen. Auch dass der Gesetzgeber mit dem ALBVVG kürzlich selbst Hand an die Retax-Möglichkeiten der Krankenkassen legte, zeigt, dass Berlin nicht damit zufrieden ist, wie Beanstandungen der Kassen gegenüber Apotheken bisher geregelt und gelebt wurden.
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Dieser Entwicklung widmen sich zwei Anträge zum diesjährigen Deutschen Apothekertag – allerdings aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die Apothekerkammer des Saarlands und der Saarländische Apothekerverein möchten die Selbstverwaltung wieder stärken: In ihrem Antrag, den sie den Delegierten zur Abstimmung vorlegen werden, wollen sie den Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgeber auffordern, die Selbstverwaltung künftig intensiver an Gesetz- und Verordnungsgebungsprozessen zu beteiligen als es derzeit der Fall ist.
Saarländer kritisieren kurze Stellungnahmefristen und detaillierte Vorgaben
Vor allem seit der Corona-Pandemie sei zu beobachten, dass die Selbstverwaltung zum einen seitens der Politik mit zunehmend detaillierten Vorgaben konfrontiert ist und zum anderen die Stellungnahmefristen zu Gesetzesvorhaben immer kürzer werden – manchmal betragen sie demnach nur wenige Stunden. „Damit wird es der Selbstverwaltung faktisch unmöglich gemacht, ihrem Auftrag zur Gestaltung von (Gesundheits-)Versorgung gerecht zu werden“, kritisieren die Antragsteller in ihrer Begründung. Letztlich nehme die Politik gar die Folgen ihres eigenen Handelns zum Anlass, die Legitimation der Selbstverwaltung in Frage zu stellen, da diese nicht effizient genug arbeite.
Damit ist das Saarland nicht einverstanden. Denn Selbstverwaltung könne nur funktionieren, wenn die Selbstverwaltung zur Entscheidungsfindung ausreichend Zeit erhalte. „Dies ist auch erforderlich, damit eine sachnahe und nachhaltige Lösung der Probleme gefunden werden kann. Nur dann ist es auch der Selbstverwaltung möglich, die von den Entscheidungen betroffenen Akteure ‚mitzunehmen‘, um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen“, betonen Kammer und Verband. „Die Politik ist aufgerufen, der Selbstverwaltung mehr Entscheidungskompetenzen einzuräumen, zumal die Politik ohne die Expertise der Selbstverwaltung keine bedarfsgerechte und effiziente Versorgung der Bevölkerung sicherstellen kann.“
AVWL: Machtmissbrauch durch Krankenkassen unterbinden
Auch der Apothekerverband Westfalen-Lippe befasst sich mit der Rolle der Selbstverwaltung, wählt jedoch eine andere Stoßrichtung als das Saarland. Bekanntermaßen hadert der Verband insbesondere mit dem Gebaren der Krankenkassen, die aus seiner Sicht ihre Macht zu oft missbrauchen – speziell, wenn es um Retaxationen zulasten der Apotheken geht. Daher soll das Apothekerparlament den Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgeber auffordern, durch „geeignete Regelungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) das Prinzip der Selbstverwaltung dahingehend zu konturieren, dass dessen Missbrauch durch bspw. sachwidriges Blockieren von Entscheidungen, zweckwidriges oder gar willkürliches Vorgehen (bspw. bestimmte Retaxationen) unterbunden und, wo erforderlich, sanktioniert wird. Ziel ist es, Funktionsfähigkeit und Effizienz der Selbstverwaltung wiederherzustellen.“
Dem Prinzip der Selbstverwaltung komme im deutschen Gesundheitssystem große Bedeutung zu, führt der Verband in der Begründung zu seinem Antrag aus. Das habe unbestreitbare Vorteile, etwa die Einbeziehung von Leistungserbringern und Krankenkassen, mit der Absicht, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu erreichen. „Zugleich ist damit aber auch die Gefahr von Konflikten verbunden, die die Entscheidungsfindung und die Umsetzung von Vorhaben erschweren, insbesondere wenn es um finanzielle Fragen und die Verteilung von Ressourcen geht.“ Bestehe darüber hinaus ein Machtungleichgewicht zwischen den Akteuren, werden laut AVWL „nicht nur solche Konflikte weiter befeuert, sondern es etabliert sich eine strukturell ungleiche Verhandlungsstärke, die dem Prinzip der Selbstverwaltung letztlich diametral zuwiderläuft“.
Mängel der Selbstverwaltung gehen zulasten der Patienten
Die vermeintlichen Mängel der Selbstverwaltung gingen überdies häufig nicht nur zulasten der Apotheken als Leistungserbringer, sondern beträfen auch die Gesundheitsversorgung der Patientinnen und Patienten. Als Beispiel nennt der Verband das Zuzahlungsinkassos gemäß § 43c SGB – auf die damit verbundenen Probleme hatte AVWL-Chef Thomas Rochell erst kürzlich in einem DAZ-Gastbeitrag hingewiesen.
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„So sinnvoll also das grundsätzliche Prinzip der Selbstverwaltung im Gesundheitssystem ist, so sehr lässt sich mittlerweile nicht mehr leugnen, dass die Krankenkassen übermächtig und einseitig bis hin zur Willkür agieren“, fasst der Verband zusammen. Dem müsse der Gesetzgeber entgegentreten, indem er für eine effiziente Kontrolle der Krankenkassen einschließlich einer fachlich wie personell gut ausgestatteten Beschwerdestelle sorgt. „Letztere sollte beispielsweise auch im Fall einer sachwidrigen Blockadehaltung tätig werden können, sprich die Entscheidung von Krankenkassen ersetzen können (Fachaufsicht).“
Verband fordert Sanktionen für Kassen
Um ein vertragspartnerschaftliches Verhalten auf Seiten der Krankenkassen zu befördern, sollte nach Auffassung des Antragstellers zudem § 27 des Rahmenvertrags um Sanktionen gegenüber den Krankenkassen erweitert werden, vor allem mit Blick auf ungerechtfertigte Retaxationen. „Es entspricht bereits dem Gedanken materieller Gerechtigkeit, nicht nur die Apotheken über eine Sanktionsandrohung zur Einhaltung der vertraglich übernommenen Pflichten zu bewegen. Aber auch der Logik der Selbstverwaltung folgend ist ein Verstoß gegen das die Krankenkassen treffende Pflichtenprogramm ebenso zu sanktionieren.“
Der Deutsche Apothekertag findet in diesem Jahr vom 27. bis 29. September in Düsseldorf statt. Die Anträge, die der DAZ vorliegen, sind bereits von der Antragskommission bearbeitet worden und müssen nun noch den ABDA-Gesamtvorstand passieren. Das soll in der Sitzung am 17. August geschehen.
Karten für den DAT
Sie sind approbierte Apothekerin bzw. approbierter Apotheker und möchten sich auf dem Deutschen Apothekertag anschauen, was die Hauptversammlung so macht? Dann buchen Sie auf www.deutscher-apothekertag.de ein Ticket. Das ist seit dem 1. August möglich.
Kosten fallen für die Karten nicht an. Beworben wird von der ABDA allerdings der Erwerb eines Kombi-Tickets, das neben dem Zutritt zum Deutschen Apothekertag auch zum Besuch der Expopharm an allen Messetagen genutzt werden kann. Dieses Ticket kostet 65 Euro, was dem Preis für eine Expopharm-Dauerkarte entspricht.
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