Opioid-induzierte Hyperalgesie – ein Paradoxon der Schmerztherapie

Im April 2023 forderte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA mehrere Aktualisierungen der Fachinformationen von Opioiden. Darunter fällt auch der Hinweis auf eine Opioid-induzierte Hyperalgesie – ein wenig bekanntes Phänomen der Schmerztherapie mit Opioiden.

Unter einer Opioid-induzierten Hyperalgesie versteht man eine Verstärkung der Schmerzen (Hyperalgesie) oder eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit (Allodynie) unter der Therapie mit Opioiden. Die Zunahme der Schmerzen tritt in der Regel nach einer Dosissteigerung auf. Wird die Therapie geändert, kommt es zu einer raschen Schmerzreduktion.

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Die Opioid-induzierte Hyperalgesie ist von der Opioid-Toleranz abzugrenzen und steht in keinem Zusammenhang mit einer Krankheitsprogression. Obwohl eine Opioid-induzierte Hyperalgesie unter jeder Dosis auftreten kann, ist sie häufiger bei höheren Dosen und bei längerfristiger Anwendung. Die meisten Fallbeschreibungen liegen nach einer Behandlung mit sehr hohen Tagesdosen vor (mittlere orale Morphin-Äquivalentdosis 850 mg).

Wie kommt es zu einer Opioid-induzierten Hyperalgesie?

Die Ursachen einer Opioid-induzierten Hyperalgesie sind vermutlich multifaktoriell. Diskutiert wird unter anderem eine Hochregulierung des zentralen glutaminergen Systems und der N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptoren. Auch eine erhöhte Konzentration von Calcium-Ionen nach dem abrupten Absetzen von Opioiden wird vermutet. So könnten beim schnellen Beenden einer Opioid-Gabe die Opioid-Rezeptoren frei werden. An diese können sich dann freie Calcium-Ionen binden, welche die Nervenzellen für einen langen Zeitraum erregen. Die Langzeitpotenzierung führt dazu, dass die Nervenzellen unter anderem auch für Neurotransmitter und damit auch für die Schmerzübertragung an den Synapsen empfänglich wird. Je mehr Calcium-Ionen sich dabei an den Rezeptoren ansammeln, desto stärker wird der Schmerz empfunden.

Strategien zur Linderung einer Opioid-bedingten Hyperalgesie

Zur Häufigkeit einer Opioid-induzierten Hyperalgesie liegen keine konkreten Zahlen vor, es scheint sich aber um ein eher selten auftretendes Phänomen zu handeln. Zwar wurde in mehreren klinischen Studien das Problem einer Opioid-induzierten Hyperalgesie erfasst, aber meist als unerwünschte Wirkung oder im Rahmen von Fallbeschreibungen. Zur Linderung einer Opioid-bedingten Hyperalgesie werden drei verschiedene Strategien beschrieben:

  • Opioid-Rotation,
  • Opioid-Entwöhnung und
  • der Einsatz adjuvanter Pharmakotherapien.

Teilweise wird ein Wechsel auf den NMDA-Rezeptorantagonisten Ketamin vorgeschlagen.

Europäischer Pharmakovigilanzausschuss erwägt Warnung auf Verpackung

Eine Warnung der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) beruht auf Meldungen des Adverse Event Reporting Systems sowie auf Literaturangaben und betraf 46 Patienten, bei denen nach einer Opioid-Einnahme eine Hyperalgesie auftrat. Bei acht Betroffenen erfolgte dies nach einer kurzfristigen, bei 38 nach einer längerfristigen Einnahme. Die Meldungen betrafen unterschiedliche Opiate, am häufigsten Morphin, Hydro­morphon und Fentanyl/Fentanyl-Analoga. Auch der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) liegen entsprechende Hinweise vor, was diese mehrfach veranlasst hat, das mögliche Auftreten einer Opioid-induzierten Hyperalgesie in die entsprechenden Fachinformationen einzufordern.

Einer aktuellen Veröffentlichung des arznei-telegramms zufolge teilte die EMA auf Anfrage mit, dass der europäische Pharmakovigilanzausschuss eine Warnung vor Opioid-bedingten Störungen auf der äußeren Verpackung erwägt. Das arznei-telegramm weist ferner darauf hin, dass die Fachinformationen der überwiegend national zugelassenen Opioide hierzulande unterschiedlich, teilweise auch gar nicht informieren, und führt hierzu ­einige Beispiele auf. Findet sich ein Hinweis, enthält er beispielsweise folgenden Wortlaut:

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