Weil er Bestellgrenzen für den Impfstoff von Biontech angekündigt hat, steht Gesundheitsminister Jens Spahn massiv in der Kritik. Jetzt soll er sich entschuldigt haben – die bayerischen Hausärzte hatten ihm zuvor „gravierendes Politikversagen“ vorgeworfen und seine Abberufung durch Noch-Kanzlerin Merkel gefordert.
Nach scharfer Kritik an den Plänen des Gesundheitsministeriums, Bestellobergrenzen für Biontech-Impfstoff festzulegen, hat sich Jens Spahn (CDU) offenbar bei den Vertretern der Bundesländer für die Kommunikation entschuldigt. Das Verfallsdatum des Moderna-Impfstoffes sei nicht der entscheidende Punkt für die Limitierung bei den Booster-Impfungen gewesen, räumt er in einer Nachricht ein, die dem Portal "Business Insider" vorliegt.
Es sei demnach "ein Missverständnis", dass Biontech-Impfstoff zurückgehalten werde. Momentan werde alles geliefert, was da sei, so Spahn. Offenbar war das Gesundheitsministerium von den derzeit anziehenden Bestellzahlen überrascht. Allein diese und nächste Woche werden zehn Millionen Dosen Biontech an die Länder ausgeliefert, weshalb kurzfristig zu wenige Rationen des Präparats vorhanden seien.
Spahn wolle sich demnach um eine Beschleunigung bemühen. Die Lieferprognose zeigt jedoch auch: Spahn hat auch im vierten Quartal noch einmal deutlich mehr Moderna bestellt als Biontech. Gleichzeitig wurden im Oktober und November rund 10,5 Millionen Biontech-Dosen an das EU-Ausland gespendet.
Mediziner laufen Sturm gegen Biontech-Beschränkung
Das Ministerium von Jens Spahn (CDU) hatte am Freitag in einem Schreiben an die Länder für die nächsten Wochen Begrenzungen bei den Bestellmengen für den Biontech-Impfstoff angekündigt. Der damals noch angegebene Grund: Das Präparat von Moderna solle bei den Auffrischungsimpfungen vermehrt zum Einsatz kommen. Andernfalls drohten eingelagerte Dosen des US-Herstellers zu verfallen.
Praxen sollten demnach vorerst nur noch maximal 30 Dosen Biontech pro Woche bestellen können, Impfzentren und mobile Impfteams 1020 Dosen. Für Bestellungen von Moderna solle es keine Höchstgrenzen geben, hieß es.
Massive Kritik aus den Arztpraxen
Ärztevertreter üben daraufhin scharfe Kritik und verwiesen auf viele praktische Probleme, die diese Entscheidung mit sich bringen könnte. Befürchtet wurde, dass Menschen, die schon Auffrischungsimpfungen mit Biontech vereinbart haben, zögern könnten, wenn ihnen Moderna angeboten wird. Zudem drohe in den Praxen durch vermehrte Nachfrage und Umbuchungen deutliche Mehrarbeit.
Gleichzeitig ist zu betonen: Auch der Moderna-Impfstoff ist millionenfach verimpft, sicher und verhindert schwere Corona-Verläufe mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit. Die Vertreterin der niedergelassenen Ärzte in Karlsruhe, Marianne Difflipp-Eppele, erklärte nichtsdestotrotz: "Ich fühle mich boykottiert." Für die kommende Woche gebe es noch genügend Biontech-Dosen. Für die übernächste Woche sei dies jedoch bereits unklar.
Hausärzte werfen Spahn "Dilettantismus" vor
Die bayerischen Hausärzte gingen in ihrer Kritik sogar noch weiter: Sie forderten am Samstag die sofortige Abberufung von Jens Spahn durch die noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Diese erneute Sabotage der Impfkampagne für unsere Praxen und für die Menschen, die uns vertrauen, muss umgehend gestoppt werden", hieß es in einem von Markus Beier, Landesvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes und stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, sowie Peter Heinz, Vorsitzender der Allianz fachärztlicher Berufsverbände und Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands, eingebrachten Schreiben.
Beier sprach in einer mündlichen Resolutionsbegründung von "einem Politikversagen des Herrn Spahn" und forderte: "Dieser Minister, auch wenn er nur noch geschäftsführend im Amt ist, verkündet entweder umgehend, dass dieser Schwachsinn sofort zurückgedreht wird, und wir die Impfmengen an Biontech, die wir bestellen, auch geliefert bekommen oder er muss sofort aus dem Amt entfernt werden. Es kann nicht sein, dass das Restvertrauen gerade bei den Menschen, die sich impfen lassen, jetzt in der Booster-Kampagne durch so einen Dilettantismus zerstört wird. Hier wird dem Land, den Menschen, unseren Praxen und der Gesundheit schwerster Schaden zugefügt."
85 Prozent Biontech-Impfungen in Bayerns Praxen
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern haben die Praxen im Freistatt bislang 7.532.717 Corona-Schutzimpfungen durchgeführt. Dabei wurde zu 85,4 Prozent der Impfstoff von Bionech/Pfizer gespritzt. Gerade in den vergangenen Tagen seien bereits Millionen Impftermine in den Praxen vor allem für Booster-Impfungen vereinbart worden, und dies "sowohl explizit als auch implizit für das Vakzin von Biontech/Pfizer", heißt es weiter.
Der Gesundheitsminister hatte am Samstag erstmals auf die auf ihn einprasselnde Kritik reagiert. "Ich weiß, dass diese kurzfristige Umstellung für viele engagierte Helferinnen und Helfer vor Ort in den Arztpraxen und Impfzentren viel zusätzlichen Stress bedeutet. Und das bedauere ich ausdrücklich", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Nachfrage nach Biontech sei zuletzt so stark gestiegen, dass sich das Lager sehr schnell leere. Aus einer Übersicht des Ministeriums geht zudem hervor, dass Deutschland in diesem Monat voraussichtlich fast 8,8 Millionen Dosen Biontech über die Initiative Covax an Drittstaaten spenden wird oder gespendet hat.
Spahn: "Ich verspreche, dass jeder einen guten, sicheren und wirksamen Impfstoff bekommt"
Spahn betonte, mit Biontech und Moderna gebe es zwei exzellente und hoch wirksame Impfstoffe. "Ich kann versprechen, dass jeder, der sich impfen lassen will, einen guten, sicheren und wirksamen Impfstoff bekommt." In manchen Studien zur Wirkung von Auffrischungsimpfungen schneide eine dritte Impfung mit Moderna sogar besser ab als eine mit Biontech.
Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass eine Kreuzimpfung mit dem Moderna-Impfstoff nach zwei Biontech-Dosen die Antikörperspiegel zusätzlich steigern kann. Die Stiko allerdings empfiehlt Geimpften bei dem Vakzin zu bleiben, das sie bei der Grundimmunisierung erhalten haben. Carsten Watzl, einer der führenden Immunologen Deutschlands, erklärte indes: "Für die dritte Impfung sehe ich keinen großen Unterschied zwischen Moderna und Biontech."
Drittimpfung vermutlich bald "Teil des normalen Impfschemas"
Dass allerdings die Astrazeneca- und Johnson & Johnson-Geimpften einen mRNA-Impfstoff als Auffrischung bekommen, ergebe sehr viel Sinn. Die Kreuzimpfung führe zu einem sehr guten Schutz. Insbesonders gegen die mittlerweile quasi ausschließlich in Deutschland vorherrschende Delta-Variante gelten die Vektorimpfstoffe als weniger wirksam. Generell sagen Experten, dass es zweitrangig ist, welches mRNA-Präparat bei der Booster-Impfung verwendet wird. Überhaupt zur Drittimpfung zu gehen, sei das Wichtigste.
Der Mediziner Carsten Watzl sieht diese dabei nicht einmal als Auffrischungsimpfung, sondern als Teil eines normalen Impfschemas, wie er bereits vor einigen Wochen im FOCUS-Online-Gespräch erklärte. Er könne sich vorstellen, dass die Grundimmunisierung gegen Corona künftig generell aus drei Impfungen bestehe. "Immunologisch ist das sinnvoll, weil sich die Immunantwort jedes Mal verbessert, wenn der Körper sich mit dem Erreger beziehungsweise der Impfung auseinandersetzt."
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