Momentan ist die Corona-Lage in den Kliniken in Ordnung – doch es steht ihnen ein harter Winter bevor

Derzeit wird noch diskutiert, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht für das Gesundheitspersonal verlängert wird oder nicht. Doch ein Instrument, um die Kliniken in diesem Winter zu entlasten, ist sie nach Expertenmeinung nicht. Mit steigenden Energiekosten, drohender Grippe- und Coronawelle sehen sich die deutschen Kliniken vor andere Probleme gestellt.

Im Gegensatz zu den letzten Pandemiejahren sei die Situation in diesem Winter deutlich komplexer geworden, sagt Professor Christian Karagiannidis im Gespräch mit dem stern. Er ist Pneumologe und Intensivmediziner der Lungenklinik der Kliniken Köln und Mitglied im Corona-Expert:innenrat der Bundesregierung.

"In den letzten Pandemie-Wintern hatten wir sozusagen nur Covid-19. In diesem Winter wird Sars-CoV-2 weniger Patienten auf die Intensivstation führen, aber zu deutlich mehr Personalausfällen führen. Gleichzeitig werden wir wahrscheinlich Influenza und andere Atemwegsinfektionen sehen. Die Folge: Mehr Patient:innen kommen zu uns und es wird gleichzeitig mehr Personal ausfallen." Außerdem könnten Krankenhäuser durch Inflation und Energiekrise in eine finanzielle Schieflage geraten. Neben den steigenden Kosten kämen auf Kliniken Einnahmeausfälle zu – unter anderem auch durch den akuten und chronischen Personalmangel verursacht.

Mangel an Pflegekräften

Im vergangenen Winter kämpfte diese Klinik gegen eine Corona-Triage. Jetzt ist das Virus nicht mehr die größte Sorge

Die Probleme durch die steigenden Kosten will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds in den Griff bekommen. Aus diesem Fonds soll den Krankenhäusern Geld zur Verfügung gestellt werden. "Kein Krankenhaus wird ein Problem bekommen, weil es Inflation nicht bezahlen kann, den Strom nicht bezahlen kann oder das Gas nicht bezahlen kann", versicherte der SPD-Politiker.

Corona-Lage aktuell in den Krankenhäusern akzeptabel

Aktuell ist die Corona-Lage in den Kliniken akzeptabel, zum Teil bestehen aber auch regional bereits deutliche Belastungen vor allem der Normalstationen, sagt der Experte. Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind die Belegungszahlen von Corona-positiven Patient:innen auf den Normalstationen um rund 15 Prozent und auf den Intensivstationen um zehn Prozent im Vergleich zur Vorwoche gesunken. Wegen des Feiertages könnten die Daten leicht verzerrt sein.

Doch zuletzt ließ sich der Trend beobachten, dass Patient:innen, die wegen einer anderen Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden mussten, im Laufe ihres Aufenthalts positiv auf Corona getestet wurden. Für Ärzt:innen und Pflegepersonal bedeutet das einen erheblichen Mehraufwand: "Wir müssen alle Covid-19-Patient:innen isolieren. Jedes Mal, wenn man in das Zimmer der Patient:innen reingeht, muss man sich immer komplett mit Schutzkleidung anziehen. Also eine Plastikschürze anlegen, Handschuhe, Mundschutz und die Haube anziehen. Auch wenn ein Notfall in dem Zimmer ist, kann ich nicht einfach in dieses Zimmer hinein gehen – ich muss mich vorher erst komplett ankleiden. Das macht sehr viel aus, wenn es viele Patient:innen sind", schildert Christian Karagiannidis.

Ein weiteres Problem: "Wir haben in der Pandemie gesehen, dass sich durch die Corona-Infektion die Grunderkrankung, weshalb ein Patient oder eine Patientin ins Krankenhaus kommt, deutlich verschlechtert. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch die Nebendiagnose mit Covid-19 sehr ernst nehmen." Müssen Corona-Patient:innen auf der Intensivstation behandelt werden, haben sie weiterhin eine sehr schlechte Prognose, sagt Christian Karagiannidis. "Die Patient:innen liegen sehr lange auf der Intensivstation und sie machen auch mit Omikron das durch, was wir auch in den letzten Pandemiejahren durchgemacht haben." Positiv sei, dass es weitaus weniger Fälle gäbe, die eine Lungenentzündung entwickeln als bei vorherigen Corona-Varianten.

Wenn wir in diesem Winter eine ausgeprägte Grippewelle erwarten, wie es viele Expert:innen vermuten, kommt auf das Personal in den Kliniken noch mehr Arbeit zu. Denn: "Auch bei Grippefällen müssen die Patient:innen isoliert werden und nicht wenige können schwer erkranken."

Risikogruppen sollten sich gegen Grippe und Pneumokokken impfen lassen

Christian Karagiannidis betont deshalb die Wichtigkeit, der Impfung gegen Grippe und Pneumokokken – vor allem für Risikogruppen. "Es ist für die Kliniken sehr wichtig, damit wir nicht so viele schwere Fälle bekommen." Dass die Corona-Impfpflicht in Krankenhäusern fortgeführt wird, hält Christian Karagiannidis dagegen nicht für elementar, um die Kliniken zu entlasten. "Wir haben im stationären Sektor bundesweit extrem hohe Impfquoten – eine Impfpflicht spielt hier keine große Rolle." Auch tägliche Tests für das Personal hält der Experte diesen Winter nicht für notwendig. "Mit den Schnelltests können wir ohnehin nur Personal herausfiltern, das eine hohe Viruslast hat und einen täglichen PCR-Test lehne ich ab." Viel wichtiger sei es, dass Ärzt:innen und Pfleger:innen ihre Maske richtig tragen, so sei die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung sehr gering – selbst wenn jemand infektiös ist.

Angesichts eines harten Winters müssten sich Krankenhäuser im ganzen Land so vorbereiten, dass sie alle Notfallpatient:innen gut versorgen können. Kliniken sollten sich deshalb gut vernetzen, damit Patient:innen in einer Region gut verteilt werden. Es werde auch in diesem Winter passieren, dass das normale Tagesgeschäft mit vielen Routineeingriffen nicht so aufrechterhalten werden könne, wie es sich Ärzt:innen wünschen. Es sei ein großes Problem, dass die Personaldecke extrem dünn geworden ist, schildert Christian Karagiannidis. "Wir haben es in der Sommerwelle und auch im Herbst gemerkt, dass wir Betten nicht betreiben können, weil alle Kompensationsmechanismen des Personals aufgebraucht sind."

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Kliniken brauchen dringend Reformen

Die Pandemie hat die Schwächen des Gesundheitssystems noch einmal verdeutlicht. "Seit der Einführung der Fallpauschale vor 20 Jahren gab es keine wirklichen wegweisenden Reformen im Gesundheitssystem." Heißt: Krankenhäuser können bei der Krankenkasse nur Fälle abrechnen die unterschiedlich gut vergütet sind. Sprechende Medizin oder gar gute Pflege wird nicht oder kaum vergütet. "Es wurden keine Reformen unternommen, obwohl wir wissen, dass dieses System in eine falsche Richtung geht und obwohl wir seit 20 Jahren wissen, dass vor uns ein demografischer Tsunami liegt. Was ich damit meine: Durch die demografische Entwicklung verlieren wir definitiv noch mehr Pflegekräfte. Gleichzeitig werden wir mehr ältere Patient:innen und weniger Beitragszahler:innen haben. Wir hätten vor zehn Jahren Reformen anstoßen müssen. Wir kommen aus diesem ganzen Schlamassel nur noch raus, wenn das Gesundheitssystem ganz grundlegend reformiert wird", sagt der Experte. Christian Karagiannidis wolle eine gewisse Ökonomie nicht verteufeln – doch in Deutschland hätten wir die absolute Extremform davon.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach will das Gesundheitssystem reformieren. Dabei soll die ambulante und stationäre Versorgung besser verzahnt werden. Außerdem sollen Geburtshilfestationen sichergestellt werden und Kinderkliniken entlastet werden. Der Gesundheitsminister kündigte an, die Fallpauschale bei den Kinderkliniken zu überwinden. Allerdings liegt die Krankenhausplanung in Länderhand – der Bund kann an dieser Stelle also nicht alleine entscheiden.

Der kranke Mensch wird im Gesundheitssystem zu sehr übersehen

"Ein Grundproblem des jetzigen Systems ist, dass viele Gesundheitsökonom:innen und Entscheidungsträger:innen viel zu technokratisch denken und zu wenig humanistisch. Der humanistische Ansatz ist in den letzten 20 Jahren verloren gegangen. Man orientiert sich viel zu wenig daran, dass da ein kranker Mensch ist", sagt Christian Karagiannidis. Heißt also: Es werde sich viel zu sehr an großen, gut bezahlten Leistungen orientiert und notwendige Gespräche würden in dieses System nicht reinpassen. Wichtig sei auch, dass ähnlich wie bei der Feuerwehr auch die Vorhaltung bezahlt werde. Es müsste also auch bezahlt werden, dass Krankenhäuser mit hoher Spezialisierung vorgehalten werden und  Menschen permanent dort arbeiten und nicht erst die Behandlung vergütet wird.

Der Experte hält es mit Blick auf die immer älter werdende Bevölkerung für notwendig, dass vor allem kleine Kliniken in Ambulant-Stationäre-Zentren umgebaut werden. "Ich stelle mir ein modernes Konzept mit Akutpflege und einer Integration von niedergelassenen Ärzt:innen vor. Ein Ort, an dem man sich in erster Linie darum kümmert, dass ältere und/oder pflegebedürftige Menschen menschlich und pflegerisch versorgt werden." Von der Idee, alle kleinen Krankenhäuser zu schließen, halte er wenig. Dass es in Deutschland so viele Krankenhäuser gebe, sei eine riesige Chance, um die älteren Patient:innen auch außerhalb der Ballungszentren gut versorgen zu können, sie müssen sich nur wandeln. Denn: "Gerade Demenzpatient:innen haben einen Betreuungsaufwand, der mit dem eines Kleinkindes vergleichbar ist. Dafür bräuchten wir viel mehr Personal, dass sich um die Patient:innen kümmert. Die Grundidee in der breiten Versorgung der älteren Bevölkerung ist gerade, dass das Personal für die Menschen Zeit hat und nicht damit beschäftigt ist, zigtausend Untersuchungen bei ihnen durchzuführen", sagt Christian Karagiannidis.

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