Heute steht die erste Lesung des Lieferengpass-Gesetzes auf der Tagesordnung des Bundestags. Mit einem Antrag will die Linksfraktion kurzfristig noch Anpassungen am Entwurf erreichen – unter anderem die Abschaffung der Rabattverträge und Streichung der Importförderklausel. Zudem will sie den Vertriebsweg Hersteller – Großhandel – Apotheke stärken und den Sicherstellungsauftrag der Pharmaindustrie nachschärfen.
Wie lassen sich Lieferengpässe bei Arzneimitteln künftig wirksam verhindern? Mit dem aktuell vorliegenden Entwurf des ALBVVG wird das nicht gelingen, glaubt die Linksfraktion im Bundestag. Kurz bevor das Parlament sich am heutigen Mittwochabend erstmals mit dem Lieferengpass-Gesetz befassen wird, legt sie daher einen Antrag vor, der wesentliche Anpassungen am Entwurf vorsieht (Drucksache 20/6899).
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Aus Sicht der Linken sind Koalition und Regierung bisher nicht in ausreichendem Maße bereit gewesen, die Sicherheit der Arzneimittelversorgung „als öffentliches Gut anzusehen und Eingriffe in die wirtschaftliche Freiheit der Pharmakonzerne auf der einen Seite in Erwägung zu ziehen und auf der anderen Seite wettbewerblich orientierte Kostendämpfungsmaßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu hinterfragen“.
Robuste Lieferketten statt Rückverlagerung der Produktion nach Europa
Statt die Hersteller stärker in die Pflicht zu nehmen als bisher, werde reflexartig mehr Geld gefordert, um die Arzneimittelproduktion nach Europa beziehungsweise Deutschland zurückzuholen. „Allerdings gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die renditegetriebenen Ziele der Industrie und die Rationalisierung von Produktionsprozessen zur Steigerung der Effizienz dann nicht mehr gelten würden“, gibt die Oppositionsfraktion zu bedenken. „Auch die Vorstellung, mit einer Herstellung in der EU würden auch Staaten der EU prioritär beliefert werden, setzt den politischen Willen voraus, der Industrie entsprechende Ausfuhrbeschränkungen oder Lieferverpflichtungen aufzuerlegen.“ Stattdessen sollten die Hersteller dem Antrag zufolge nachweisen, dass etwa eine ausreichende Diversifizierung in der Wirkstoffproduktion, robuste Lieferketten auch für Hilfsstoffe und Verpackungsmaterial, robuste Produktionsprozesse der Fertigarzneimittel sowie ausreichende Vorratshaltung zur Überbrückung kurzfristiger Engpässe bestehen, um eine Zulassung für den Marktzugang in der EU beziehungsweise in Deutschland zu erhalten.
Kritisch sieht die Linke auch, dass der Sicherstellungsauftrag, den die Hersteller laut § 52b Arzneimittelgesetz (AMG) haben, in Bezug auf Versorgungssicherheit durch nichts konkretisiert sei. „Es gibt keine gesetzlichen Auflagen zur Verhinderung eines Engpasses und entsprechend auch keine Überwachung oder Sanktionierung, selbst wenn ein Engpass durch das Unternehmen selbst verschuldet oder billigend in Kauf genommen wurde.“ Die geltenden Kompetenzen von Bundesbehörden, bei einem vorliegenden oder direkt bevorstehenden Engpass zu reagieren, seien erstens unzureichend und ermöglichen zweitens nur das Verwalten von Engpässen, verhinderten sie aber nicht.
Weg mit den Rabattverträgen
Eine Wurzel des Übels sieht die Linke in den Arzneimittel-Rabattverträgen, die Krankenkassen mit Herstellern schließen. „Neben vielen Problemen in der Versorgungsqualität und der Transparenz haben Rabattverträge immer wieder zu Engpässen und letztlich zu einer teilweise massiven Verengung und damit auch Oligopolisierung der Anbieter geführt“, bemängelt die Oppositionsfraktion. Mit dem Grundsatz „Billig geht vor sicher“ müsse endlich Schluss sein. „Im Interesse der Versorgungsqualität und -sicherheit ist es an der Zeit, in diesem Segment der Generika Druck herauszunehmen und Versorgungsqualität, Adhärenzförderung und Versorgungssicherheit zu priorisieren.“
Der Deutsche Bundestag soll daher die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem „alle Mittel des deutschen Rechts genutzt werden, um den Sicherstellungsauftrag der pharmazeutischen Unternehmen in § 52b AMG im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben mit Leben zu füllen“. Darunter versteht die Fraktion etwa eine behördliche Überwachungsermächtigung sowie Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Herstellern beim Auftreten selbst verschuldeter oder billigend in Kauf genommener Engpässe.
Zudem soll ein Frühwarnsystem für drohende oder bestehende Lieferengpässe etabliert werden, das auch dann greift, wenn der Arzneimittelbedarf nur teilweise gedeckt werden kann. Anreize zur Verlagerung von Produktionskapazitäten in die EU beziehungsweise nach Deutschland sollen überdies durch klare Auflagen für mehr Versorgungssicherheit (Diversifizierung von Herstellungs- und Zulieferunternehmen, robuste Lieferketten etc.) flankiert werden. Des Weiteren erneuert die Linke ihre seit Jahren immer wieder vorgetragene Forderung, das bestehende Rabattvertragssystem zu kippen und durch „eine maßvoll verschärfte Festbetragsregelung“ zu ersetzen. Auch die Importförderklausel soll dem Antrag zufolge fallen.
Vertriebsweg Hersteller – Großhandel – Apotheke stärken
Ein Dorn im Auge sind der Linken auch Arzneimittel, die von anderen Akteuren als den Herstellern aus Deutschland in Staaten verbracht werden, die ein höheres Preisniveau aufweisen. „Verschiedene Hersteller vor allem von hochpreisigen, patentgeschützten Arzneimitteln reagierten darauf, indem sie diese Arzneimittel verknappen, also kontingentieren“, erläutert die Fraktion. Apotheken würden dadurch in den problematischen Direktvertrieb gedrängt, müssten also die Präparate direkt von den Herstellern beziehen. „Das widerspricht in dieser Breite klar dem Auftrag nach § 52b Abs. 2 AMG, wonach ‚pharmazeutische Unternehmer […] im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung vollversorgender Arzneimittelgroßhandlungen gewährleisten‘ müssen“, merkt die Linksfraktion an. Daher gelte es, den Vertriebsweg Hersteller – Großhandel – Apotheke zu stärken und den Arzneimittel-Zwischenhandel, den nicht vollversorgenden Pharmagroßhandel, den Direktvertrieb, die Arzneimittelvermittlung und insbesondere die Ausfuhr von Arzneimitteln durch andere Akteure als die Hersteller auf „versorgungswichtige Einzelfälle“ zu beschränken.
Dass sich die Linksfraktionen mit ihren Vorschlägen durchsetzt, ist allerdings kaum anzunehmen.
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