Lauren Ramoser lebt ohne Geruchssinn – so geht es ihr damit

Frau Ramoser, ein Leben ohne Geruchssinn ist für viele Menschen nur schwer vorstellbar. Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie nichts riechen können?

Ich war bereits ein Teenager, 13 oder 14. Mir persönlich ist es auch nicht aufgefallen, sondern meiner Chemielehrerin. Wir haben im Unterricht Säuren durchgenommen, und alle sind beim Experimentieren einen Schritt zurückgegangen. Und ich bin noch einen Schritt näher ran gegangen, weil ich gar nichts bemerkt habe. Meine Lehrerin hat dann nach der Stunde meine Mutter angerufen und gesagt: ‚Mit Lauren stimmt etwas nicht.‘

Haben Sie davor nie einen Verdacht gehabt?

Nein, meine Eltern und ich hatten das nicht auf dem Schirm. Natürlich sieht man nach so einer Diagnose viele Situationen noch einmal in einem anderen Licht. Und da es eben angeboren ist, hatte ich nie einen Vergleich – und wusste nicht, dass mir eigentlich ein Sinn fehlt.

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Was ist nach dem Anruf der Lehrerin passiert?

Wir sind zum HNO-Arzt gegangen, dort habe ich einen Test gemacht. Eine Arzthelferin hielt mir Sticks unter die Nase, die Gerüche absonderten. Sie haben mich damals an Textmarker erinnert. ‚Sag einfach, was du riechst‘, hat die Helferin gesagt. Ich habe nichts gerochen – bei keiner einzelnen Probe. Sie wurde dann ganz ungehalten und meinte, sie müsse aber etwas aufschreiben. Bei der nächsten Probe habe ich einfach gesagt: ‚Das hier riecht frischer.‘ Wahrscheinlich war es aber nur der Luftzug der Bewegung, den ich gespürt habe, als sie es mir unter die Nase gehalten hat. Es folgten dann noch einige MRT-Untersuchungen. Und am Ende stand die Diagnose: Ich habe keinen Riechkolben. Dieses Organ liegt hinter der Nase und verteilt Informationen über Gerüche in die entsprechenden Bereiche im Gehirn. Es ist essenziell für den Geruchssinn.

Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?

Hätte man mir nicht gesagt: ‚Geruch gehört dazu‘, wäre mir das wahrscheinlich nie aufgefallen. Im Alltag macht sich das in ganz konkreten Situationen bemerkbar: Ich merke zum Beispiel nicht, ob ich einen Körpergeruch entwickelt habe. Somit ziehe ich alle meine Klamotten nur einmal an und wasche vieles kaputt. Auch bei Lebensmitteln muss ich sehr vorsichtig sein, weil ich nicht überprüfen kann, ob bestimmte Sachen schon verdorben sind.

Apropos Essen: Es heißt ja immer, Geschmacks- und Geruchssinn seien eng verknüpft. Können Sie „normal“ schmecken?

Mein Geschmackssinn funktioniert an sich, ist aber durch den fehlenden Geruchssinn beeinträchtigt. Ich bin kein Lust-Esser. Ich esse das, was gegessen werden muss, weil ich es eingekauft habe. Und ich würze mit Grundgeschmäckern: Ich mag zum Beispiel salziges Essen, aber das ist ja nicht wirklich gesund. Auch scharf esse ich gern, aber das ist ja in dem Sinne kein Geschmack, sondern eher eine Art Schmerzwahrnehmung. Was Gewürze angeht, habe ich vieles auswendig gelernt – zum Beispiel, dass Oregano in die Tomatensoße kommt. Wenn ich für andere Leute koche, ist das Feedback immer ganz positiv. Aber klar, ich stelle es jedem frei, nachzuwürzen. Für mich allein verwende ich kaum Gewürze.

Ihr Lieblingsessen?  

Getoastetes Vollkornbrot mit Avocado-Creme, Meersalz und grob gemahlenem Pfeffer. Ich esse gerne nach Konsistenz, weniger nach Geschmack. Ich mag, wenn verschiedene Konsistenzen im Mund zusammenkommen. Ich backe auch gerne selbst Brot und stelle mir vor, dass das sehr gut riechen muss.

Gibt es Bemerkungen über Ihren fehlenden Sinn, die Sie stören?

Die meisten sagen: ‚Aber dein Geschmackssinn, der ist normal, oder?‘ Darüber machen sich tatsächlich viele Menschen Gedanken. In akuten Situationen bekomme ich manchmal zu hören: ‚Jetzt kannst Du aber froh sein, dass Du nichts riechst.‘ Ich weiß, das ist nett gemeint. Aber ich frage mich: Würde man das auch zu jemandem sagen, der blind ist? Sei froh, dass Du dieses oder jenes gerade nicht sehen musst? Mir fehlt ein Sinn, der ja Sinn hat. Der Geruchssinn ist auch ein Warnsystem. Ich glaube nicht, dass es ein Vorteil ist, ihn nicht zu haben.

Was denken Sie – warum sagen Menschen so etwas?

Ich glaube, es ist ein Versuch, dem Thema die Schwere zu nehmen. Viele werden bei dem Thema einfach unsicher. Früher habe ich dann oft nur genickt. Heute sage ich auch, dass ich den Satz schwierig finde.

Gibt es Gerüche, die Sie erahnen können?

Nein, ich rieche wirklich nichts. Manchmal habe ich kleine sentimentale Momente, wenn ich allein bin. Dann halte ich meine Nase in die Kaffeedose und atme ganz tief ein. Hinten auf die Zunge legt sich dann etwas Kaffeegeschmack, und dann denke ich mir: Vielleicht fühlt sich Riechen so an. Aber letztlich weiß ich es nicht. Meine Mutter hat immer gesagt, sie könne mich aus Tausenden Kindern am Geruch erkennen. Sollte ich eines Tages eigene Kinder haben, werde ich diese Erfahrung nicht machen können. Ich werde auch nie wissen, wie mein Partner riecht. Nicht umsonst sagt man ja: Man kann sich gut riechen. Das macht mich manchmal traurig.

Sie haben einen Podcast herausgebracht – „Leben ohne Sinn“. Darin sprechen Sie mit Menschen, denen andere Sinne fehlen: Sie können nicht schmecken, nicht hören oder keine Schmerzen empfinden. Warum haben Sie sich für dieses Projekt entschieden?

Ich wünsche mir, dass sich Menschen mehr mit dem Thema auseinandersetzen und sich vielleicht auch in Betroffene hineinversetzen: Was bedeutet es im Alltag, nichts hören, nichts sehen zu können? An einem Sinn hängt ja viel mehr als man im ersten Moment erwarten würde. Ich habe auch vieles über andere Sinne gelernt, die ich habe und über die ich mir eigentlich wenig Gedanken gemacht habe.

Die ersten zwei Folgen des Podcasts können Sie hier anhören:

Zum Beispiel?

Vor dem Podcast-Projekt konnte ich mir zum Beispiel vorstellen, meinen Geschmacksinn gegen einen Geruchssinn einzutauschen. Nach dem Gespräch mit einer Betroffenen denke ich darüber anders. 

Was schätzen Sie: Gibt es in der Gesellschaft ein grundsätzliches Verständnis für Menschen, denen ein Sinn fehlt?    

Ich glaube, das kommt ganz darauf an. Für gehörlose oder blinde Menschen gibt es sicher eine größere Öffentlichkeit – und das ist auch gut so. Anders ist das bei Menschen, denen man auf den ersten Blick nicht anmerkt, dass sie eine Sinneseinschränkung haben: Menschen ohne Geschmacks- und Geruchssinn zum Beispiel, aber auch solche, die kein Schmerzempfinden haben. Es macht einen großen Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung, ob man Menschen ihr Schicksal „ansieht“ – und Schicksal ist in diesem Zusammenhang nicht negativ gemeint. 

Gibt es einen Geruch, den Sie besonders gerne kennenlernen möchten?  

Ja, ich glaube, ich habe sogar einen Lieblingsgeruch.

Wie das?

Beate, eine der blinden Protagonisten des Podcasts hat mir erzählt, dass sie eine Lieblingsfarbe hat: Rot. Warum Rot, habe ich sie gefragt. Und sie meinte: Weil ihr die Assoziationen gefallen – Rot steht für Liebe, für Wärme. Da dachte ich mir, dass ich auch einen Lieblingsgeruch haben kann: ein Wald nach Sommerregen, wenn noch die Feuchtigkeit in der Luft hängt und die Sonne durch die Baumwipfel scheint. Ich weiß nicht, ob sich das auf den Geruch auswirkt, aber ich stelle mir das sehr schön vor. Ich mag diese Szenerie unheimlich gern.

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