Die Chemie-Professorin Monika Mazik von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg schlägt in einem Journal der „European Federation for Medicinal Chemistry“ (EFMC) vor, eine Therapie gegen COVID-19 zu erforschen, die aus sechs Komponenten besteht, die bereits bekannt und zugelassen sind. Dabei stellt sie vor allem das Flavonoid Rutin in den Fokus, aber auch Stoffe wie Vitamin D – die einzeln bislang kritisch beurteilt wurden. Wäre eine Kombinationstherapie vielversprechender?
„Bei meinen Recherchen bin ich immer wieder auf Rutin gestoßen. Das breite pharmakologische Wirkungsspektrum von Rutin ist bemerkenswert“, sagt die Chemie-Professorin Dr. Monika Mazik von der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Rutin ist ein Naturstoff, den viele Pflanzen als Farbstoff bilden, mit einer schützenden Wirkung gegen UV-B-Strahlung. Je höher die Pflanze über dem Meeresspiegel wächst, desto höher ist oft der Rutin-Gehalt der Pflanzen.
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Das gelbfarbene Glykosid eines Polyphenols, das zur Gruppe der Flavonoide gehört, wird bereits seit fast einhundert Jahren als Arzneimittel eingesetzt. Seine antioxidative Wirkung ist nachgewiesen, eingesetzt wird es häufig im Zusammenhang mit Erkrankungen der Gefäße. Unter anderem ist es als Venentherapeutikum zugelassen.
Mazik stieß zu Beginn der COVID-19-Pandemie auf den Naturstoff, bei intensiven Literaturrecherchen zu möglichen Heilmittel-Ansätzen gegen das SARS-CoV-2-Virus. Unter anderem gibt es eine Arbeit indischer Forscher im „Journal of Traditional und Complementary Medicine“, die im Computer – in silico – Dockinganalysen mit Rutin und Proteinen des SARS-CoV-2 durchführten sowie etliche weitere Veröffentlichungen. Naturstoffe und die Analyse von Zellrezeptoren gehören auch zum Forschungsgebiet der Chemikerin, womit ihr Interesse für den vielversprechenden Kandidaten Rutin geweckt wurde. Etwa das virale Protein 3CLpro, die 3-Chymotrypsin-ähnliche Protease, sollte sich mit dem Flavonoid hemmen lassen, auch das als Viruseintrittsrezeptor bekannte ACE2, das auf humanen Zellen exprimierte Angiotensin-konvertierende Enzym 2, ist ein möglicher Bindungspartner für Rutin. „Dadurch hat das Flavonoid die Möglichkeit, in die verschiedenen Phasen des viralen Lebenszyklus des SARS-CoV-2-Virus einzugreifen und bei Infektionen mit verschiedenen Virusmutationen zu wirken“, erklärt Mazik.
Literaturrecherche führte zu den sechs Wirkstoffen
„Dann habe ich noch intensivere Recherchen betrieben und bin auf weitere Wirkstoffe gestoßen, von denen zum Teil eine synergistische Wirkung mit Rutin bekannt ist“, sagt die Forscherin. So wird Rutin oft gemeinsam mit Vitamin C (Ascorbinsäure) als Kombipräparat dargeboten. Auf Vitamin C hat Rutin unter anderem eine bekannte stabilisierende Wirkung.
Nicht nur diese Recherche habe die Professorin dazu gebracht, in einem Artikel darzulegen, warum diese bereits bekannten Wirkstoffe als Kombinationstherapie gemeinsam eine heilsame Wirkung bei COVID-19 haben können. Sie hat den Artikel jetzt im Fachmagazin ChemMedChem veröffentlicht, mit dem Titel „Vielversprechender therapeutischer Ansatz gegen SARS-CoV-2-Infektionen durch Nutzung einer Rutin-basierten Kombinationstherapie“. Darin legt sie die wahrscheinliche Wirkung von insgesamt sechs kombinierten Wirkstoffen dar.
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Neben Rutin und Vitamin C sind das noch der COX-1- und COX-2-Hemmer Acetylsalicylsäure („Aspirin“) sowie Vitamin D, Magnesium und Calcium. „Mehrere Studien liefern starke Belege für einen kausalen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Status und dem erhöhten Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung. Aufgrund der vielen ermutigenden Daten erfährt der Einsatz von Vitamin D3 zur Verringerung des Schweregrads von SARS-CoV-2-Infektionen große Aufmerksamkeit. Die synergistische Wirkung von Vitamin D, Magnesium und Calcium weist darauf hin, dass die beiden Mineralien berücksichtigt werden müssen. Außerdem gibt es im Zusammenhang mit COVID-19 Hinweise darauf, dass höhere Level im Blut mit weniger schweren Verläufen assoziiert seien“, schreibt Mazik in ihrem Artikel. Einzeln betrachtet wird Vitamin D im Zusammenhang mit COVID-19 derzeit jedoch ausdrücklich nicht empfohlen:
In der „Living Guideline“, den „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ heißt es zu Vitamin D ausdrücklich:
„Vitamin D3 soll nicht zur COVID-19-Behandlung verabreicht werden.“
In diese Empfehlung seien neben der fehlenden Evidenzgrundlage auch die breite Verfügbarkeit bei niedrigen Kosten, das Vermeiden von Fehlanreizen zur Selbstmedikation und potenziell schädliche Wirkungen durch Überdosierung einbezogen worden. (dm)
Im Hinblick auf das Problem der Co-Infektionen bei Patienten mit COVID-19 werde in der Literatur die Notwendigkeit einer Kombinationstherapie mit Nicht-Anti-SARS-CoV-2-Mitteln angesprochen. In Anbetracht der Co-Infektionen sei die Verwendung von Aspirin in niedrigen Dosen von Bedeutung, schreibt Mazik. Darüber hinaus wiesen einige Studien darauf hin, dass die Einnahme von niedrig dosiertem Aspirin (100 Milligramm pro Tag) zu einem deutlich milderen Verlauf der COVID-19-Erkrankung führte. In der britischen RECOVERY-Studie konnte ASS das Überleben von hospitalisierten COVID-19-Patienten jedoch nicht verbessern.
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„Einige Beobachtungen und Erfahrungen deuten auf eine gute Wirkung dieser konzeptionellen Kombinationstherapie hin, insbesondere in den frühen Stadien der Infektion, und es gibt starke Hinweise auf die Verhinderung eines schweren Krankheitsverlaufs“, sagt die Forscherin.
Antivirale Wirkstoffe waren bei Beginn der Recherche noch nicht in Sicht
Als sie mit ihrer Recherche begonnen habe, seien antivirale Wirkstoffe wie Remdesivir oder Paxlovid noch nicht in Sicht gewesen. Die Kombinationstherapie mit dem Naturstoff versteht Mazik lediglich als Anregung, diese mögliche günstige Therapie mit bereits bewährten Wirkstoffen konkret im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 auch in präklinischen und klinischen Tests zu belegen. Bislang sucht die Professorin dafür aber noch nach Kooperationspartnern, die diese Arbeiten durchführen könnten.
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