Intensivpfleger warnte Lauterbach vor Klinik-Desaster – eine Antwort erhielt er nie

In deutschen Kinderkliniken spielen sich in diesen Tagen offenbar regelrechte Dramen ab, wie FOCUS-online-Leser berichten. Daran ist nicht nur die aktuelle RSV-Welle schuld. Krankenpfleger Ricardo Lange ist entsetzt und sagt: „So darf es nicht mehr weitergehen“.

Es klingt wie ein Alptraum, ist aber keiner. „Meine Tochter war am 26.11.2022 abends in der Notaufnahme in der Kinderklinik Wolfsburg“, berichtet ein FOCUS-online-Leser. „Es hieß, wir könnten entweder sechs Stunden warten oder auf die Behandlung verzichten.“

Aber nicht nur diese Aussage schockierte ihn, sondern auch das, was er um sich herum beobachtete. „Da nicht ausreichend Stühle vorhanden waren, lagen Eltern mit ihren teilweise schwerverletzten oder erkrankten Kindern in den Fluren“, schreibt er.

Besonders im Gedächtnis blieb dem Leser eine Frau, die mit ihrem Sohn in der Klinik wartete. „Es bestand der Verdacht auf eine Gehirnblutung. Die Mutter sollte auf Pupillenaktivitäten achten und musste den Jungen wach halten“, heißt es in seiner Mail.

Kinderkliniken arbeiten am Limit

Eltern, die mit ihren Kindern auf den Krankenhausfluren liegen, Mütter, die den Gesundheitszustand ihrer Kinder im Ernstfall selbst überwachen müssen?

Es sind Zustände, wie man sie vielleicht in einem Entwicklungsland erwarten würde. Doch überlastete Kinderkliniken, in denen kein einziges Bett mehr frei ist, gehören inzwischen auch hierzulande zur Realität.

Ricardo Lange, Jahrgang 1981, überraschen diese Zustände nicht. Er ist gelernter Intensivpfleger und wütend über das, was sich in deutschen Kinderkrankenhäusern abspielt. Am Sonntagabend schrieb er deswegen einen Beitrag auf Twitter.

„Insider-Information: Kinderklinik in Frankfurt – Mütter liegen mit ihren Kindern auf dem Flur. Eins davon ist gerade mal wenige Tage alt“, heißt es darin. „Keine Betten, kein Personal. So darf es nicht weitergehen!“

Wie ernst die Lage ist, zeigen nicht nur Berichte von Lesern oder Langes Tweet. Mehrere Kinderkrankenhäuser, unter anderem die Uniklinik Augsburg und ein Nürnberger Klinikum, bestätigten dem „Bayerischen Rundfunk“, dass die „Bettenkapazität ausgeschöpft“ ist.

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RS-Virus macht den Kliniken zu schaffen

Ärzte zeichnen ein ganz ähnliches Bild – zum Beispiel Dominik Schneider, Direktor des Klinikums Dortmund. „Kinderkliniken überall randvoll!“, schrieb er vor wenigen Tagen auf Twitter.

Und Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), sagte der Funke-Mediengruppe: „An einem Großteil der Tage sind die Klinken so voll, dass keine Kinder mehr aufgenommen werden können und neue Fälle in andere Kliniken verlegt werden müssen.“

Für die angespannte Situation gibt es mehrere Erklärungen. Zum einen steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die an Atemwegserkrankungen leiden. Besonders Infektionen mit dem RS-Virus (Respiratorischen Synzytial-Virus) grassieren derzeit.

Der Erreger wird von Mensch zu Mensch übertragen und löst in der Regel leichte Atemwegsinfektionen aus. Bei Risikopatienten wie Frühgeborenen kann das RS-Virus aber auch lebensgefährlich sein.

Chronischer Personalmangel sorgt für Engpässe

Laut Robert-Koch-Institut sind es vor allem Kleinkinder, die immer häufiger deswegen in Krankenhäusern behandelt werden. Doch auch in den Altersgruppen bis 14 Jahre liegen die Werte auf einem sehr hohen Niveau.

Die RSV-Infektionswelle ist allerdings nicht der einzige Grund dafür, dass viele Kinderkliniken am Limit arbeiten. Es gibt auch altbekannte Probleme, die die jetzige Lage verschärfen.

Eines davon ist der chronische Personalmangel im Gesundheitswesen. Seit Jahren gibt es Berichte über Engpässe, geändert hat sich daran bis heute wenig. Im Gegenteil: Die Corona-Krise hat die Lage noch verschärft.

Laut Gerald Gaß, dem Vorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), konnten im vergangenen Jahr 8000 Arbeitsplätze auf den Intensivstationen und 14.000 Stellen für examinierte Pflegefachkräfte in den Kliniken nicht besetzt werden.

Intensivpfleger Ricardo Lange kritisiert Pflegenotstand seit Jahren

Dass es zu wenig Personal gibt, fällt gerade dann auf, wenn Kliniken viel Zulauf bekommen – zum Beispiel jetzt während der RSV-Welle.

Entweder kündigen Mitarbeiter wegen Überlastung, was wiederum Mehrarbeit für die Kollegen bedeutet. Oder sie gehen in Elternzeit und arbeiten anschließend nicht mehr 40 Stunden die Woche. imago stock&people Eine Kinderklinik von innen.

Dazu kommt laut Gaß, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhe- oder Vorruhestand gehen. Und der Nachwuchs fehlt, weil Pflegefachkraft heutzutage offenbar für weniger Menschen ein attraktiver Beruf ist.

Intensivpfleger Lange kritisiert den politisch hingenommenen Personalnotstand im Pflegesektor schon seit geraumer Zeit.

„Das sieht man schon beim Thema Corona. Vor zwei Jahren hat man für uns geklatscht, heute hat man uns wieder in der Versenkung verschwinden lassen. Nicht einmal der versprochene Corona-Bonus wurde an alle ausgezahlt“, sagt er im Gespräch mit FOCUS online.

Lange sagt: „Viele haben die Schnauze voll“

Für ihn ist klar, dass immer weniger Menschen im Pflege-Beruf bleiben wollen. „Viele haben einfach die Schnauze voll, um es auf den Punkt zu bringen“, sagt er. Lange selbst ist bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt.

Als Intensivpfleger arbeitet er in mehreren Berliner Kliniken. Überall ergibt sich ein ähnliches Bild, sagt er. Pfleger betreuen Patienten im Akkord, fühlen sich nicht ernst genommen und im Stich gelassen. Lange war zu Gast in vielen Talkshows, um darüber zu sprechen.

Im Sommer dieses Jahres, bei „Anne Will“, legte er sich sogar mit Karl Lauterbach an, stellte ihm Fragen wie: „Würden Sie sagen, eine Intensivstation ist überlastet, wenn das Personal weinend auf den Fluren zusammenbricht?“

Nach der Debatte schrieb der SPD-Politiker auf Twitter, er sei beeindruckt von der Arbeit des Pflegers und „freue sich auf die weitere Zusammenarbeit“. Die fand aber offenbar nicht statt.

Zumindest, wenn man Lange glaubt. Er erzählt, dass er später noch einmal versuchte, den Bundesgesundheitsminister (SPD) auf die Nöte im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Bei einem persönlichen Treffen überreichte er ihm einen Brief, den seine Kollegen verfasst hatten.

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Bundesgesundheitsministerium: Lauterbach traf sich mit Lange

„Das war vor fast zwei Monaten. Eine Antwort habe ich bis heute nicht bekommen“, sagt der Intensivpfleger. Er ist enttäuscht, frustriert, wütend.

Am Telefon atmet Lange kurz aus, dann erwähnt er noch einmal den unbeantworteten Brief. „Mehr muss man über die Wertschätzung, die die Politik uns Krankenpflegern entgegenbringt, gar nicht wissen.“

Aus dem Bundesgesundheitsministerium heißt es auf Nachfrage von FOCUS online indes, Karl Lauterbach habe sich immerhin mit Lange getroffen und ausführlich mit ihm gesprochen. Und, dass sich der SPD-Politiker der Anliegen der Pflege annehme.

„Beatmungsbetten für Kinder verstauben"

Für Lange ist klar, dass sich im Gesundheitswesen etwas ändern muss. Und zwar schleunigst. „Wir sehen es doch jetzt. Beatmungsbetten für Kinder verstauben. Weil es viel zu wenig Fachkräfte gibt, die sich darum kümmern können“, sagt er.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach plant indes eine Krankenhausreform, nach seinen Worten die größte seit 20 Jahren. Wie die im Detail aussehen wird, ist aktuell aber noch unklar.

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