Ein Drittel der Apotheken ist in der Existenz gefährdet

„Durchschnittsbetrachtungen trüben die Wahrnehmung“, sagt Sebastian Schwintek, Mitglied der Geschäftsleitung der Treuhand Hannover. An einer detaillierteren Auswertung zeigt er, dass ein Drittel der Apotheken in der Existenz gefährdet sind. Ein Zehntel demnach macht sogar bereits Verluste. 

Der Zwischenahner Dialog des Landesapothekerverbandes Niedersachsen am 7. und 8. September vermittelte eine Bestandsaufnahme zum Gesundheitswesen vor dem Hintergrund der jüngsten Gesetze. Die Situation der Apotheken beschrieb Sebastian Schwintek, Mitglied der Geschäftsleitung der Treuhand Hannover, anhand von Daten des Steuerberatungsunternehmens. Neben den bekannten Durchschnittszahlen von 2022 präsentierte er neueste Daten für das erste Halbjahr 2023, Angaben für Niedersachsen und vor allem erschreckende Zahlen zu den Apotheken mit niedrigen Betriebsergebnissen.

5,6 Prozent weniger Betriebsergebnis im ersten Halbjahr

Demnach sind die Apothekenumsätze auf Bundesebene im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 im GKV-Bereich um 5,3 Prozent und im OTC-Bereich um 3,6 Prozent gestiegen. Wegen der vielen Hochpreiser wuchs der Rohertrag nur um 1,7 Prozent, die Kosten waren dagegen 3,6 Prozent höher. Dies zeige, dass die Apotheken bereits gegengesteuert hätten, erklärte Schwintek. Doch das Betriebsergebnis sei auf Bundesebene um 5,6 Prozent gesunken. In Niedersachsen sei es immerhin um 0,6 Prozent gestiegen, weil der OTC-Umsatz dort mit 9 Prozent deutlich zugelegt habe. Die apothekenspezifische Inflationsrate sei nicht mehr so hoch, wie dies nach den ersten Energiepreiserhöhungen befürchtet wurde.

Mehr zum Thema

Zahlen der Treuhand Hannover

„GKV-Versorgung ist für Apotheken defizitär“

DAV-Chef zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Höherer Kassenabschlag belastet Apotheken 2023 mit 115 Millionen Euro

ABDA-Veröffentlichung

Zahl der Apotheken sinkt auf 17.830

Doch Schwintek wies auf das grundlegende Problem solcher Daten hin: „Durchschnittsbetrachtungen trüben die Wahrnehmung.“ Im ersten Halbjahr 2022 seien die Umsätze in 43 Prozent der Apotheken bundesweit gesunken, im ersten Halbjahr 2023 gelte das für 32 Prozent der Apotheken. Doch entscheidend ist die Umsatzrendite. Dabei ergebe sich im ersten Halbjahr 2023 für die Apotheken in Niedersachsen folgende Verteilung: 53,5 Prozent erzielten ein Betriebsergebnis von weniger als vier Prozent des Umsatzes und haben damit eine unsichere Rentabilitätsgrundlage. Bei 38,9 Prozent waren es vier bis acht Prozent des Umsatzes. Nur 7,6 Prozent der Apotheken liegen demnach im gesicherten Bereich mit einem Betriebsergebnis von mehr als acht Prozent des Umsatzes.

Immer mehr bedrohte Apotheken

Schwintek sieht inzwischen einen Kipppunkt erreicht. Denn die Zahl der Apothekenschließung steigt immer weiter. Für das laufende Jahr war ein Rückgang der Apothekenzahl um 410 vorhergesagt worden, aber im ersten Halbjahr sei die Zahl schon um 238 gesunken. Daraufhin warf Schwintek die Frage auf, wie viele Apotheken von Schließungen bedroht sind, weil sie ein Betriebsergebnis unter 75.000 Euro pro Jahr erwirtschaften. Denn einen solchen Betrag könnten die Inhaber alternativ, aber ohne wirtschaftliches Risiko als Gehalt bekommen. Nach einer Analyse der Treuhand Hannover betrifft dies inzwischen ein Drittel der Apotheken. Ein Zehntel der Apotheken – genauer 10,4 Prozent – schreibt sogar bereits rote Zahlen, hat also ein negatives Betriebsergebnis. Bei weiteren 6,8 Prozent der Apotheken beträgt das Betriebsergebnis unter 25.000 Euro, bei 8,1 Prozent sind es zwischen 25.000 und 50.000 Euro. Weitere 7,9 Prozent erwirtschaften zwischen 50.000 und 75.000 Euro, wobei in dieser Gruppe keine Filialen mitgezählt werden, denn bei Filialen könnten Beträge ab 50.000 Euro als Betriebsergebnis noch akzeptiert werden. Demnach seien 33,2 Prozent der Apotheken als gefährdet zu betrachten, folgerte Schwintek. Die Treuhand Hannover hat diese Quoten im Zeitverlauf betrachtet und dabei ermittelt, dass die Entwicklung offenbar Anfang 2022 „gekippt“ ist, weil die Anteile in allen Gruppen zu diesem Zeitpunkt gestiegen sind. Schwintek sieht darin eine „bedrohliche Entwicklung“. Es bestehe Handlungsbedarf, „nicht nur individuell, sondern politisch“.

Negativer Stückgewinn aus Taxpreisen

Die Ursachen sind für Schwintek offensichtlich. Denn die Apothekenvergütung hält mit der Kostenentwicklung nicht Schritt. Die Roherträge im Rx-Geschäft sind determiniert, die Hochpreiser wirken sich immer stärker aus, und die Kosten steigen. Daraufhin ergeben sich nach Berechnungen der Treuhand Hannover aus der gesetzlichen Spanne inzwischen negative Packungserträge. Der Stückgewinn aus den Taxpreisen sei erstmals 2020 negativ gewesen. Im Jahr 2022 habe der Stückverlust 27 Cent betragen. Positive Ergebnisse könnten damit nur noch aus Einkaufsvergünstigungen, PKV-Umsätzen und dem OTC-Bereich erwirtschaftet werden. Doch auch das GKV-Geschäft müsse auskömmlich sein. Für 2023 kommt der erhöhte Kassenabschlag als weiteres Problem hinzu. Für eine Durchschnittsapotheke ergebe das eine Belastung von 7.200 Euro pro Jahr beim Betriebsergebnis. Vor diesem Hintergrund bekräftigte Schwintek die Forderungen der ABDA nach einem höheren Festzuschlag, einer regelmäßigen Anpassung dieses Betrages und einer Pauschale für die Betriebsbereitschaft.

 

Groeneveld: Vom Hoheitsauftrag leben können

Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, bezeichnete dies als „sehr erschreckend“ und dankte Schwintek für die „schonungslose Offenheit“. Groeneveld ergänzte, dass die Betriebsergebnisse der Apotheken nicht mit Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen zu vergleichen sind, weil sie auch die Arbeit des Inhabers honorieren. Die Inhaber müssten von dem Geld leben, ihre Sozialabgaben und Steuern zahlen und noch in die Apotheke existieren können. Dies alles müsse der Politik deutlich vermittelt werden. Die Apotheken würden einen Hoheitsauftrag erfüllen. Darum müsse der Staat dafür sorgen, dass sie davon auch ohne Quersubventionierung leben können. Dabei zeigte sich Groeneveld entschlossen, weiterzukämpfen.


Quelle: Den ganzen Artikel lesen