COVID-19: Wie neue SARS-CoV-2-Mutationen bei immungeschwächten Patienten entstehen – Heilpraxis

Bei Immunschwäche verändert sich das Coronavirus schneller

In zwei unabhängigen Fällen wurde im Detail dokumentiert, wie das Coronavirus SARS-CoV-2 bei immungeschwächten Personen einen Mutation ausbildet, die sich der Immunabwehr besser entziehen kann. Dies erklärt zum einen, warum Serumtherapien und Remdesivir bei manchen Betroffenen nicht wirken und zum anderen zeigt die Untersuchung, wie chronische COVID-19-Verläufe entstehen können.

Forschende der Cambridge University in England und der University of Pittsburgh in Pennsylvania (USA) zeigten, warum Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bei immunschwachen Personen häufig chronisch verlaufen. Die Ergebnisse wurden in den renommierten Fachjournalen „Nature“ und „Science“ präsentiert.

COVID-19 bei immungeschwächten Patienten untersucht

Beim ersten Fall handelte es sich um einen 70-jähriger Mann, der im Addenbrooke’s Hospital in Cambridge wegen COVID-19 behandelt wurde. Der Patient litt zudem an einem MALT-Lymphom (Krebserkrankung der Schleimhäute), weswegen er Medikamente (Vincristin, Prednisolon, Cyclophosphamid und Rituximab) zu sich nehmen musste, die das Immunsystem unterdrücken.

Verlauf der Behandlung

Als der Patient an COVID-19 erkrankte, war sein Immunsystem aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage, sich selbstständig gegen die Erkrankung zu wehren. Der Betroffene wurde zunächst zweimal erfolglos mit Remdesivir behandelt und erhielt im Anschluss zwei Serumtherapien mit Blutplasma von Menschen, die bereits SARS-CoV-2-Antikörper ausgebildet hatten. Als sich herausstellte, dass er die Infektion durch die Behandlungen noch nicht überwunden hatte, erhielt er erneut eine Behandlung mit Remdesivir und eine weitere Serumtherapie.

Mann erlag nach 102 Tagen der Infektion

Doch auch dadurch konnte der Mann nicht gerettet werden. Er starb, nachdem er 102 Tage lang unter COVID-19 litt. Während des Erkrankungszeitraumes wurde das Genom von SARS-CoV-2 insgesamt 23 Mal sequenziert. Aus der Analyse des Verlaufs zeichnete sich ein Bild, wie es zu dieser langanhaltenden Infektion kam.

Serumtherapie befeuerte Selektion

Aus den Genomdaten geht hervor, dass sich das Virus im Verlauf der Behandlung verändert hat. Die größte Veränderung trat demnach bei den ersten beiden Serumtherapien auf. Wie die Sequenzen belegen, konnten die meisten Viren zwar durch die Behandlung mit den Antikörpern beseitigt werden, es überlebten jedoch diejenigen, die sich den Antikörpern entziehen konnten. Diese Variante konnte sich im Anschluss schneller ausbreiten und führte schließlich zum Tod des Patienten.

Im Detail waren diese Veränderungen durch die Mutation D796H im Spikeprotein sowie durch die Deletion 69/70 gekennzeichnet. Diese Veränderung ähnelt der B1.1.7-Variante, die in Großbritannien erstmals auftrat und für eine erhöhte Ansteckungsgefahr sorgte. Ähnliche Mutationen können den Forschenden zufolge bei langen COVID-19-Behandlungen entstehen, die dem Virus mehrere Gelegenheiten bieten, sich weiterzuentwickeln.

Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch die zweite Studie im Fachjournal „Science“. Sie zeigt einen ähnlichen Zusammenhang bei einem immungeschwächten Patienten aus Pittsburgh, der über 74 Tage mit SARS-CoV-2 infiziert war und schließlich an COVID-19 starb. Der Patient erhielt ebenfalls Remdesivir und zwei Serumtherapien. Bei der Sequenzierung wurde die gleiche Deletion 69/70 gefunden.

Katz und Maus-Spiel der Viren

Das Team um die Studienautoren Paul Duprex und Kevin McCarthy stützen die Theorie, dass Deletionen bei dem Coronavirus ein größerer Trend sein könnten, mit dem sich SARS-CoV-2 versucht, anzupassen.

Was ist eine Deletion?

Die Gendeletion ist eine besondere Form der Mutation, bei der ein oder mehrere Basenpaare aus dem genetischen Material abgestoßen werden. Sie führt zwangsläufig zu einen Verlust von Genmaterial. In vielen Fällen werden Viren durch eine Deletion weniger infektiös. In einigen Fällen kann sich die Infektiösität aber auch erhöhen.

Die beiden Studien deuten darauf hin, dass es sich bei der Mutation D796H im Spikeprotein um eine Art von Fluchtmutation handelt. Sie führt dazu, dass sich die Antikörper nicht mehr so leicht an das Spike-Protein anbinden können, wodurch wahrscheinlich aber auch die Infektiösität des Virus herabgesetzt wird. Diesen Mangel scheint die Deletion 69/70 wieder auszugleichen, weshalb sich die Variante mit diesen beiden Veränderungen bei den untersuchten Patienten durchgesetzt hat.

Wettbewerb der Varianten

„Was wir sahen, war im Wesentlichen ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Varianten des Virus“, erläutert Cambridge-Forschungsleiter Professor Ravi Gupta. Seine Arbeitsgruppe kommt zu dem Schluss, das dieser Wettbewerb durch die Plasma-Therapie angetrieben wurde. „Angesichts der Tatsache, dass sowohl Impfstoffe als auch Therapeutika auf das Spike-Protein abzielen, das wir bei unserem Patienten mutieren sahen, wirft unsere Studie die beunruhigende Möglichkeit auf, dass das Virus unsere Impfstoffe überlisten könnte“, fügt Professor Gupta hinzu.

In diesem Verhalten der Viren könne aber auch der Schlüssel zum Erfolg liegen. „Indem wir das Virus auf verschiedene Arten bekämpfen, können wir den Gestaltwandler besiegen“, resümiert Duprex. Die beste Strategie ist dem Wissenschaftler zufolge eine Kombinationen aus verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und Impfstoffen. (vb)

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