Roter Lippenstift in grüner Verpackung, Tuben und Tiegel, die von Blüten und Blättern umrankt sind – das Angebot an Produkten, die „natürliche“ Schönheit versprechen, steigt stetig.
Doch wie viel Natur steckt tatsächlich drin in Naturkosmetik? Und ist sie wirklich gesünder für die Haut?
Diese Fragen lassen sich nicht pauschal beantworten. Denn Begriffe wie „natürlicher Ursprung“, „natural“ oder „pur“ sind nicht gesetzlich geschützt. Auch „bio“ ist im Kosmetikbereich – anders als bei der Ernährung – nicht staatlich geregelt. Folglich kann erst einmal jeder Hersteller mit diesen Bezeichnungen werben, der von der wachsenden Nachfrage nach Ökoprodukten profitieren will.
Allerdings: Nicht nur für Naturkosmetik, sondern für Kosmetik allgemein gilt, dass der Verbraucher nicht getäuscht werden darf. So wurde bereits 2012 einem großen deutschen Hersteller gerichtlich untersagt, für eine Pflegeserie mit „pure & natural“ zu werben, obwohl chemische Zusatzstoffe in dem Produkt enthalten waren. Damit es zu Urteilen wie diesen kommt, muss die Täuschung jedoch bei den zuständigen Produktüberwachungsstellen auffallen. „Die Überwacher machen aber nur Stichproben“, gibt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg zu bedenken.
Wasser gilt als natürliche Zutat
Seit September 2017 existiert zusätzlich eine ISO-Norm für Natur- und Biokosmetik, die unter anderem Kriterien für natürliche und ökologische Kosmetikbestandteile und Produkte definiert und ermöglicht, den Anteil natürlicher Substanzen zu berechnen. Verpflichtend ist sie jedoch nicht. Verbraucherschützerin Schwartau hält die Standards zudem für zu niedrig, Irreführung und Täuschung würden sogar unterstützt.
„Nach der ISO-Norm zählt auch Wasser zu den natürlichen Zutaten“, kritisiert sie. „Auf den Markt kommen immer mehr Produkte, die bis zu 95 Prozent Wasser enthalten und als Naturkosmetik ausgelobt werden dürfen.“ Die etablierten Naturkosmetikhersteller versetze das in Aufruhr. „Sie befürchtet, dass der Markt im wahrsten Sinne des Wortes verwässert wird.“
Ein weiteres Problem: Die einzelnen Inhaltsstoffe müssen bei Kosmetik nicht prozentual aufgelistet werden. „Wenn Sie Himbeerjoghurt essen, muss draufstehen, wie viel Prozent Himbeeren, Himbeerzubereitung oder -pulver im Joghurt enthalten sind“, so die Verbraucherschützerin. „Bei Kosmetik ist das nicht der Fall.“ Zwar werden die Inhaltsstoffe bezogen aufs Gewicht nach abnehmender Menge aufgereiht. Ganz vorne steht also, was viel enthalten ist. Aber ob in Aloe-Vera-Cremes nun ein mickriges Prozent der Pflanze drinsteckt oder mehr, ist nicht ersichtlich.
Oft ist also nur schwer durchschaubar, wie viel Natürlichkeit in einem Produkt steckt. Im folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen, um im Dickicht der grünen Kosmetika Orientierung zu finden.
Welche gesetzlichen Regeln gelten für Naturkosmetik?
Für Naturkosmetik greift – wie für Kosmetik generell – die europäische Kosmetikverordnung. Sie garantiert die Sicherheit kosmetischer Produkte. Ein spezielles Naturkosmetikgesetz gibt es nicht, dafür mehrere private Siegel. Viele von ihnen schränken den Einsatz einiger Stoffe deutlich ein, die bei konventionellen Kosmetika erlaubt sind. „Sobald es Hinweise auf mögliche Risiken für Umwelt oder Gesundheit gibt, werden bestimmte Inhaltsstoffe oder Verfahren aus Vorsicht nicht eingesetzt“, sagt Branchenexpertin Elfriede Dambacher, die vierteljährlich den „Naturkosmetik Branchenmonitor“ herausgibt und seit 15 Jahren Naturkosmetikfirmen berät. Allerdings sind die Standards auch bei zertifizierter Naturkosmetik unterschiedlich.
Verbraucherschützerin Schwartau kritisiert, dass es kein einheitliches staatlich finanziertes Siegel gibt. „An dem aktuellen Label-Wirrwarr verdienen vor allem die Zertifizierer“, sagt sie, und die hätten kein Interesse an mehr Transparenz und Einheitlichkeit. Sie fordert daher „ein einheitliches Logo für alle mit transparenten Kriterien“. Auch Dambacher würde ein solches staatliches Siegel befürworten, allerdings nur „auf dem Niveau jetziger zertifizierter Naturkosmetik“.
Welche Naturkosmetik-Siegel gibt es und was sagen sie aus?
Zu den bekanntesten Siegeln zählen Natrue, BDIH oder Ecocert. Seit 2017 gibt es zudem den Cosmos-Standard. Dafür haben sich fünf europäische Naturkosmetiklabel-Organisationen – der BDIH, Ecocert, Cosmebio, ICEA und Soil Association – zusammengeschlossen, um sich auf Mindeststandards zu einigen.
Allen Naturkosmetik-Zertifizierungen ist gemein, dass ihre Rohstoffe größtenteils natürlichen Ursprungs sind. Das bedeutet, dass Inhaltsstoffe auf Erdölbasis, Silikone, gentechnisch veränderte Organismen und synthetische Fette, Öle und Duftstoffe tabu sind. „Bei Bio-Kosmetik muss zudem ein bestimmter – und je nach Label leicht unterschiedlich hoher – Anteil der Inhaltsstoffe aus ökologischem Anbau kommen“, sagt Schwartau.
Eine Übersicht über einige häufige Siegel und deren Bedeutung findet sich auf dieser Seite der Verbraucherzentrale.
- Eine Übersicht über kritische Stoffe und deren Bezeichnung findet sich in einer hier abrufbaren Auflistung der Verbraucherzentrale.
- Inhaltsstoffe werden nach der internationalen Nomenklatur kosmetischer Inhaltsstoffe, kurz INCI, auf dem Produkt aufgelistet. Mikroplastik ist für den Verbraucher oft nur schwer zu erkennen. Es versteckt sich unter anderem hinter folgenden Begriffen: Polyethylene, Nylon, Polypropylene, Polystyrene oder Polyurethane.
- Der BUND hat einen Einkaufsratgeber herausgegeben, in dem er Produkte auflistet, die Mikroplastik enthalten. Allerdings finden sich dort auch etliche Produkte mit flüssigen Kunststoffen, die zwar auch nicht gut für die Umwelt sind, streng genommen aber nicht als Mikroplastik gelten.
- Sind hormonell wirksame Stoffe im Produkt? Das lässt sich mit einer App „Toxfox“ des BUND checken.
- Beim Entschlüsseln der Inhaltsstoffe hilft die App Codecheck.
- Mehr Infos finden sich in einem 2018 von Ökotest herausgegebenen Heft zum Thema „Naturkosmetik“.
Welche umstrittenen Stoffe kommen in Naturkosmetik nicht vor?
Mineralöle und Mineralölderivate wie Paraffin werden aus Erdöl gewonnen, das dafür in mehreren Schritten gereinigt und aufbereitet wird. So entstehen Öle, Vaseline oder Wachse, die in Kosmetika pflegen, reinigen oder wasserabweisend wirken. Sie sind eine günstige Alternative zu Pflanzenölen, allerdings schon in der Herstellung wenig umweltfreundlich. Zudem können sie kritische Stoffe enthalten, etwa sogenannte aromatische Kohlenwasserstoffe (MOAH). Ein Teil dieser Substanzen steht im Verdacht, Krebs erregen und das Erbgut schädigen zu können. Laut Stiftung Warentest haben sie im Körper nichts zu suchen, werden aber über Lippenstifte und Lippenpflegestifte aufgenommen. Andere Mineralölbestandteile können sich auf Dauer im Körper anreichern, möglicherweise führen sie zu Entzündungen in Organen wie der Leber.
Mineralöle sind in Kosmetik erlaubt. Werden bestimmte Standards bei der Verarbeitung und Grenzwerte eingehalten, sind dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge nach jetzigem Kenntnisstand keine gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten. „Mineralöle werden seit mehr als hundert Jahren in Kosmetikprodukten eingesetzt“, schreibt das Institut. „Gesundheitliche Effekte von kosmetischen Produkten sind bisher, trotz ihres weitverbreiteten Gebrauchs, dennoch nicht aufgetreten.“ Allerdings weist das BfR auch darauf hin, dass Datenlücken bestehen – etwa zur Aufnahme über die Haut. Wer als Verbraucher sichergehen will, kann zu Naturkosmetik greifen. Mineralöle kommen in zertifizierten Produkten nicht vor.
Das gilt auch für andere problematische Stoffe, die zwar laut europäischer Kosmetikverordnung zugelassen sind, auf die Naturkosmetikhersteller aber verzichten. „In traditioneller Make-Up-Foundation sind oft Silikone drin“, sagt Branchenexpertin Dambacher. Sie stecken auch in wasserfester Mascara oder sorgen dafür, dass der Lippenstift geschmeidig aufzutragen ist. Diese flüssigen Kunststoffe sind zwar gesundheitlich unbedenklich, sie sind in Gewässern allerdings nur schwer abbaubar und daher in Naturkosmetik nicht erlaubt.
Parabene sind häufig eingesetzte Konservierungsstoffe, die zwar im Gegensatz zu anderen Konservierungsmitteln ein geringes Allergierisiko aufweisen und gut hautverträglich sind. Manche Vertreter stehen allerdings in der Kritik, da sie sich im Tierversuch als hormonell wirksam erwiesen. Für sie hat die EU-Kommission daher Höchstgrenzen festgesetzt. In Naturkosmetik sind sie ebenso wenig enthalten wie Emulgatoren aus der Gruppe der Polyethylenglykole, kurz PEG, die die Hautbarriere schwächen und sie so möglicherweise auch für Schadstoffe durchlässiger machen. Auch andere problematische Stoffe wie Mikroplastik, Aluminium (als Farbpigment auch in Lippenstiften, Lidschatten und Make-up enthalten) oder der antibakteriell wirkende und umstrittene Stoff Triclosan kommen nicht in Tiegel und Tube.
Ist Naturkosmetik immer besser für die Gesundheit?
So pauschal lässt sich das nicht sagen. „Auch natürliche Rohstoffe können Allergien auslösen – allen voran ätherische Öle wie etwa Teebaumöl“, sagt Julia Welzel, Chefärztin an der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum Augsburg Süd. „Ringelblumen, Wollwachse oder natürliche Duftstoffe können in dieser Hinsicht ebenfalls problematisch sein.“
„In Naturkosmetik können ebenfalls die Haut irritierende und sensibilisierende Stoffe stecken“, betont auch Verbraucherschützerin Schwartau. „Dafür sind manche aggressiven chemischen Stoffe, etwa bestimmte Konservierungsmittel, nicht enthalten. Ökologisch ist ein Mandelöl in jedem Fall besser als ein Mineralöl“, so Schwartau.
Reagiert die Haut empfindlich, muss es nicht gleich daran liegen, dass ein Schadstoff im Produkt steckt. Auch der Hauttyp spielt eine Rolle, der eine verträgt einen Stoff gut, der andere eben nicht. Dermatologin Welzel betont auch: „Ob Nano oder Mikroplastik: Harte Fakten, dass umstrittene Stoffe für die Gesundheit des Menschen schädlich sind, fehlen bislang oft.“ Denkbar sei es aber.
Kann Naturkosmetik mit konventioneller Kosmetik mithalten?
„Die Produkte sind mittlerweile sehr gut“, sagt Dambacher. Sie räumt aber auch ein, dass es beim Haarstyling, der Haarwäsche und dekorativer Kosmetik noch besser werden kann. Da bestimmte Tenside fehlen, schäumt etwa das Naturshampoo weniger. Puder ohne Mikrowachse aus Mineralöl lässt sich nicht so geschmeidig verteilen und haftet weniger stark. Und eine wasserfeste Mascara findet sich in der Naturkosmetik bisher nicht.
Zusammengefasst: Begriffe wie „natürlich“ und „bio“ sind in der Kosmetikbranche nicht einheitlich definiert. Verschiedene private Siegel garantieren unterschiedliche Standards, etwa den, dass keine synthetischen und gesundheitlich bedenklichen Stoffe im Produkt enthalten sind. Aber auch natürliche Zutaten wie Teebaumöl können allergische Reaktionen hervorrufen. Ob man ein Produkt verträgt, hängt auch vom Hauttyp ab.
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