Handelt es sich bei der Zöliakie um eine Modekrankheit?
Jonas Zeitz: Es stimmt, Zöliakie-Diagnosen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ein wichtiger Grund für die steigenden Zahlen liegt dabei jedoch in der verbesserten Diagnostik, nachdem in der Vergangenheit die Zöliakie lange als eine seltene Kindererkrankung gegolten hat.
Hier jedoch von einer Modeerscheinung zu sprechen, ist falsch, weil diese unheilbare Autoimmunerkrankung ernst zu nehmen ist.
Was versteht man denn darunter?
Zeitz: Gluten ist eine Proteinkomponente von verschiedenen Getreidearten wie Weizen, Roggen, Hafer und Gerste. Bei Zöliakie-Erkankten kommt es zu einer Immunreaktion des Körpers gegen das Gluten, was zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut führt.
Die Ursache ist also keine allergische, sondern eine Immunreaktion.
Warum ist eine Diagnose so schwierig?
Zeitz: Weil die klinischen Symptome einer Zöliakie und der Grad der Erkrankung von Patientin zu Patient sehr unterschiedlich sein können, ist es selbst für Fachpersonen schwierig, eine Glutenunverträglichkeit auf Anhieb zu diagnostizieren. Darum wird die Erkrankung auch als Chamäleon der Gastroenterologie bezeichnet.
Was sind denn die Symptome?
Zeitz: Aufgrund der bereits erwähnten Gründe ist es schwierig, die charakteristischen Symptome einer Zöliakie zu definieren. Bei einer Glutenunverträglichkeit kann es zu den klassischen gastrointestinalen Symptomen wie Durchfall, Fettstuhlgang und Flatulenz kommen. Wegen einer verminderten Aufnahme von Nährstoffen im Dünndarm können zudem Blutarmut und Gewichtsverlust – sowie bei Kindern eine Wachstumsverzögerung – die Folge sein.
Sind nicht auch neurologische Beschwerden möglich?
Zeitz: Genau, und die können etwa durch einen Vitamin-B-Mangel ausgelöst werden und zu einer Erkrankung des Nervensystems führen. Solche Beschwerden werden bei bis zu 50 Prozent der Betroffenen diagnostiziert und machen sich zum Beispiel durch Kribbeln, Brennen oder ein Taubheitsgefühl in Händen und Füssen bemerkbar.
Des Weiteren kann es zu einer Minderung der Knochendichte oder zu Osteoporose kommen, die auf einen Mangel an Vitamin D und Kalzium zurückzuführen sind. Aber auch orale Aphthen oder Gelenkschmerzen wie eine Arthritis können mögliche Symptome sein.
Wie lässt sich eine Zöliakie behandeln?
Zeitz: Betroffene müssen bei einer Diagnose – durch eine Expertin oder einen Experten – lebenslang eisern eine glutenfreie Diät führen, bei der komplett auf glutenhaltige Getreide wie unter anderem Weizen, Roggen, Hafer und Gerste verzichtet wird. Aufgrund der Komplexität einer solchen Diät und um Fehler zu vermeiden, rate ich zu einer spezialisierten Ernährungsberatung.
Sind einmalige Essensausrutscher erlaubt?
Zeitz: Erkrankte müssen sich lebenslang strikt glutenfrei ernähren. Ein einmaliger Ausrutscher hat langfristig wahrscheinlich keine negativen Folgen. Allerdings können „Diätfehler“ zu Beschwerden wie Bauchschmerzen und Durchfall führen.
Erfreulicherweise hat die Immunerkrankung in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen. Dadurch wird das Angebot an glutenfreien Lebensmitteln immer grösser.
Stichwort Kontamination: Muss bei einer erkrankten Person im gleichen Haushalt die ganze Familie ihre Ernährung umstellen?
Zeitz: Nein. Eine Kontamination bei der Zubereitung von glutenfreien Gerichten ist weitaus weniger häufig als bisher angenommen. Vor allem Mehlstaub kann dazu führen, nicht aber dieselben Kochutensilien, wenn diese für (nicht-)glutenfreie Speisen benutzt werden.
Selbst betroffen? Wer unsicher ist, kann einen Zöliakie-Selbsttest auf der Homepage des Zöliakie-Zentrums durchführen.
Das Original zu diesem Beitrag „Leiden Sie an Zöliakie? Experte nennt Warnsignale“ stammt von Schweizer Illustrierte.
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