Eine Krebsdiagnose verändert den Alltag der Betroffenen schlagartig. Die App „Mika“ soll dabei helfen, die Psyche der Erkrankten zu unterstützen. Hier arbeitet Claudia Poguntke mit, die selbst von Leukämie betroffen war. BUNTE.de hat sie zum Interview getroffen.
Alle 12 Minuten erhält ein Mensch in Deutschland die Diagnose Leukämie. Weltweit sogar alle 27 Sekunden. In Deutschland erkranken etwa 2,7 Prozent aller Krebspatienten an Leukämie, das sind laut der Deutschen Krebsgesellschaft pro Jahr mehr als 13.700 Menschen. Die meist einzige Möglichkeit der Heilung: eine Stammzellenspende. Mit dem bekannten Slogan „Stäbchen rein, Spender sein“ wirbt die DKMS (Deutsche Kochenmarkspenderdatei) dafür, sich als möglicher Spender registrieren zu lassen. Eine solche Knochenmarksspende rettete auch Claudia Poguntke das Leben.
Durch Coaching und Monitoring soll „Mika“ Krebspatienten unterstützen
Im April 2009 erhielt die damals 37-Jährige die schockierende Diagnose: akute myeloische Leukämie. Dank ihrer Spenderin und jahrelanger Therapie hat Claudia Poguntke es geschafft – und hilft nun anderen Erkrankten. Sie arbeitet bei Mika, einer kostenlosen und medizinisch-validierten Krebsbegleiter-App, die Erkrankte mit wichtigen Informationen zur Behandlung und mit mentalen Übungen unterstützt. Mit den beiden Bereichen Coaching und Monitoring können Betroffene zum einen lernen, ihre Psyche zu stärken und zum anderen dokumentieren, wie sich beispielsweise ihre Nebenwirkungen entwickeln. So können Ärzte etwaige Warnsignale früher erkennen und behandeln.
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Zum Weltblutkrebstag soll Betroffenen Mut machen
Im Rahmen der App wird zum diesjährigen Weltblutkrebstag am 28. Mai die Kampagne „Eines Tages“ gestartet, für die Claudia Poguntke als Testimonial fungiert. Dabei handelt es sich um eine Internetseite, auf der Familien, Freunde und Angehörige von Krebspatienten Mut-Botschaften unter dem Motto „Eines Tages“ einreichen können, um den Betroffenen neue Kraft im Kampf gegen die tückische Krankheit zu schenken. Die Seite möchte Mut machen und dazu motivieren, nach vorne zu schauen und an das zu denken, was die Patienten „eines Tages“ wieder tun werden.
Das Video zur Kampagne könnt Sie oben sehen.
Claudia Poguntke: „Man sollte nicht hadern, sondern den Blick nach vorne richten“
Im Gespräch mit BUNTE.de hat Claudia Poguntke über ihre Krebserkrankung, die Mika App und vor allem über die Wichtigkeit der Stärkung der Psyche während einer Krebsbehandlung gesprochen.
BUNTE.de : Frau Poguntke, welche Gedanken hatten Sie, als Sie die Diagnose Leukämie erhalten haben?
Claudia Poguntke : Ich konnte gar nicht denken. Es war das blanke Entsetzen und ich hatte eine Art Panikattacke. Es war, wie als wenn man ein Brett vor den Kopf geschlagen bekommt. Ich dachte nur: ‚Oh Gott, Leukämie. Das ist der Tod.‘
Wurden Sie nach der Diagnose vom medizinischen Personal gut aufgefangen?
Ich glaube, dass die junge Ärztin ( welche die Diagnose mitgeteilt hatte, Anm. d. Red. ) ihrerseits nicht so gut ausgebildet war, so eine Botschaft empathisch zu überbringen. Das sind sehr wenige Ärzte, es besteht definitiv noch ein großer Schulungsbedarf. Um meinen mentalen und seelischen Zustand wurde sich gar nicht gekümmert. Es hieß nur ‚In fünf Minuten werden Sie in die Universitätsklinik Ulm verlegt‘. Das hatte so eine Brisanz, dass ich noch mehr Panik bekam. Ich wusste gar nicht, was da auf mich zukommt. In dem Moment dachte ich nur an glatzköpfige Patienten, die kreidebleich herumsitzen und auf den Tod warten.
Wie sind Sie mit schwierigen Momenten umgegangen? Hatten Sie Unterstützung von Familie und Freunden?
Man kommt öfter an den Punkt der Mutlosigkeit und Verzweiflung. Man hat viele Angstmomente und Panikattacken, das ist völlig normal. Genau da kamen die zwischenmenschlichen Beziehungen zum Tragen. Meine Familie und Freunde haben mir so viel Vertrauen zu mir selbst geschenkt. Der Support von außen ist extrem wichtig. Viele Betroffene fragen sich ‚Warum ausgerechnet ich?‘. Aber man sollte nicht hadern, sondern es annehmen und den Blick nach vorne richten. Vieles mag vielleicht nicht (mehr) gehen, doch man sollte sich darauf konzentrieren, was noch geht. Und auch den Mut haben, zu sagen, ‚Ich vertraue mir.‘
Viele Betroffene fühlen sich nach der Diagnose hilflos und verstehen die medizinische Fachsprache und / oder ihren Therapieplan nicht ausreichend. Ging es Ihnen ähnlich?
Das ist genau der Grund, warum ich seit über drei Jahren bei Mika arbeite. Die App schließt eine Versorgungslücke und ist ein validiertes, rundum hilfreiches Programm für Menschen, die in einer solchen Situation stecken. Mir ging es genauso. Ich habe sehr wenig verstanden und war in einer Schocksituation – und meine Angehörigen auch. Mir wurde zwar der Therapieplan sehr gut erklärt, aber der Laie versteht Medizinsprache nicht. Mika übersetzt die Fachsprache aus den Studien und der Onkologie in leicht verständliche Informationen. Jeder Mensch hat ein Smartphone und kann über die App sehr leicht zu diesen geprüften Informationen gelangen.
App „Mika“ Patienten auch über Nebenwirkungen der Therapie informieren
Wie wichtig ist es, dass Betroffene aktiv an ihrer Therapie beteiligt sind bzw. können sie diese überhaupt aktiv beeinflussen?
Ja, auf jeden Fall kann man das. Die Therapiepläne werden vom Behandlungsteam erstellt, aber ich als Patient muss wissen, was das bedeutet. Wie geht der Therapieprozess vor sich und welche Nebenwirkungen sind zum Beispiel möglich? Wenn ich darüber aufgeklärt bin, dass es bei einer Chemotherapie zu Übelkeit und Erbrechen kommen kann, halte ich diese Nebenwirkungen wahrscheinlich besser aus. Weiß ich darüber nicht Bescheid und muss zum fünften Mal erbrechen, breche ich die Medikamenten-Einnahme vielleicht wieder ab. Es ist in Studien erwiesen: Menschen, die ihre Therapie verstehen und die verstehen, dass auch die unangenehme Seite ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Heilung ist, bleiben häufiger bei ihrer Therapie. Damit sind die Heilungschancen natürlich sehr viel höher. Menschen, die mental nicht bei der Sache sind, die aufgeben und verzweifeln, sind viel anfälliger für andere Nebenwirkungen. Es ist daher enorm wichtig, die Psyche zu stärken. Es wird Rückschläge geben und da braucht man ein gutes mentales Polster. Man muss in solchen Situationen wissen ‚Was kann ich tun? Wie gehe ich damit um?‘ Und das ist genau, was in der Mika App steckt. Sie wurde zusammen mit Psychoonkologen entwickelt, um Patienten genau das zu vermitteln: ‚Lass den Mediziner die Krankheit bekämpfen, aber du selbst bist mehr als die Krebszellen und du darfst dich ruhig um dich selbst und dein Wohlergehen kümmern.‘
Was würden Sie den Angehörigen raten, wie sie mit Betroffenen umgehen sollten?
Am besten ist Ehrlichkeit und Offenheit. Klarmachen, dass man da ist und die Bereitschaft signalisieren, dass man hinter dem Erkrankten steht und an ihn glaubt. Keine Floskeln, eher Mut machen, an sich selbst zu glauben. Mir war es lieber, dass mir Menschen aus ihrem Leben erzählt haben – einfach ein bisschen Normalität.
Wie könnte man noch mehr Menschen dazu animieren, sich bei der DKMS registrieren zu lassen?
Vielleicht, indem man den Prozess der Stammzellen-Entnahme genauer erläutert. Das hat keinerlei Konsequenzen im Nachgang, dem Spender passiert nichts. Aber der Gewinn ist ja so sensationell größer. Hätte meine Stammzellenspenderin ihre Spende nicht abgegeben, wäre ich heute nicht mehr am Leben. Aus der Sammelaktion für mich entsprangen zwei passende Spender, die zwei kranken Kindern durch ihre Stammzellenspende das Leben retten konnten.
Was ist Ihre wichtigste Botschaft an Betroffene?
Gebt nicht auf, auch wenn ganz dunkle Zeiten kommen. An sich selbst glauben, sich selbst vertrauen und Mut haben, sich auszumalen, was eines Tages wieder möglich sein wird.
Das Original zu diesem Beitrag „Claudia hatte Blutkrebs: „Ich dachte nur: ‚Oh Gott, das ist der Tod’““ stammt von Bunte.de.
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