Im britischen Gesundheitswesen drohen weitreichende Streiks. Mehrere Berufsgruppen haben zum Ausstand aufgerufen. Für Entlastung sollen nach der Vorstellung der Regierung die Apotheken sorgen. Doch die winken ab. Noch mehr unbezahlte Aufgaben könnten sie nicht stemmen. Im Gegenteil – nach jahrelangen Kürzungen seien sie am Limit. Die Situation scheint ähnlich der zu sein, in der sich die Apotheken hierzulande befinden.
Der britische National Health Service (NHS) genießt im Ausland nicht den allerbesten Ruf. So gilt das von Steuermitteln getragene Gesundheitssystem als marode, wenig leistungsfähig und chronisch unterfinanziert. Doch nun scheint es Medienberichten zufolge kurz vor dem Kollaps zu stehen. Deutlich längere Wartezeiten auf Krankenwägen oder auch in der Notaufnahme als noch vor ein paar Jahren sind offenbar mittlerweile an der Tagesordnung. Bei einem von vier Notrufen könne kein Krankenwagen geschickt werden, da diese vor den Ambulanzen im Stau stünden, berichtet das ZDF unter Berufung auf einen NHS-Bericht. Weil niemand dort sei, um die Patient:innen entgegenzunehmen.
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Denn ähnlich wie in Deutschland kehren zunehmend überlastete Mitarbeiter:innen, vor allem in der Pflege, dem System den Rücken. Bei den Verbleibenden stehen die Zeichen nun auf Streik. Unter anderem für höhere Löhne. Denn seit Jahren ist die Regierung auf Sparkurs, beim größten Arbeitgeber des Landes, dem NHS, war einiges zu holen und das macht sich unter anderem bei den Löhnen der Beschäftigten bemerkbar. Sein Lohn sei in den vergangenen Jahren, wenn man die Kaufkraft sieht, die Inflation und alles rausrechnet, um rund 15 Prozent gesunken, erklärt ein Krankenpfleger gegenüber dem ZDF. Und so gehe es vielen Kollegen. An zwei Tagen im Dezember will das Pflegepersonal nun die Arbeit niederlegen und auch andere Berufsgruppen wie die Nachwuchs-Ärzteschaft, die Physiotherapeuten oder die Rettungsdienste denken über Streik nach oder haben schon konkrete Pläne.
Apotheken sollen während des Streiks aushelfen
In die Bresche springen sollen die Apotheken. Es gibt Pläne seitens der Regierung, dass sie darin geschult werden könnten, eigenmächtig Antibiotika abzugeben und kleinere Beschwerden zu diagnostizieren. So soll die Nachfrage nach Arztbesuchen reduziert werden. Doch mal ganz abgesehen davon, dass sich das so schnell gar nicht organisieren ließe, scheint die Situation der Apotheker:innen im Vereinigten Königreich nicht besser zu sein als die der anderen Beschäftigten im NHS. Sie seien erschöpft, überarbeitet und kämen mit Mühe über die Runden, ist einem Beitrag zu lesen, der am gestrigen Dienstag im Magazin „The Pharmacist“ erschienen ist.
Apotheken seien nicht in der Lage, während der geplanten Streiks, das System zu entlasten, erklärt dort der Vorsitzende des Nationalen Apothekerverbandes, Andrew Lane. Er schließt sich den Warnungen anderer Standesvertreter an, die bereits darauf hinwiesen, dass die öffentlichen Apotheken überlastet seien und ohne zusätzliche Mittel keine weiteren Dienstleistungen anbieten könnten. Er glaubt nicht, dass die Apotheken während der Streiks in die Bresche springen können, sagte er am gestrigen Dienstag im Rahmen seiner Rede vor dem Parlament. Damit widerspricht er Medienberichten vom Wochenende, die Apotheken durchaus in der Rolle sahen, Teile der Gesundheitsversorgung während der Streiks zu übernehmen.
Unterfinanzierung, der Effizienzzwang und die Personalprobleme fordern ihren Tribut
Andere Apothekenfunktionäre äußern sich gegenüber dem Magazin ähnlich wie Lane. Leyla Hannbeck, Geschäftsführerin der Association of Independent Multiple Pharmacies, beispielsweise bezeichnete die Situation als „inakzeptabel“. „Wir können nichts tun, und wir werden auch nichts tun können, wenn wir nicht mehr Geld bekommen“, erklärt sie. Es ginge nicht mehr, dass die Apotheken immer mehr für immer weniger Geld tun und alles auf ihren Schultern tragen müssten, ohne dafür irgendeine Anerkennung zu erhalten, fügte sie hinzu.
Grundsätzlich wären Apotheken dem Bericht zufolge schon geeignet, den NHS zu entlasten, aber eben nicht in der aktuellen Situation. Schon oft hätten Apothekenteams gezeigt, dass sie in der Lage und willens seien, mit ihrem niedrigschwelligen Angebot in der Krise einzuspringen, heißt es. Doch in diesem Winter steuerten die Apotheken ihrerseits auf eine Krise zu, da die jahrelange Unterfinanzierung, der Effizienzzwang und die Personalprobleme ihren Tribut forderten.
Es reicht nicht für bestehende Aufgaben
Doch auch unabhängig von den Vorschlägen der Regierung, die Apotheken während des Streiks zu Unterstützung heranzuziehen, mehrt sich derzeit die Kritik, in der Branche, dass Apotheken mit immer weniger Mitteln mehr leisten müssen. Und die Apotheken scheinen sich auch zu wehren. So wurde eine NHS-Kampagne namens „Pharmacy first“, in deren Rahmen die Patienten ermutigt werden sollten, die Apotheke aufzusuchen, um sich kostenfrei beraten zu lassen, zunächst auf Eis gelegt, weil das Gesundheitsministerium die benötigten Mittel nicht freigeben wollte. Von Apothekerseite wurden die Pläne zwar begrüßt, aber sie müssten eben auch angemessen finanziert sein, hieß es. Die Apotheken könnten nicht umsonst alle retten.
Offenbar reicht es aber auch nicht mehr für die bestehenden Aufgaben. So heißt es in einem Statement des Vorsitzenden des Nationalen Apothekerverbandes, Andrew Lane, dass viele Apotheken an ihrer Kapazitätsgrenze oder darüber wären und sie ihre Aufgaben nicht vollumfänglich erfüllen könnten. Kürzungen bei den Öffnungszeiten seien unvermeidlich. Darüber sowie über andere Entlastungsmaßnahmen für die Apotheken laufen dem Artikel aus „The Pharmacist“ zufolge bereits Verhandlungen zwischen dem Pharmaceutical Sevices Negotiating Comittee (PSNC), das die wirtschaftlichen Interessen der Apotheken vertritt, und der Politik beziehungsweise dem NHS.
Apotheken erheben Gebühren und verkürzen die Öffnungszeiten
Dem PSNC zufolge haben bereits einige Vertragsapotheken Maßnahmen ergriffen, um die Patientensicherheit weiter zu gewährleisten und die Kosten zu senken, oder sie ziehen dies zumindest in Erwägung, zum Beispiel Telefonanrufe von Patienten nicht oder nur für eine begrenzte Zeit pro Tag entgegenzunehmen, Beratungen nur noch mit Termin anzubieten und für nicht finanzierte Dienstleistungen wie Botendienste Gebühren zu erheben oder diese einzustellen.
Zudem wurde das PSNC von seinen Mitgliedern aufgefordert, in den Verhandlungen mit dem Gesundheitsministerium eine härtere Gangart anzuschlagen und damit zu drohen, bestimmte Leistungen, die Apotheken nicht anbieten müssen, einzustellen. Einige Apotheken sähen sich tatsächlich nicht mehr in der Lage, bestimmte kostenlose Dienstleistungen in Verbindung mit NHS-Diensten anzubieten. Man müsse sich nun ehrlich darüber austauschen, was auf dem Boden der bestehenden Finanzierung noch möglich ist, heißt es.
Apotheker:innen in Deutschland und jenseits des Ärmelkanals scheinen also mit ähnlichen Umständen konfrontiert zu sein, unter anderem dem Problem, dass ihre Leistungen nicht angemessen honoriert werden.
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