Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen. Mädchen und Jungen litten unterschiedlich unter den Belastungen der Krise – das zeigen die Daten aus dem Kinder- und Jugendreport der DAK, der am Dienstag vorgestellt wurde. Bei jugendlichen Mädchen stieg die Zahl der psychischen Erkrankungen stark an, bei Jungen hingegen wuchs die Zahl der Adipositasdiagnosen im jugendlichen Alter.
Die DAK hat in Zusammenarbeit mit Forschenden von Vandage und der Universität Bielefeld Versorgungsdaten von 782.00 Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahren analysiert. Die Daten umfassen die Jahre 2018 bis 2021. Das Ergebnis: Weniger Kinder und Jugendliche gingen im zweiten Pandemiejahr in Arztpraxen oder Kliniken als noch vor der Corona-Krise. Insgesamt gingen auch die Behandlungszahlen bei psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen um fünf Prozent zurück. Doch bei jugendlichen Mädchen ist die Zahl der psychischen Erkrankungen im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 deutlich angestiegen.
Corona-Folgen bei Kindern
Worauf man bei der kindlichen Psyche nach der Pandemie achten sollte
Anstieg psychischer Erkrankungen bei Mädchen
Es wurden 54 Prozent mehr 15 bis 17-jährige Mädchen wegen Essstörungen behandelt. Bei Angststörungen gab es bei jugendlichen Mädchen ein Plus von 24 Prozent im Vergleich zu 2019. Auch stieg die Anzahl von Mädchen, die an Depressionen erkrankten: Bei den 15- bis 17-jährigen Mädchen stiegen die Behandlungszahlen um 18 Prozent im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Bei den 10- bis 14-Jährigen lag die Neuerkrankungsrate bei 23 Prozent.
Professor Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité, berichtete aus der Praxis: "Durch den Stress, die Sorgen und die Beschränkungen ist es vor allem bei essgestörten Mädchen zu einem Aufleben der Erkrankung gekommen."
Was noch auffällt: Die neu an einer Depression erkrankten Mädchen nehmen auch deutlich häufiger Medikamente. Der Anteil der 15- bis 17-jährigen Mädchen mit einer Antidepressiva-Behandlung 2021 stieg um 65 Prozent im Vergleich zu 2019. "Der explosionsartige Anstieg bei der Verschreibung von Antidepressiva ist sehr bedenklich", sagte Dr. Thomas Fischbach. Er ist Präsident des Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. "Hier müssen wir genau hinschauen. Fest steht, dass die Versorgungsstrukturen für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche verbessert werden müssen. Die Versorgung war bereits vor der Corona-Pandemie nicht zufriedenstellend. Das Problem hat sich jetzt verschärft."
Rückgang bei Jungen
Bei Jungen hingegen sanken die Behandlungszahlen wegen Angst- und Essstörungen. Die Depressions-Neuerkrankungsrate bei Jungen im Alter von 10 bis 14 Jahren sank um 17 Prozent und bei 15- bis 17-Jährigen um 15 Prozent. Warum Mädchen wesentlich häufiger wegen psychischer Erkrankungen in der Pandemie behandelt wurden als Jungen habe mehrere Gründe. Es könne sein, dass Jungen andere Bewältigungsstrategien wählen als Mädchen – zum Beispiel Drogenmissbrauch oder Glücksspiel. Diese Probleme würden erst später auffallen, sagte Professor Christoph U. Correll. Zudem könne es sein, dass sich Mädchen eher Freundinnen oder Eltern anvertrauen und eine psychische Erkrankung eher bemerkt werden als bei Jungen, die ihre Probleme länger bei sich behalten würden.
Der Experte führte weiter aus: "Es ist von einer Dunkelziffer psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher, die durch das zurückgegangene Inanspruchnahmeverhalten weder diagnostiziert noch behandelt sind, auszugehen. Wir rechnen mit chronischen Verläufen und Langzeitfolgen. Zudem erwarten wir weitere negative psychische und somatische Auswirkungen der Pandemie, die erst verspätet einsetzen oder erkannt werden."
Dass Kinder- und Jugendliche möglicherweise psychische Probleme haben, lässt sich laut Christoph U. Correll an folgenden Warnzeichen erkennen:
- sozialer Rückzug
- Leistungseinbrüche
- Weinen
- Gewichtskontrolle
- Gewichtsabnahme
- Missbrauch von Drogen
- Schlafstörungen
Zuhnahme Adipositas bei jugendlichen Jungen
Doch nicht nur auf psychische Erkrankungen geht der Report der Krankenkasse ein. Bei den Adipositas-Zahlen zeigt sich auch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern. 2021 erkrankten 15 Prozent mehr Jungen im Alter von 15 bis 17 Jahren neu an Adipositas im Vergleich zu 2019. Bei den Mädchen hingegen war es ein Plus um sechs Prozent.
Vor allem der sozioökonomische Familienstatus hat einen Einfluss auf das Risiko für Fettleibigkeit. 15- bis 17-jährige Jungen aus finanzschwachen Familien hatten ein um 62 Prozent erhöhtes Risiko neu an Adipositas zu erkranken gegenüber gleichaltrigen Jungen aus finanzstarken Familien.
Long Covid Symptome: Welche Corona-Spätfolgen im Körper am häufigsten auftreten
Mehr Bewegung als Prävention
Der gemeinsame Hebel, um die mentale und physische Gesundheit zu verbessern, liege in der Bewegung. Mit dem Projekt "fit4future" wolle die DAK die Gesundheitsvorsorge von Kindern und Jugendlichen stärken, sagte Andreas Storm, Vorstandschef der DAK. Es solle vor allem auch Kinder und Jugendlichen in sozialen Brennpunkten erreichen. Sportwissenschaftler Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln begleitet das Projekt wissenschaftlich. "Wir haben in Deutschland auch eine Bewegungsmangelpandemie: Seit vielen Jahren beobachten wir, dass Kinder und Jugendliche viel zu wenig körperlich aktiv sind. Das ist dramatisch. Kinder bleiben nur gesund, wenn sie sich frühzeitig bewegen. Wer sich heute keine Zeit für seine Gesundheit nimmt, wird sich irgendwann viel zu früh viel Zeit für seine Krankheit nehmen müssen."
Doch wer an den eigenen Sportunterricht zurückdenkt, dem kommen vielleicht eher Begriffe wie Demütigung, Unterdrückung oder Freudlosigkeit in den Sinn. Eine solche Sportstunde fördert nicht die Freude an Bewegung, sondern hemmt sie. Ingo Froböse ist sich sicher: "Die Sportprogramme der Zukunft müssen sich an den Fähigkeiten und Ressourcen von Kindern und Jugendlichen orientieren. In jedem von uns steckt in irgendeiner Sportart immer ein großes Talent – das gilt es herauszufinden."
Das beste Zeitraum, um motorische Fähigkeiten herzustellen, sei im Alter von 8 bis 12 Jahren. Was in diesem Alter auf der Strecke bleibe, lerne man als Erwachsener erst recht nicht mehr. "Der Sportunterricht sollte eine lebenslange Begeisterung für Bewegung schaffen. Jeder Jeck ist anders und so sollte der Sportunterricht werden. Die neuen Kulturen des Sporttreibens müssen auch mit aufgenommen werden – dazu zählt für mich auch die Welt des E-Sports", sagte der Sportwissenschaftler.
Quelle: Den ganzen Artikel lesen