Artur Frank hatte das richtige Gespür. Seine Idee vor gut zehn Jahren, Alte in osteuropäische Heime zu vermitteln, schlägt ein. Pflegetourismus pur: Die acht Altersheime in Ungarn, Tschechien, Polen, der Slowakei, in die Franks Firma Seniorpalace vermittelt, sind fast voll – mit Deutschen, Österreichern, Schweizern. „Wir haben 200 Anfragen für unser Haus am Plattensee in Ungarn, die wir nicht bedienen können. Eine sogar schon für einen Platz 2024“, sagt der 60-Jährige. Und zugleich macht ihm der Boom Angst. Angst vor windigen Geschäftemachern.
In Spanien soll ein Paar deutsche Rentner misshandelt und die 101-jährige Maria B. womöglich sogar ermordet haben. Sie wollten ihr Geld. (Mehr dazu lesen Sie hier.) Solche Nachrichten könnte es künftig häufiger geben, angesichts des steigenden Interesses am Altensitz im Ausland.
„Mit jedem neuen Anbieter steigt das Risiko“, sagt Frank. Er hat schon viele erlebt, die auf den Zug aufspringen wollen. In Tschechien habe er eine Pension entdeckt, die sich als Pflegeheim ausgebe. „Da leben Menschen mit Pflegegrad 4 und 5.“ Schwerstpflegebedürftige, die auf ständige Hilfe angewiesen sind. „Das kann nicht gut gehen“, sagt Frank und sorgt sich – auch um den Ruf des gerade erst entstehenden Branchenzweigs.
Angesichts der steigenden Zahl von schon jetzt 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland, der Großteil im Rentenalter, wird die Suche nach Pflegealternativen für viele Menschen zur bitteren Notwendigkeit. Manche scheuen das deutsche Pflegesystem, in dem es an ausgebildeten Kräften mangelt. Mehr als 400.000 Menschen können ihre Pflege nicht bezahlen und beziehen „Hilfe zur Pflege“. Mit ihr wird das Budget aufgestockt, wenn Rente und Pflegegeld nicht für den oft mehrere Tausend Euro teuren Eigenanteil am Heimplatz reichen und Angehörige nicht weiterhelfen können. Doch vielen Menschen ist diese Gabe peinlich.
Halb so teuer wie in Deutschland
Manche von ihnen ziehen nun in Domizile wie die von Frank, in Pflegeheime auf die Kanaren, nach Spanien oder sogar nach Thailand oder auf die Philippinen. Fast jeder dritte Deutsche, der in Spanien lebt, ist über 65 Jahre alt. Die Zahl der deutschen Senioren in Tschechien hat sich in zehn Jahren mehr als verdoppelt, steigt in Ungarn ebenfalls stark an. Im europäischen Ausland wird das Pflegegeld weiter gezahlt, Sachleistungen allerdings nicht. In Asien gibt es beides nicht – doch oft lebt es sich dort so billig, dass die Rente auch allein reicht.
Halb so teuer wie in Deutschland ist der Platz in einem Heim in Osteuropa für die Senioren. Seien anfangs nur stark Pflegebedürftige gekommen, zögen mittlerweile viele rüstige Rentner in seine Wohnanlagen, berichtet Frank. „Sie kommen aus finanzieller Sorge, dass sie ihre Pflege einst nicht bezahlen können und die Rente schon jetzt nicht reicht. Sie wollen ihre Kinder oft nicht belasten.“ Auch manche Kinder bringen ihre Eltern, einige davon schwer dement, in ein ausländisches Heim.
Das kann gut gehen. Für 50 Heimbewohner hat manches Haus im Ausland fast 40 Pflegekräfte. Davon können Heiminsassen in Deutschland oft nur träumen. Bei so viel mehr Personal lässt sich auch mehr Zeit mit den Alten und den Kranken verbringen, ist Zeit für begleitete Spaziergänge und Hilfe beim Hobby.
In einem Internetforum schreibt Nutzer Peter Else Anfang Februar, wie froh er über die Entscheidung fürs Ausland ist. Es „war für meine Familie die einzige Möglichkeit, sich einen bezahlbaren Pflegeplatz leisten zu können. Außerdem ist der Umgang mit den Senioren wesentlich liebevoller als in deutschen Heimen“.
Schwierige Kontrolle
Doch das Mehr an Personal und die Ersparnis täuschen schnell über Gefahren hinweg. „Heime im Ausland müssen nicht automatisch schlechter sein. Doch es ist viel riskanter, dort pflegebedürftig zu sein. Man kann leichter abgezockt werden“, warnt Pflegeexperte Claus Fussek, der die Pflegesituation in Deutschland seit Jahren eng begleitet. „Wie will ich als Angehöriger auf diese Distanz kontrollieren, ob dort ein Pflegebedürftiger gut versorgt wird, wenn wir schon hier genügend Schicksale haben, wo die Alten im Heim den ganzen Tag im Bett gelassen und vergessen werden?“
Zumal die Geldgier manche Heime im Ausland schnell zu einem mit ähnlich knappem Personal bemessenen Geschäft machen dürfte. Bei Vermittler Frank zeigten vergangenen Herbst Finanzinvestoren ihr Interesse. Sie wollten in eines der Häuser einsteigen. Frank lehnte ab. Er sorge sich, dass jetzt mehr Ketten in die Heime drängen und dort schnell und schlecht für die Bewohner wachsen wollten.
Gerade bei Dementen kommt schnell das Argument, sie würden sowieso nicht erkennen, wo sie seien. Fussek ärgert diese Haltung besonders. Denn gerade diese hilflosen Menschen brauchen ein bekanntes Umfeld, das ihnen Sicherheit bietet und Menschen, die sich kümmern. Oft seien die Heime mehr als tausend Kilometer entfernt von den nächsten Angehörigen.
„In Spanien haben wir viele ältere Menschen, die dorthin gingen, als sie noch rüstig waren und sich dort auskennen und wohlfühlen. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, einen alten, pflege- und schutzbedürftigen Menschen in ein vielleicht sogar unbekanntes Land abzuschieben. Das klingt für mich, wie Giftmüll endzulagern“, sagt Fussek.
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