Können Windräder Schlafstörungen und Kopfschmerzen verursachen? Diese Frage diskutieren seit Jahren nicht nur Forscher, sondern auch Anwohner von Windkraftanlagen. Zahlreiche Studien geben Entwarnung. Doch Ärzte sehen diese Analysen teils kritisch. So auch Thomas Carl Stiller vom Arbeitskreis „Ärzte für Immissionsschutz“.
Kopfschmerzen, Herzrasen, innere Unruhe, Müdigkeit: All diese Beschwerden führt ein Anwohner einer Windkraftanlage im Raum Hannover auf eben jene Anlage zurück. Er hat daher gegen den Beitreiber Klage beim Landgericht eingereicht. Das berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Damit ist er nicht der einzige, der sich mittlerweile vor Gericht gegen Windräder wehrt. Auch in Itzehoe klagte ein Anwohner: Seine Familie leide aufgrund des Infraschalls der Anlagen unter Schlafstörungen, Schwindel und Übelkeit.
Das Landgericht Itzehoe hatte die Klage zunächst abgewiesen, nimmt sie nun allerdings wieder auf. Auch in der Wissenschaft herrschen unterschiedliche Ansichten über einen möglichen Zusammenhang zwischen Windrädern und Beschwerden von Anwohnern. In Südniedersachsen haben sich Ärzte, die explizit vor den gesundheitlichen Folgen von Windrädern warnen, in der Arbeitsgruppe "Ärzte für Immissionsschutz" zusammengeschlossen.
Eines ihrer Mitglieder ist Thomas Carl Stiller. Er ist promovierter Biophysiker und Allgemeinmediziner mit einer Praxis in Adelebsen und einer in Uslar (Niedersachsen). Dort behandle er regelmäßig Patienten aus ganz Deutschland, die über Schlaflosigkeit oder einen Brummton im Ohr klagen, über Druck- und Angstgefühle. "Viele wissen nicht, woher die Beschwerden kommen, doch sie merken: Wenn sie mal nicht Zuhause sind, schlafen sie besser", hat Stiller beobachtet. Er ist davon überzeugt, dass Windräder der Gesundheit schaden.
Infraschall nicht hörbar – daher auch nicht schädlich?
Um eine künftige Lärmbelästigung auszuschließen, führen zuständige Behörden vor dem Bau Messungen durch. Stellen sie dabei fest, dass die Windräder weit genug entfernt stehen werden, damit die Anwohner nur noch ein Schall von maximal 20 Hertz (sogenannter Infraschall) erreicht, schließen sie eine Belästigung aus. Denn der Mensch kann einen solch schwachen Schall nicht hören. Folglich könne er sich dadurch nicht beeinträchtigt fühlen.
Der Arzt Thomas Carl Stiller sieht in dieser Annahme einen Mess- und einen Denkfehler. Zum einen erfolgen die Messungen meist im Freien. Dabei wirken Häuser wie ein verstärkender Klangkörper, sagt Stiller. Sie nehmen Schall aus dem Boden auf und verstärken ihn. Je härter und dichter der Boden, desto schlimmer. Stiller nennt beispielhaft einen seiner Patienten, der nur noch auf dem Balkon – also im Freien – gut schlafen könne. Offenbar sei der Schall dort geringer als in seinem Schlafzimmer.
Zum anderen können Schallwellen unter 20 Hertz sehr wohl dem Körper schaden, ist sich Stiller sicher. Er verweist auf eine Untersuchung von Christian Vahl, dem Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie in Mainz. Dieser hatte in einer Versuchsreihe entdeckt, dass die Leistung von Herzmuskelzellen unter Infraschall um bis zu 20 Prozent nachlassen kann.
"Es gibt bereits einige wissenschaftliche Arbeiten, die zeigen, dass es im Bereich des technischen Infraschall Veränderungen auf zellulärer Ebene gibt", betont Stiller.
Schlafslosigkeit, Kopf- und Brustschmerzen, Herzrasen und Hörstörungen
Auch der Akustiker Stephen Cooper bestätigt Symptome wie Schlafslosigkeit, Kopf- und Brustschmerzen, Herzrasen und Hörstörungen in Verbindung mit Windrädern. Er beobachtete über einen Zeitraum von neun Wochen einen Windpark im australischen Cape Bridgewater mit sechs Anwohnern, die zwischen 650 Metern und 1,6 Kilometern von den Rädern entfernt lebten.
Die Besonderheit: Der Forscher hatte die Möglichkeit, die Windkraftanlage immer wieder komplett zu stoppen. Die Anwohner führten täglich Tagebuch über ihre Beschwerden. Cooper stellte fest, dass diese vor allem dann auftraten, wenn die Räder in Betrieb waren und Infraschall aussendeten.
Sind Beschwerden nur Einbildung?
Aber besteht tatsächlich ein direkter Zusammenhang? Manche Wissenschaftler vermuten: Anwohner bilden sich die Beschwerden nur ein, weil sie eine generelle Abneigung gegenüber Windkraftanlagen haben. Diese These findet sich tatsächlich auch in wissenschaftlichen Arbeiten. So schreiben etwa kanadische und US-amerikanische Forscher 2014: Es sei möglich, "dass ein Teil der Bevölkerung verärgert bleibt (oder andere gesundheitliche Auswirkungen meldet), auch wenn Lärmgrenzwerte eingehalten werden". Dahinter könne die subjektive Einstellung und Erwartung von Anwohnern stecken. Sprich: Wer keine Windkrafträder mag, bildet sich gerne ein, dass sie ihn um den Schlaf bringen – und schläft dann womöglich tatsächlich schlecht.
Landarzt Thomas Carl Stiller ist davon überzeugt, dass sich seine Patienten ihre Beschwerden nicht nur einbilden. "Die Leute erfinden das nicht", sagt er. Er behandle auch Patienten, die ursprünglich Befürworter von Windkraftanlagen waren, Windparks geplant oder besessen haben. "Auch die hat es getroffen." Was all diesen Patienten gemein sei: Verreisen sie, verschwinden die Symptome.
Weitere Forschung nötig, um Risiken zu klären
Zehn bis 20 Prozent der Anwohner von Windkraftanlagen klagen über Schlafstörungen und andere Belästigungen, schätzt Stiller. Neben dem Infraschall könnten auch weitere Einflüsse von Windrädern auf die Gesundheit von Anwohnern einwirken: etwa elektromagnetische Felder, niederfrequentes Rauschen, Druckwellen oder Schattenflimmern, die durch das Rotieren der Blätter entstehen. Letzteres könnte bei manchen Menschen epileptische Anfälle auslösen. Ausreichend erforscht seien diese Risiken aber noch nicht.
Stiller fordert, die Belastung durch Windräder in Zukunft anders zu messen, um einen potenziellen Schaden für Anwohner auszuschließen. Zum einen sollten Messungen innerhalb von Wohnhäusern erfolgen statt im Freien, weil der Schall dort höher sein kann. Zum anderen sollten auch Messwerte unter acht Hertz berücksichtigt und selbst solch niedrige Schallwellen vermieden werden.
Inwiefern sie den menschlichen Körper tatsächlich negativ beeinflussen, muss weitere Forschung zeigen.
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