Neue Antibabypille mit unbekanntem Thrombose

Schnellschuss mit der Drovelis-Pille (Symbolbild)

Es gibt Momente, in denen ich es einfach nur anstrengend finde, eine Frau zu sein. Zum Beispiel, wenn meine Kollegin Nina Weber in einer morgendlichen Konferenz über ihre Recherche zu einer neuen Pille spricht: Seit Mai ist eine neue Anti-Baby-Pille auf dem Markt mit einem noch unbekannten Wirkstoff, Estetrol. Der Frauenarzt, der ihn auf der Pressekonferenz vorstellte, war so begeistert, dass er mit Begriffen wie »unfassbar spektakulär« und »Zaubersubstanz« um sich warf.

Das Problem, wie sie schreibt: »Ob die neue Pille in Bezug auf Thrombosen sicherer oder unsicher ist, das weiß man schlicht nicht.« Das Mittel wurde zugelassen, obwohl man das Risiko nicht einschätzen kann, was, nur so nebenbei, öfter mal passiert.

Und dann erzählt die Kollegin, dass auch keine Behörde oder staatliche Stelle dafür zuständig ist, das zu überprüfen. Und ich sitze da, der Tag ist jung, die Sonnenstrahlen malen Muster auf die Wand, ich habe morgens schon Sport gemacht und Tee getrunken, Sie wissen ja, Routinen im Homeoffice, so wichtig – und alles nutzt nichts. Ich spüre, wie der Puls steigt.

Denn das heißt: Seit ein paar Wochen wird de facto an Tausenden Frauen ein Experiment zum Thromboserisiko der Pille Drovelis im Echtzeitbetrieb durchgeführt. Sie wissen nur in vielen Fällen nichts davon. Sie leben mit einem neuen Pillenpräparat, und wir als Gesellschaft schauen mal, was passiert.


Mal eben ein Thromboserisiko einschätzen als Laie? Total einfach, oder?

Jetzt könnte man sagen, ist doch nicht so schlimm, stellt euch nicht so an, das ist nur eine mögliche Nebenwirkung, und außerdem gibt es noch viele andere Pillen.

Aber das macht es umso schlimmer. Denn es gibt keinen zwingenden Grund, diese Pille jetzt auf den Markt zu bringen. Diese Pille wird nicht dringend gebraucht, um Millionen Menschen das Leben zu retten. Noch dazu gibt es gut getestete und etablierte Alternativen. Der einzige Grund, diese Pille so rauszubringen, ist das Marketingpotenzial der »Zaubersubstanz«. Das kann man dem Pharmaunternehmen nicht vorwerfen – natürlich will es Geld verdienen. Und es hat sich an die Regeln gehalten. Wem man es vorwerfen kann, sind die Kontrollinstanzen – unter anderen also dem Gesetzgeber.

Was hat das mit dem Gesetzgeber zu tun, werden sich einige fragen? Wenn eine Frau entscheidet, hormonelle Verhütungsmittel zu nehmen, dann wird sie sich auch über die Risiken informieren und Gedanken machen, so die mögliche Annahme. Stimmt.

Aber hier ein paar Gründe, warum der Arzt meinen Freundinnen und mir als Teenager die Pille verschrieb, ohne vorher groß über Risiken aufzuklären: Menstruationsschmerzen, Stimmungsschwankungen, Neugier und schlechte Haut. Sex gab es in vielen Fällen damals eher in Tagträumen. Und dass es für medizinische Laien nicht gerade einfach ist, sich über Thromboserisiken zu informieren und sie richtig einzuordnen, können wir uns gerade in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte zu den Covid-19-Impfstoffen anschauen.

Denn das ist es, was gerade passiert: Auf der einen Seite werden die Risiken und Nebenwirkungen von Impfungen, die potenziell Millionen Leben retten können, rundum getestet und öffentlich debattiert. Und auf der anderen Seite wird eine Pille, für deren Markteintritt es keinerlei notwendige Dringlichkeit gibt, einfach mal zugelassen. Während bei der Impfung das insgesamt geringe Thromboserisiko dazu führt, dass einige Impfstoffe bestimmten Altersgruppen nicht mehr empfohlen werden, wird es bei der neuen Pille noch nicht mal getestet.

Eigentlich sollte mich das nicht mehr überraschen.

  • Betrachtet man Frauen, die nicht schwanger sind und nicht hormonell verhüten, entwickeln pro Jahr zwei von 10.000 eine venöse Thromboembolie, kurz VTE.

  • Verhüten Frauen mit einer Kombi-Pille, die entweder Levonorgestrel, Norgestimat oder Norethisteron enthalten, entwickeln pro Jahr fünf bis sieben von 10.000 eine VTE.

  • Nehmen Frauen eine Kombi-Pille mit Gestoden, Desogestrel oder Drospirenon, entwickeln pro Jahr neun bis zwölf von 10.000 eine VTE.

  • Nehmen Frauen eine Kombi-Pille mit Etonogestrel oder Norelgestromin, entwickeln pro Jahr sechs bis zwölf von 10.000 eine VTE.

  • Bei der Einnahme von Kombi-Präparaten mit Dienogest und Ethinylestradiol entwickeln pro Jahr acht bis elf von 10.000 Frauen eine VTE.

Frauenkörper haben diesen mystischen Zyklus

Frauen gelten, man muss es so hart sagen, in der medizinischen Forschung vor allem als Hindernis und als »Nicht-normal-Mensch«. So ungefähr alle medizinischen Produkte werden zunächst an Männerkörpern getestet, und in späteren Testphasen werden Frauen hinzugezogen, oft in deutlich kleineren Zahlen. Sie werden seltener als Probandinnen genutzt und Krankheitsbilder werden meist an männlichen Körpern mit männlichen Symptomen beschrieben.

Das hat manchmal gefährliche Folgen für Frauen, zum Beispiel bei »einigen Medikamenten gegen Psychosen, Depressionen, Übelkeit / Erbrechen«, bei denen »das Risiko für das Auftreten von lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen bei Frauen doppelt so hoch ist wie bei Männern«, schreibt das österreichische Gesundheitsministerium. Manchmal sterben sie an nicht erkannten Herzinfarkten, und manchmal werden Schmerzen einfach ignoriert.

Einer der Gründe, warum der Mann, meist übrigens der gesunde, junge Mann, zum Testen einfach besser taugt: Frauenkörper haben diesen mystischen Zyklus – ja, das war Sarkasmus – und das macht Medikamententests deutlich schwieriger. Und natürlich, Frauen können schwanger werden. Deshalb müsste bei Studien eben auch die Sicherheit eines Fötus bedacht werden. Aber, nur so zur Info: Frauen werden auch im normalen Leben manchmal schwanger und wissen es nicht sofort.

In einer Welt, in der Frauenkörper, Frauenschmerz und Frauenleben gleich viel wert wären wie Männerkörper, Männerschmerz und Männerleben wäre das natürlich kein Argument gegen, sondern für mehr Tests an beiden Geschlechtern und, oh ja, auch noch an diversen Körpern.

Aber das wäre eben teuer. Ungerechtigkeit lässt sich messen. Und heutzutage ein neues Hormon in einem Mittel für Frauen zuzulassen, ohne das Thromboserisiko zu testen, ist damit nur ein kleiner Teil einer gesamtgesellschaftlichen Botschaft:

Du bist nicht so wichtig wie Männer. Und jetzt schluck!

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