Zehn Corona-Sätze, die bitte ganz schnell verschwinden müssen

Die Lage scheint sich zu bessern. Menschen sind zurück auf der Straße, Kinder dürfen in die Kita, Schulen öffnen langsam ihre Pforten. Die Hoffnung ist groß, dass wir das Schlimmste überstanden haben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werden wir in Deutschland allerdings noch sehr lange spüren. 

Bleiben werden leider auch ein paar Sätze, die ich einfach nicht mehr aus meinem Kopf bekomme. Sie haben sich in mein Gehirn gefräst wie ein Ohrwurm. Aber leider ist das Lied nicht sehr gut. Zu oft wurden sie nachgeplappert. Zu selten wurden sie hinterfragt. 

Hier meine Top Ten der furchtbaren Corona-Sätze, die ich mir endlich von der Seele schreiben muss. Vielleicht ist es dann vorbei:

Seit mehr als 30 Jahren ist Frank Schmiechen Journalist. Unter anderem war er stellvertretender Chefredakteur der „Welt“ und Chefredakteur von „Gründerszene“. Heute berät er Politik und Wirtschaft in allen Fragen der Kommunikation. Schmiechen liebt Popmusik und Fußball.

1. „Wir sind gerade erst am Anfang der Pandemie.“

Mit diesen Worten warnte uns zum Beispiel die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim am 24. April im TV-Talk von Maybritt Illner. Aber wovor eigentlich? Unzählige andere verwendeten diesen Satz, ohne zu erklären, was sie damit meinen. Zum Beispiel unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 21. April und noch einmal am 27. Mai, als die Zahlen der Neuinfizierten bereits im Sinkflug waren. Wo stehen wir denn derzeit? Immer noch am Anfang? In der Mitte? Am Anfang des Endes? In den vergangenen Tagen wurde diese nebulöse Formulierung deutlich seltener gebraucht. Sind wir vielleicht schon am Ende des Endes? Oder sind wir gerade erst am Anfang eines neuen Anfangs?

2. „Die Maske schafft ein falsches Sicherheitsempfinden.“

So ähnlich formulierte es etwa ARD-„Tagesthemen“-Kommentator Oliver Jarasch. Er kritisierte die Maskenpflicht, weil sie eine Sicherheit suggeriere, „die nicht da ist“. Ja, danke für den freundlichen Hinweis, Herr Jarasch. Küssen mit Maske geht jedenfalls nicht. Sogar wenn man sich fälschlicherweise in Sicherheit wiegt.

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Viele Deutsche haben übrigens auf Masken gesetzt, als der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, noch im Fernsehen behauptete, die Asiaten würden den Mund-Nase-Schutz nur aus Eitelkeit tragen, weil blasse Haut ihrem Schönheitsideal entspräche. Vielleicht tragen sie die Maske aber auch deshalb, weil sie verhindert, dass man seine Tröpfchen ungehindert in die Gegend niest. Ganz einfach. Und völlig frei von jedem falschen Sicherheitsempfinden.

3. „Wer eine abweichende Meinung hat, ist gleich Verschwörungstheoretiker.“

Was ist denn eure „abweichende Meinung“? Kommt doch bitte mal auf den Punkt, liebe Meinungsabweichler. Dann könnte man konkret diskutieren. So bleibt es leider beim wolkigen Geschwurbel, das man leicht mit Verschwörungstheorie verwechseln könnte. Jeder kann laut seine Meinung sagen. Jeder sollte allerdings damit rechnen, dass Unsinn dann auch als Unsinn bezeichnet wird.

4. „Auch die Wissenschaft lernt täglich dazu.“

Niemals in der Geschichte Deutschlands gab es so viele Wissenschaftstheoretiker wie heute. Man trifft sie an der Eisdiele, auf Spielplätzen, überall. Jeder scheint zu wissen, was Wissenschaft leisten kann und was nicht. Bitte lasst uns endlich diesen Spruch vergessen und die Forscher ihren Job machen. 

5. „Eine ganze Generation wird traumatisiert.“

Das sagt zum Beispiel die Professorin für Unternehmensführung, Organisation und Personalwesen, Ruth Stock-Homburg: „Je länger diese Phase andauert, desto größer wird die Gefahr, dass eine ganze Generation psychologisch traumatisiert wird.“ Geht es vielleicht eine Nummer kleiner? Fragen Sie doch bitte meine Eltern, die ihre Kindheit in Nazideutschland und im Weltkrieg erlebt haben. Dann rücken sich vielleicht die Maßstäbe zurecht. 

7. „Warum dürfen denn die Fußballer spielen?“

Weil sie einen Plan gemacht haben. Und weil viele andere überhaupt keinen Plan hatten. Sich zu beschweren, ist natürlich viel einfacher, als sich neu zu organisieren und ein paar Ideen zu entwickeln.

8. „Wir sind ein Volk von Befehlsempfängern.“

Wir befinden uns „auf dem Weg ins Zeitalter der totalen Medizin“, sagt der Journalist Jakob Augstein. „Wir sind ja alle Teil einer Apokalypse-Industrie geworden“, sagt der Journalist Gabor Steingart. „Wir sind ein Volk von Befehlsempfängern – und Denunzianten“, sagt die einstige Chefredakteurin der „Bunten“, Patricia Riekel. Warum müssen persönliche Ängste und Sorgen zu solch monströsen gesellschaftspolitischen Pseudoanalysen aufgebauscht werden? Niemand, den ich kenne, ist kritiklos oder unbeeindruckt von den einschneidenden Corona-Maßnahmen. Die meisten reagieren aber maßvoll und differenziert. Im Gegensatz zu meinen oben zitieren Journalisten-Kollegen.

9. „Noch vor ein paar Wochen konnte sich niemand vorstellen, dass… „

Tja, so ist das im Leben. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Von dieser Sorte Plattitüden gibt es zahllose andere. Wie wäre es mit: „In Zeiten von Corona…“. „Wir sehen unsere Firma für die Krise gut gerüstet…“. „Niemand weiß, ob eine zweite Welle kommt…“. „In der Corona-Krise steckt auch eine Chance für…“. „Genießen wir am besten die Entschleunigung…“. „Dr. Drosten hat gesagt, dass…“. „Zur Normalität vor der Krise dürfen wir nicht wieder zurück…“. Gnade. Lasst mich bitte wenigstens in die Zeiten vor diesen Floskeln zurück!

10. „Wir haben es völlig unter Kontrolle.“

Donald Trump, Präsident der USA, am 22. Januar im CNBC-Interview aus dem schweizerischen Davos.

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