Philadelphia lässt "College-Kids" Corona-Impfzentrum leiten – die schicken Senioren nach Hause und bedienen sich selbst

In einem großen Corona-Impfzentrum sollten in Philadelphia schnell massenweise Menschen geimpft werden – die Ältesten zuerst. Doch das Vorhaben endete am vergangenen Wochenende in Chaos und Tränen. Senioren, die stundenlang für eine Impfung angestanden hatten, wurden trotz Termin weggeschickt. Stattdessen sollen sich die jungen Helfer gegenseitig selbst geimpft haben. Der Gründer des Start-ups "Philly Fighting COVID", das die Impfungen durchführte, wird beschuldigt, Impfstoffdosen in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Und das ist nur der Anfang einer langen Liste an Vorwürfen. Die Stadt hat inzwischen Konsequenzen gezogen, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Aber wie konnte es so weit kommen, dass die Stadt einer "Gruppe von College-Kids", wie sie sich selbst nannte, zu den Chefs des Impfzentrums machte?

Noch vor einigen Wochen wurde das Start-up "Philly Fighting COVID" für ihren vermeintlich uneigennützigen Einsatz für die Stadt in der Pandemie gefeiert. So hatten CEO Andrei Doroshin, ein 22-jähriger Doktorand der Drexel Universität, und Freunde im Sommer in der ganzen Stadt Pop-Ups errichtet und dort Corona-Tests vorgenommen. Die Stadt vertraute der Truppe, die sich selbst als "Gruppe von College-Kids" beschrieb, obwohl es diesen an medizinischem Fachwissen mangelte. Etwas, was Doroshin zu verkaufen wusste. So hatte er in einem Interview mit "Today" davon gesprochen, dass es ihm dadurch möglich wäre "anders zu denken". Das wiederum könne dazu beitragen, dass der Impfprozess beschleunigt werden könne. So bekam das Start-up den Zuschlag, das größte Impfzentrum der Stadt zu führen.

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Ging es nur ums Geld?

Doch waren die Absichten der Gruppe wirklich lauter? Die Anschuldigen wiegen schwer. Wie "Whyy News" berichtet, plante Doroshin offenbar schon im Oktober mit den Impfungen reich zu werden. So habe er damals im Kreise von Mitarbeitern und Freiwilligen davon gesprochen, die Impfstoffe, welche die Regierung kostenlos zu Verfügung stellt, den Versicherungsgesellschaften in Rechnung zu stellen. Er plante demnach bis zu 1,5 Millionen Menschen zu impfen, abrechnen wollte er wohl 24 Dollar, also knapp 20 Euro, pro Dosis. 

Die Stadt ahnte von diesen Absichten nichts, als sie der Gruppe den Zuschlag erteilte. Es habe keine Warnzeichen gegeben, sagte Gesundheitskommissar Thomas Farley am Dienstag in einer Stellungnahme. Zuvor hatten mehrere investigative Recherchen ergeben, dass Doroshin im Stillen "Vax Populi Inc." gegründet habe, unter dessen Namen er die Impfstoffdosen bei den Versicherungsgesellschaften in Rechnung stellen wollte. Der Stadt hatte er die Neu-Ausrichtung des Start-ups verschwiegen.

In einer Stellungnahme entschuldigte sich Doroshin zwar für "Fehlkommunikation", erklärte die Umwandlung in ein gewinnorientiertes Unternehmen allerdings damit, dass dies notwendig gewesen sei, da es der Gruppe an Ressourcen gefehlt habe, Corona-Tests und Impfungen gleichzeitig durchzuführen. Dennoch: Die Anschuldigung, dass die Gruppe den großen Reibach auf Kosten der Stadt machen wollte, ist nicht die einzige, die im Raum steht.

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Am Impfstoff bedient

So wollen Augenzeugen nicht nur beobachtet haben, dass sich 18- und 19-Jährige an dem Impfstoff bedienten und sich gegenseitig impften, auch Doroshin soll zugegriffen haben. Eine examinierte Krankenschwester, die als Freiwillige mithalf, berichtete "Whyy" dass viele Impfstoffdosen übrig geblieben seien, nachdem die Senioren weggeschickt worden waren und dass sie gesehen habe, wie der 22-Jährige 10 bis 15 davon einsteckte, bevor er ging. In einem Interview mit NBC "Today" gab Doroshin inzwischen zu, Dosen mit nach Hause genommen zu haben. Es soll sich demnach um vier übriggebliebene Dosen gehandelt haben. 

Allerdings: Laut "Inquire" fehlen mehr als 200 Impfdosen. Fest steht auch, dass viele Senioren, die am vergangenen Samstag einen Impftermin hatten, nicht geimpft wurden. Demnach seien mehr Termine vergeben worden als zur Verfügung gestanden hätten. "Es gab buchstäblich 85-jährige, 90-jährige Menschen, die dort in Tränen standen, mit ausgedruckten Terminbestätigungen, und sagten: 'Ich verstehe nicht, warum ich nicht geimpft werden kann. Ich bin 85'", berichtete ein Augenzeuge gegenüber "Whyy".

Zweifel an der Zusammenarbeit mit "Philly Fighting COVID" waren bereits vergangene Woche aufgekommen, berichtet der "Inquirer". Die Gruppe sei demnach abrupt von Plänen zurückgetreten, Coronavirus-Testkliniken in Vierteln zu errichten, in denen vor allem Menschen mit afroamerikanischem und lateinamerikanischen Wurzeln leben. Ein Schlag ins Gesicht für die Zuständigen. Sie hätten sich "komplett im Stich gelassen" gefühlt, zitiert die "Washington Post" einen Pastor.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Am Montag zog die Stadt Konsequenzen und beendete die Zusammenarbeit mit der Gruppe. Es sei im Nachhinein ein Fehler gewesen, mit dem Start-up zusammenzuarbeiten, sagte Thomas Farley, Commissioner bei Philadelphia Health, bei einem Briefing am Dienstag. Er bezeichnete die Anschuldigungen, sollten sie sich als wahr erweisen, als "sehr beunruhigend". Inzwischen seien alle Impfdosen, die übriggeblieben waren, an die Stadt zurückgegeben worden. 

Farley äußerte auch weitere Bedenken. Demnach habe die Gruppe wochenlang personenbezogene Daten über die Webseite gesammelt, aber erst verspätet eine Datenschutzrichtlinie online gestellt. Diese Datenschutzrichtlinie ermögliche es der Gruppe, die Daten an Dritte zu verkaufen. Auch diesen Vorwurf wies Doroshin von sich. Dem "Philadelphia Magazine" sagte er stattdessen: "Wir haben unseren Job gemacht. Wir haben geliefert. Das ist der verrückte Teil. Wenn jemand den Job macht und den Vertrag erfüllt, feuert man ihn nicht, man bedankt sich." Vorwürfe, er habe Impfdosen in die eigene Tasche gesteckt, wies er nachdrücklich von sich, es sei alles nach Vorschrift abgelaufen. Die Staatsanwaltschaft prüft nun die Anschuldigungen.

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