Mit Schnupfen in die Notaufnahme: So erlebt eine Krankenschwester die Coronavirus-Panik

Die Ärzte aus Heinsberg (NRW) sind verzweifelt. Sie warnen: Die „medizinische Situation im Kreis Heinsberg eskaliert und nimmt bedrohliche Ausmaße an“. Sie bräuchten dringend Hilfe, heißt es in einem Brief an die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein. Die Belastung durch verunsicherte Patienten sei enorm.

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Wie das genau aussieht, schildert dem stern eine Krankenschwester, die in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Süddeutschland arbeitet. „Durch die Corona-Fälle in Süddeutschland und die Berichterstattung in den Medien haben wir viele Menschen, die sich in Panik an uns wenden. Das war absehbar“, sagt Patricia Heintze*, die eigentlich anders heißt. „Die Menschen kommen auch mit Husten und Schnupfen in die Notaufnahme und halten uns von unserer eigentlichen Arbeit ab.“ Wer nicht persönlich erscheint, ruft an, um sich über die Coronavirus-Infektion zu informieren. Auch das bedeute zusätzliche Gespräche, zusätzliche Arbeit für das medizinische Personal. „Teilweise fühlen wir uns wie in einer 24-Stunden-Info-Hotline.“ Dabei haben viele Städte und Kommunen Info-Telefonnummern wegen des Coronavirus eingerichtet.

Pflegekräfte nicht wegen Coronavirus geschult?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht Deutschland zwar „gut vorbereitet“ auf weitere Coronavirus-Infektionen. Auch eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums antwortet auf Anfrage des stern: „Deutschland ist bestmöglich vorbereitet. Vor allem das Netzwerk von Kompetenzzentren und Spezialkliniken in Deutschland ist international beispiellos. Wir verfügen über ein sehr gutes Krankheitswarn- und Meldesystem und Pandemiepläne.“

Wenden Sie sich telefonisch an Ihren Hausarzt oder wählen Sie die 116117 – die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes-, wenn Sie die Sorge haben, mit dem Coronavirus infiziert zu haben.

Eine weitere Auswahl von Hotlines, die bundesweit zum Thema Coronavirus informieren:

Unabhängige Patientenberatung Deutschland – 0800 011 77 22

Einheitliche Behördenrufnummer – 115 (www.115.de)

Bundesministerium für Gesundheit (Bürgertelefon) – 030 346 465 100

Da ist Heintze anderer Meinung: Es fehle im Gesundheitssystem an allen Ecken und Enden. Die Pflegekräfte in ihrem Krankenhaus seien nicht speziell wegen des Coronavirus geschult worden. „Die Symptome einer Coronavirus-Infektion habe ich mir im Internet angelesen“, sagt Heintze. „Dabei ist es super schwierig, Corona und eine Erkältung voneinander zu unterscheiden.“

Susanne Johna, Vorsitzende des Ärzteverbandes „Marburger Bund“, sagt dem stern: „Es gibt Hinweise darauf, dass es in einigen Kliniken an Schutzkleidung mangelt. Auch scheinen bisher nicht überall Schulungen im Umgang mit dem Coronavirus stattgefunden zu haben. Wir appellieren deshalb an alle Krankenhäuser, solche Schulungen unter Berücksichtigung der Arbeitsschutzaspekte möglichst rasch durchzuführen.“

Eine Sprecherin der Gewerkschaft Verdi antwortet auf Anfrage: „Wir wissen von wenigen Krankenhausbeschäftigten, die sich von ihrem Arbeitgeber alleine gelassen fühlen mit dieser großen Herausforderung. Wir gehen davon aus, dass in den meisten Krankenhäusern damit professionell umgegangen wird.“ Dennoch sollten die Krankenhäuser ihre Beschäftigen umfassend informieren, sofern das noch nicht geschehen sei.

Nur ein Zimmer für Coronavirus-Patienten

Und noch etwas treibt Heintze um: Das Krankenhaus, in dem sie arbeitet, verfüge über keine Isolationsstation, sondern musste improvisieren. „Wenn ein Patient mit Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion kommt, steht uns nur ein Zimmer für die Isolation zur Verfügung“, sagt Heintze. Selbst, wenn der Verdacht sich nicht bestätige, müsse das Zimmer anschließend drei Stunden lang desinfiziert werden. „Wenn in der Zeit ein nächster Verdachtsfall kommt, wissen wir nicht, wohin mit ihm“, sagt Heintze. „Und wir stehen ja erst am Anfang, was die Ausbreitung des Coronavirus angeht.“

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Die Vorsitzende des Marburger Bundes sagt dazu dem stern, nach jetzigem Ermessen seien wir in unserem Gesundheitssystem für den Umgang mit dem Virus gut aufgestellt: „In allen Kliniken gibt es sogenannte Ausbruchsmanagementpläne für den Fall einer größeren Patientenanzahl, wie sie auch bei häufiger auftretenden Influenzawellen zum Einsatz kommen. Die Krankenhäuser sind in dieser Hinsicht gut vorbereitet, sie könnten aber besser ausgestattet sein. So droht ein Mangel an Schutzkleidung, wenn deutlich mehr Corona-Verdachtsfälle im Krankenhaus ankommen. Auch die Ausstattung mit Infektionsstationen, Isolierzimmern und sogenannten Einzelboxen ist nicht optimal.“

Personalmangel ein ständiges Problem

„Im Grunde sind zu wenige Ärzte und zu wenig Pflegepersonal alltägliche Themen im deutschen Gesundheitswesen“, sagt Heintze. Den größten Vorwurf macht die Krankenschwester daher der Politik. „Aber vielleicht schaffen es die Politiker ja nun endlich, zu handeln und alle Kräfte zu mobilisieren.“ Ähnlich sieht es auch der „Marburger Bund“: Zwar habe Deutschland ein gut ausgebautes Gesundheitssystem, in den zurückliegenden Jahren hätten viele Strukturen unter einem permanenten Druck der Effizienzsteigerung gestanden. Der Personalmangel in Krankenhäusern sei Ausdruck dieser Kommerzialisierung. 

Pflegekräfte wie Heintze baden genau diese Sparpolitik nun aus. „Die Alltagserfahrung der Krankenhausbeschäftigten ist auch ohne Corona-Virus Arbeiten am Limit“, heißt es von Verdi. Schnell die Arbeit von Patricia Heintze erleichtern können momentan vor allem die Patienten. „Sie sollen zu uns ins Krankenhaus kommen, wenn sie glauben, dass sie bei ihrem Gesundheitszustand zuhause nicht mehr zurechtkommen und professionelle Unterstützung brauchen“, sagt Heintze. „Aber nicht mit jedem Husten und Schnupfen.“

* Name von der Redaktion geändert

Quellen: Bundesgesundheitsministerium,  Deutsche Krankenhausgesellschaft, Marburger Bund, Verdi.

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