Corona und Kinder: "Die Infektionsdynamik unterscheidet sich nicht von Erwachsenen"

Kaum ein Thema wird so kontrovers diskutiert wie die Rolle von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie. Sie erkranken selten schwer an Covid-19, haben oftmals nicht einmal Symptome. Kinder sind, vermuten einige, daher auch weniger ansteckend. Andere befürchten, dass Kinder allein schon wegen der hohen Zahl unentdeckter Erkrankungen das Virus weiterverbreiten. Die Datenlage ist auch rund ein Jahr nach Beginn der Pandemie mau. Eine Forschergruppe der Universität Genf hat jetzt in einer neuen Studie die Viruslasten von symptomatischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen untersucht und miteinander verglichen. Muss der Umgang mit den Jüngsten in der Pandemie neu gedacht werden? 

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Frau Eckerle, bringen die neuen Studienergebnisse endlich Klarheit in die Debatte?

Im Rahmen unserer Studie haben wir Viruslasten von Corona-Infizierten der drei Altersgruppen gemessen und verglichen. Wir konnten feststellen: Die Unterschiede sind klein. Alle drei Gruppen hatten in der ersten Krankheitswoche in der Mehrheit der Tage etwa eine Million Viruskopien pro Milliliter oder mehr infektiöses Virus. Das ist die Menge, von der man ausgeht, dass sie mit Übertragung einhergeht. 

Ist das der Beweis dafür, dass Kinder eben doch ähnlich ansteckend sind wie Erwachsene?

Oft wird Viruslast mit Ansteckungspotenzial gleichgesetzt, also niedrige Viruslast gleich wenige Ansteckungen, hohe Viruslast gleich viele Ansteckungen. Aber es ist nicht so schwarz-weiß, viele unterschiedliche Faktoren spielen hinein. Die Viruslast ist nur einer, die Virusausscheidung, also wie viel des infektiösen Virus seinen Weg aus dem Rachen in die Umgebung findet, ein anderer.

Ist das denn in den Gruppen so unterschiedlich?

Nein. Wir konnten sehen, dass sich die Viruslast bei allen Gruppen in dieser ersten Krankheitswoche recht ähnlich verhielt. Wobei bei den Kindern ein bisschen weniger Virus als bei den Jugendlichen ausgeschieden wurde und bei den Jugendlichen ein bisschen weniger als bei den Erwachsenen. Die Unterschiede waren zwar signifikant, aber der Effekt nur sehr klein. Die Frage ist: Spielt dieser kleine Unterschied in der Realität eine Rolle? 

Wenn die nachgewiesenen Viruslasten und auch die Menge an infektiösen Viren, die ausgeschieden wird, in den Gruppen vergleichbar sind, ist dann die These, dass Kinder in der Ausbreitung des Virus nur eine kleine Rolle spielen, überhaupt noch haltbar?

Das ist ein großes Streitthema. Dabei spielen nicht nur die biologischen Daten eine Rolle, sondern auch die Kontaktdaten. Erwiesen ist, dass Kinder mehr und engere Kontakte untereinander haben als Erwachsene. Durch ein Mehr an Kontakt erhöht sich das Risiko einer Ansteckung. Ob die etwas geringeren Viruslasten und die geringeren Symptome dies ausgleichen, wird aktuell ebenso stark debattiert wie die Frage, ob es auch Ansteckungen von asymptomatischen Kindern gibt. Mit unserer Studie konnten wir das nicht beantworten, dafür benötigt man epidemiologische Studien. 

Wie wurden die Daten für die Studie gesammelt?

Die Proben stammen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, deren Abstriche aufgrund eines Corona-Verdachts im vergangenen Jahr untersucht und bei denen eine Infektion nachgewiesen werden konnte. Neben den Viruslasten haben wir auch erfasst, wer wann krank wurde und wann erste Symptome auftraten. Der Zeitpunkt der Erkrankung ist wichtig, da die Viruslast vor allem in der ersten Krankheitswoche sehr dynamisch ist. Wir stellten fest, dass die Viruslast in der Frühphase der Erkrankung sehr hoch ist, dann aber im Verlauf der ersten Woche relativ stark abfällt. Wenn man die Viruslasten vergleicht, muss man das also pro Tag nach Symptombeginn tun, sonst besteht die Gefahr einer Verzerrung.

In welcher Krankheitsphase sind Kinder demnach am ansteckendsten?

Am Anfang der Pandemie dachte man, dass Kinder eine extrem effektive Immunantwort haben und das Virus in ihnen nur ganz kurz, vielleicht nur wenige Tage gefunden werden kann. Das konnten wir in unseren Daten nicht sehen. Die Unterschiede zu den Erwachsenen waren bei Kindern und Jugendlichen nur minimal. In den ersten drei, vier Tagen wurden bei allen drei Altersgruppen die höchsten Viruslasten beobachtet. Zum Ende der ersten Woche nimmt diese ab. Die Zeitspanne, in der Kinder infektiöses Virus ausscheiden, umfasst also – ähnlich wie bei Erwachsenen – ungefähr eine Woche. In dieser Zeit sollten die Infizierten isoliert werden.

Bereits im vergangenen Jahr erschien eine Studie zu Viruslasten, an der unter anderem der Virologe Christian Drosten mitgewirkt hatte. Schon damals hieß es, dass es keine Hinweise dafür gebe, dass Kinder nicht in ähnlichem Maße ansteckend seien wie Erwachsene. Die Studie wurde extrem kritisch debattiert …

Fürs Verständnis ist eines wichtig: Die neueren Daten widersprechen den früheren nicht unbedingt. Anfangs hatte man nur sehr wenige Daten von mit Sars-CoV-2 infizierten Kindern zur Verfügung. Die feinen Unterschiede, die wir nun durch die größeren Kohorten feststellten, hat man damals noch nicht sehen können. Laut unserer Daten scheint es so zu sein, dass Kinder ein bisschen weniger Virus im Rachen tragen als Erwachsene. Aber dieser Unterschied ist, wie erwähnt, sehr gering. 

Die Auswirkungen einer Infektion sind dennoch gravierend anders. Kinder haben oftmals nicht einmal Symptome. Wie kann das sein?

Dazu muss man wissen, dass sich Covid 19-Infektionen bei Kindern und Erwachsenen durchaus unterschiedlich darstellen. Häufig sind Kinder nur abgeschlagen, haben Durchfall, Bauchweh oder andere Erkrankungen, von denen man eventuell nicht direkt auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 schließen würde. Wir haben daher im Rahmen der Studie eine umfassende Symptomliste abgefragt. Feststellen konnten wir, dass bei Kindern, die mehr Symptome hatten, tendenziell eine höhere Viruslast vorlag. Was dabei die Henne, was das Ei ist, weiß man nicht. Möglich ist, dass eine höhere Viruslast auch mehr Symptome produziert. Aber das ist spekulativ. 

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In Sachen Übertragungspotenzial von Kindern wäre das doch, hinsichtlich dessen, dass viele asymptomatisch erkranken, eine gute Nachricht, oder?

Ergebnisse aus Studien mit Erwachsenen legen nahe, dass asymptomatische Personen eventuell etwas weniger ansteckend sind als stark symptomatische. Es gibt die Vermutung, dass jemand, der keine Symptome hat, der nicht hustet, der nicht niest, eben auch viel weniger Gelegenheit hat, das Virus an die Umgebung abzugeben. Für Kinder gibt es dazu aber bislang nur wenige Daten.

Es bleibt das Gefühl: Nichts Genaues weiß man nicht. Trotzdem wird derzeit wieder viel über die Wiederöffnung von Schulen und die Rückkehr in den Präsenzunterricht diskutiert. Ist das nun sinnvoll oder doch eher fahrlässig?

Das Thema Kinder ist inzwischen extrem aufgeladen, die Fronten sind verhärtet. Die einen sagen: Kinder sind keine Treiber, die spielen gar keine Rolle. Die anderen sagen: Schulen müssen geschlossen werden. Tatsächlich ist die Datenlage, ob Kinder das Virus untereinander genauso übertragen wie Erwachsene, und wie die Lage an Schulen ist, immer noch unklar. Andererseits findet man viele unerkannte Infektionen, wenn man erst einmal anfängt zu testen. Wir können aufgrund unserer Studie nicht sagen: Macht die Schulen auf oder macht sie zu. Wir sehen aber, dass sich die Infektionsdynamik nicht wesentlich von Erwachsenen unterscheidet. Die Entscheidungen, die darauf folgen, die hängen aber von vielen anderen Faktoren ab. Wichtig wäre es, dass zu einer sachlichen Diskussion zurückgekehrt wird, Entscheidungen aufgrund der vorliegenden Daten getroffen werden und nicht aus politischen Argumenten heraus.

Sind denn, ausgehend von der derzeitigen wissenschaftlichen Datenlage, Öffnungen im Kita- und Schulbereich Ihrer Meinung nach zu rechtfertigen?

Ich denke das Wichtigste ist, dass Öffnungen möglichst sicher gemacht werden. Und: Die Schutzmaßnahmen an Schulen sind die gleichen, die auch in anderen Bereichen effektiv sind. Es gibt ganz gute Daten aus den USA, die dafürsprechen. Wichtig ist dabei das Einhalten von Schutzmaßnahmen: zum Beispiel regelmäßiges Testen, gute Lüftung, und das Maskentragen von Kindern und Erwachsenen.

Schutzmaßnahmen schön und gut, aber wie realistisch ist es, dass Kita-Kinder sich an diese halten?

Da muss man ganz realistisch sein. Diese Schutzmaßnahmen funktionieren bei so kleinen Kindern nicht. Zudem weiß man inzwischen, dass es auch eine Aerosol-Komponente gibt, es mitunter für eine Ansteckung ausreicht, sich länger in einem geschlossenen Raum aufzuhalten. Allerdings ist die Datenlage so, dass das Übertragungsrisiko in den Betreuungseinrichtungen für kleine Kinder wohl ein bisschen weniger problematisch ist als in Schulen. Wobei diese Daten mit Vorsicht zu genießen sind, eben weil es zu kleinen Kindern einfach sehr wenige Studien gibt und weil man diese nicht so gut und viel testet wie die Erwachsenen. Nach aktuellem Erkenntnisstand sind es vor allem Jugendliche, bei denen die Übertragungsmuster sehr ähnlich zu denen von Erwachsenen zu sein scheinen.

Können Schnelltests die erforderliche Sicherheit gewährleisten?

Ein Ergebnis aus der Studie, das ich besonders aussagekräftig fand, sind die Daten zu den Schwellenwerten für infektiöses Virus. Dieser Grenzwert wurde von allen drei untersuchten Gruppen überschritten. Ist das der Fall, erkennen die guten Schnelltests in der Regel, dass eine Infektion vorliegt. Daraus kann man schließen, dass die Schnelltests in dieser Periode der Erkrankung bei Kindern wahrscheinlich ähnlich gut funktionieren wie bei Erwachsenen. Eine Einschränkung haben wir jedoch gefunden: Am gleichen Tag, an dem die Symptome beginnen, war die Viruslast bei Kindern deutlich geringer. Ob das einen Einfluss auf die Schnelltestergebnisse haben kann, weiß man aber noch nicht.  

Noch werden in Deutschland nur Erwachsene geimpft. Sie werden nach und nach immun. Wenn das Virus in dieser Bevölkerungsgruppe nicht mehr erfolgreich ist, könnte es dann nicht auch sein, dass es in die ungeimpfte Gruppe­ also zu den Kindern und Jugendlichen – abwandert?

Die aktuelle Situation ist gut, die Infektionszahlen fallen, die Impfrate steigt. Ich glaube, man darf darauf hoffen, dass eine gute Durchimpfung der Erwachsenen auch die Kinder, zumindest teilweise, mitschützen wird. Zudem sind die ersten Impfstoffe für Jugendliche zugelassen. Aber es ist auch das andere Szenario möglich. Es kann passieren, dass das Virus jetzt in die Population wandert, die ungeimpft ist ­– das wären die Kinder. Im Moment ist das schwer einzuschätzen. Erschwerend kommen die Virusvarianten dazu …

… über die haben wir noch gar nicht gesprochen …

Unsere Studie hat mit Proben aus 2020 gearbeitet, als es die Virusvarianten noch nicht gab. Wie diese sich verhalten, wissen wir nicht. Das wollen wir uns jetzt gerade anschauen. Dass die Varianten ansteckender sind, weiß man, aber offen ist, ob sie so viel ansteckender sind, dass dies den Benefit der Impfung aushebelt. Ebenso wurde bereits festgestellt, dass die Varianten, die zuerst in England und Indien festgestellt wurden, wohl vermehrt auch in den jüngeren Altersgruppen zirkuliert. Ob das ein epidemiologischer Effekt ist oder ob das heißt, dass Kinder und Jugendliche empfänglicher sind, das kann man noch nicht gut auseinanderhalten. Da gibt es noch viele Unbekannte. Doch im Moment scheint sich in den europäischen Ländern durch die Impfung alles in eine gute Richtung zu entwickeln.

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