Prof. Schreiber, am Universitätsklinikum Kiel sollen mögliche Langzeitfolgen einer Coronavirus-Infektion untersucht werden. Was könnte auf ehemals Infizierte zukommen?
Genau darum geht es. Covid-19 galt zu Beginn als reine Lungenkrankheit. Heute weiß man aber, dass die Lunge vermutlich nur Hauptsymptomträger der Infektion ist und es sich eher um eine Systemerkrankung handelt. Das Endothel – also die Zellen, die beispielsweise Blutgefäße auskleiden – sind zum Beispiel massiv involviert. Daneben unter anderem auch die Blutgerinnung, und es gibt Hinweise auf eine Herz- und Leberbeteiligung. Möglicherweise könnte Sars-CoV-2 daher auch zu Schäden an anderen Organen führen.
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Das klingt ziemlich düster.
Wenn wir wissen, welche langfristigen Schäden auftreten könnten, können wir rechtzeitig gegensteuern. Nehmen wir einmal das Endothel als Beispiel: Bei einer Infektion mit dem Coronavirus ist es entzündet, was wiederum die Arterien so stark schädigen könnte, dass das Risiko für Arteriosklerose, also eine Verkalkung der Blutgefäße, steigt. Die wiederum würde das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen. Es könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein. Wenn wir von diesem Risiko wissen, können wir auf entsprechende Warnsignale achten und rechtzeitig Therapien einleiten. Und natürlich hilft es auch abzuschätzen, auf welche Herausforderungen unsere Gesundheitsversorgung zusteuert, sollte das Virus einen Großteil der Bevölkerung früher oder später infiziert haben.
Was schätzen Sie: Haben Covid-19-Patienten mit schweren Verläufen ein höheres Risiko für Folgeschäden als Patienten, die nur leicht erkrankt sind?
Das ist aktuell noch unklar. Wir vermuten aber schon, dass Patienten mit schweren Verläufen möglicherweise andere Langzeitrisikoprofile aufweisen als die leicht Erkrankten, insbesondere was die Lunge angeht. Bevölkerungsstudien wie unsere werden auf einer repräsentativen Basis aufgebaut – unser Ziel ist es, jeden infizierten Patienten in Schleswig-Holstein zu finden, sei er auch noch so leicht krank gewesen. Selbst wenn sich rein äußerlich kaum Symptome zeigen, kann sich im Körperinneren doch eine ganze Menge abspielen. Genau solche Fragen können wir dann hoffentlich in den nächsten Jahren beantworten.
Hören Sie passend zum Thema auch den „Wir und Corona“-Podcast:
Bei Covid-19 stehen Symptome der Lunge im Vordergrund, Husten zählt dazu, aber auch Atemnot. Was weiß man über mögliche Langzeitfolgen speziell für dieses Organ?
Hier befinden wir uns, was die Forschung betrifft, noch in einer sehr frühen Phase. Zwar häufen sich Fallberichte, die auf Folgeschäden hindeuten, aber diese Berichte halte ich für zu verfrüht. Bis ein schwer kranker Covid-19-Patient wieder vollständig genesen und erholt ist, braucht es eher Monate, weniger Wochen. Es ist nicht unüblich, dass Patienten auch noch nach sechs oder acht Wochen eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit haben. Das kennen wir auch von Infektionen und Lungenentzündungen mit anderen Erregern. Dennoch unterscheidet sich Covid-19 von diesen anderen schweren Lungenentzündungen – das Virus befällt deutlich mehr als nur die Lunge. Das ist bei der Influenza zum Beispiel nicht in diesem Maße der Fall.
Am Universitätsklinikum Schlewsig-Holstein (UKSH) in Kiel wird außerdem in einer Studie untersucht, inwiefern Ernährungsinterventionen einen schweren Covid-19-Verlauf vermeiden könnten. Weitere Informationen für Patienten gibt es hier.
Wie genau sollen die genesenen Patienten in Kiel untersucht werden?
Wir planen, einen kompletten Gesundheitscheck mit den Patienten zu machen und sie für mindestens zehn Jahre zu begleiten. Angedacht sind vor allem Funktionstests aller Schlüsselorgane, unter anderem der Lunge, des Herzens, der Leber und auch Untersuchungen der Haut. Neben Blutproben wollen wir auch bildgebende Verfahren wie ein Ganzkörper-MRT einsetzen. Man kann schon sagen: So gut und gründlich wird kaum ein Patient untersucht, der in eine Klinik kommt.
Das klingt aufwendig – was ist der Vorteil für die Patienten?
Sie erfahren viel über die eigene Gesundheit: Auch mögliche andere Krankheiten können neben den Covid-19-Folgeerkrankungen in einem sehr frühen Stadium erkannt werden. Neben dem individuellen Wert für die eigene Gesundheit leisten sie auch einen wichtigen Beitrag für die Forschung.
Wo können sich interessierte Patienten melden?
Wir beantragen aktuell Forschungsgelder des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMWF). Sind diese ausgeschüttet, werden wir die Patienten in Schleswig-Holstein über die Gesundheitsämter anschreiben lassen. Wir hoffen auf einen großen Zuspruch.
Schweden hat einen Sonderweg gegen Covid-19 gewählt – das Land versucht aktuell, eine Herdenimmunität gegen den Erreger aufzubauen. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen angesichts der aktuellen Datenlage?
Ein solches Vorgehen wirft zwei Probleme auf: Zum einen wissen wir, wie ich bereits erwähnte, kaum etwas über die Langzeitfolgen dieser Krankheit. Angenommen, das Arteriosklerose-Risiko würde sich nach einer Sars-CoV-2 Infektion deutlich erhöhen. Wer würde seine Kinder dann noch einem solchen Immunisierungs-Versuch aussetzen wollen? Außerdem ist es Stand heute noch fraglich, ob es bei diesem Virus überhaupt einen Schutz durch die sogenannte Herdenimmunisierung gibt. Es mehren sich die Hinweise, dass eine Immunisierung durch das Virus nicht immer einen Immunschutz zur Folge hat. Es gibt Daten aus verschiedenen Ländern – Südkorea hat da den Anfang gemacht – die darauf hinweisen, dass Patienten, die die Infektion gut überstanden und Antikörper gebildet haben, sich auch durchaus noch einmal infizieren können. Wenn dem so ist, haben wir ein Problem. Denn dann geht dieses Konzept nicht auf, und wir werden mit der Durchseuchung nur viel Leid anrichten und wenig Gutes erreichen.
Ist also nur ein Impfstoff die Lösung?
Es kann durchaus sein, dass ein Impfstoff einen effektiveren Schutz aufbaut als die Immunisierung durch den Erreger. Doch dafür muss es uns erst einmal gelingen, einen wirksamen Impfstoff herzustellen. Glückt uns das nicht, käme der akuten Virusbekämpfung eine besonders wichtige Rolle zu. Aktuell werden verschiedene Medikamente in klinischen Studien getestet, hier in Kiel beispielsweise Remdesivir. Von den ersten Verläufen haben wir durchaus einen positiven Eindruck. Meiner Meinung nach ist es vor allem wichtig, entsprechende Mittel früh zu verabreichen. Die Frage ist aktuell nur: Wie früh? Auch das versuchen wir derzeit herauszufinden.
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