Umwelt-Medizinerin gegen Lungenarzt – Schützen die Grenzwerte unsere Gesundheit?

Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Ungarn, Rumänien – all diese Länder wurden 2018 von der EU-Kommission verklagt, weil sie die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub nicht einhalten.

Hierzulande gilt für Stickoxide (NO2) ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) Luft im Jahresmittel – er wird in verschiedenen Städten überschritten. In den vergangenen Jahren wurden die Anforderungen noch leicht verschärft, unter anderem indem für Stickstoffdioxid sogenannte 1-Stunden-Grenzwerte von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter eingeführt wurden. Auch für die unterschiedlich großen Feinstaubpartikel existieren Grenzwerte.

Über hundert Lungenfachärzte haben sich jetzt zusammengeschlossen und ein kritisches Positionspapier formuliert: Darin zweifeln sie die Richtigkeit der derzeit geltenden Grenzwerte mit der Begründung an, die derzeitige Studienlage lasse keine Aussage darüber zu, in welcher Konzentration Feinstaub und Stickoxide wie gefährlich sind für die Gesundheit.

Hier argumentieren die Umweltepidemiologin Barbara Hoffmann und der Initiator des Statements Dieter Köhler.

PRO

Barbara Hoffmann

Barbara Hoffmann

Die Leiterin der Umweltepidemiologie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ist an der Erarbeitung der WHO-Richtlinien für Stickoxide beteiligt. Zu Feinstaub sagt sie:

„Die Grenzwerte für Feinstaub sind aus gesundheitlicher Sicht zu hoch, sie sollten verschärft werden.“

Gelangt Feinstaub in die Lunge – und sei es nur in geringen Mengen -, versetzt das den Körper in Aufruhr: Die inhalierten Partikel sorgen dafür, dass bestimmte Botenstoffe, sogenannte Entzündungsmediatoren, unter anderem aus den Bronchien über die Blutbahn in den Organismus gelangen.

Das ist keine Theorie, die Erkenntnisse stammen aus randomisierten und kontrollierten Studien* in sogenannten Expositionskammern: Dabei wurden Tiere und auch Menschen den Feinstäuben in einer Kammer ausgesetzt. Andere Störfaktoren wie Zigarettenrauch oder andere Luftschadstoffe konnten damit als Verursacher der Gesundheitsschäden ausgeschlossen werden.

Die offenbar durch den Feinstaub aktivierten körpereigenen Entzündungsproteine regen unter anderem das Immunsystem zu einer Entzündungsreaktion an. So kann es unter anderem dazu kommen, dass im Blut eher Verklumpungen entstehen – die Gefahr für Herzinfarkte und Schlaganfälle steigt.

Das sind nicht nur Risiken, die im Laufe von Jahren nach Feinstaubbelastung entstehen, sie können bereits kurzfristig nach wenigen Stunden einer erhöhten Feinstaubkonzentration auftreten.

Über die Langzeitfolgen sind auch bereits umfangreiche Studien vorhanden. So ist aus einer großen Zahl von Studien bereits bekannt, dass Lungenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und ein niedriges Geburtsgewicht verursacht werden. Bei Belastungen unterhalb der europäischen Grenzwerte für Feinstaub kommt es ebenfalls zu diesen Effekten.

Aktuell laufen einige Studien, die speziell die Wirkungen bei Belastungen unterhalb der europäischen und der deutlich niedrigeren amerikanischen Grenzwerte untersuchen. Dabei werden andere Risikofaktoren wie das Rauchverhalten und sportliche Aktivität durch verschiedene Methoden ausgeklammert. Bei diesen Untersuchungen zeigt sich jetzt schon: Auch unterhalb der gültigen Grenzwerte für Feinstaub gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen der Luftschadstoffbelastung und dem Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrebs, bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeit.

Es gibt also viele wissenschaftlich fundierte Hinweise, dass Feinstaub der Gesundheit schadet – und zwar in Mengen, die noch unterhalb der aktuellen Grenzwerte der Europäischen Union liegen. Letztere halte ich daher für zu hoch, sie sollten weiter gesenkt werden – für die Gesundheit aller.

*Bei randomisierten, kontrollierten Studien werden die zu Untersuchenden zufällig zwei (oder mehreren) Gruppen zugeordnet. Eine Gruppe inhaliert die Feinstäube, die Kontrollgruppe nicht. So kann man beide Gruppen getrennt voneinander beobachten und die Auswirkungen der Feinstäube bewerten.

KONTRA

Dieter Köhler

Dieter Köhler

Der Lungenfacharzt und ehemalige Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie sagt:

„Die Gesundheitsgefahren durch Autoabgase werden maßlos überschätzt“

Stellen Sie sich vor: Einer größeren Studie zufolge ist die durchschnittliche Lebenserwartung in Sevilla ausgerechnet dort höher, wo die Feinstaubbelastung besonders hoch (S. 15) ist. Ist Feinstaub demzufolge gut für die Gesundheit? Das ist natürlich Blödsinn. Aber es zeigt, wie schwierig es ist, einen solch komplexen Zusammenhang wie die Wirkung von Feinstaub auf die Gesundheit zu untersuchen.

Dass Feinstaub und Stickstoffmonoxid für zahlreiche Todesfälle verantwortlich sein soll, liest man zwar in vielen verschiedenen Studien. Aber wenn man das genauer betrachtet, ist es eben nur ein statistisch schwacher Zusammenhang. Die Lungengesundheit und die Gesundheit insgesamt werden von unendlich vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst.

Nehmen wir das Beispiel Diabetes: Kommt eine Studie zu dem Ergebnis, dass es einen schwachen Zusammenhang gibt zwischen der Erkrankungsrate an Diabetes und der Feinstaubbelastung, dann kann ich als seriöser Wissenschaftler nicht einfach behaupten: Feinstaub verursacht Diabetes. Denn die Daten lassen diese kausale Verknüpfung nicht zu.

Ich bin auch davon überzeugt, dass Feinstaub der Lunge und der Gesundheit schadet, das ist medizinisch naheliegend. Allerdings kommt es auf die Menge an: Die aktuellen Grenzwerte der Europäischen Union sind extrem niedrig. Im Zigarettenrauch etwa ist der Feinstaubgehalt über eine Million Mal höher als in der Luft. Rechnet man die inhalierten Schadstoffe der Raucher hoch und vergleicht sie mit den „berechneten Todesraten“ durch Feinstaub und Kohlenmonoxid, dann müssten alle Raucher nach wenigen Monaten an verschiedenen Erkrankungen verstorben sein.

Unsere Stellungnahme zeigt, dass ich keine Einzelmeinung vertrete: Über 115 weitere Lungenärzte mit oft verantwortungsvollen Positionen und Forschungserfahrung haben sie unterschrieben. Das hat hoffentlich politische Durchschlagskraft, damit die Grenzwerte überprüft und korrigiert werden.

Denn die Grenzwerte der Europäischen Union sind nicht zu hoch, sondern zu niedrig. Betrachtet man die Folgen davon, dass Kommunen unnötig Geld ausgeben etwa für Fahrverbote, dann ist das eigentlich ein Skandal. Denn dieses Geld fehlt an anderen, wichtigeren Stellen.

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