Eine Kapsel, vier Wirkstoffe? So gut wirkt die Herzschutz-Pille

Mehrere Wirkstoffe in einer Tablette vereint, das ist praktisch und kostengünstig. Mediziner haben jedoch Zweifel, ob die Polypille unterschiedlichen Patienten gerecht wird. Eine 5-Jahres-Studie bestätigt jetzt die Wirksamkeit des „4-in-1“-Präparats: ein Drittel weniger Herz-Kreislauf-Probleme bei den Studienteilnehmern. Doch Mediziner sind skeptisch.

Blutverdünner, Blutdrucktablette, Cholesterinsenker – diese Herzschutz-Medikamente nehmen viele Menschen jeden Morgen. Wenn dann noch weitere Arzneien nötig sind und zusätzlich ein, zwei Vitamintabletten genommen werden, wären sie froh über eine Pille, in der mehrere der Wirkstoffe vereint sind.

Solche Polypillen gibt es tatsächlich schon seit mehreren Jahren für den Herz-Kreislauf-Schutz. Der Gedanke dahinter war vor allem, die Compliance zu verbessern. Denn erfahrungsgemäß vernachlässigen Patienten die regelmäßige Einnahme, je mehr Tabletten, Pillen, Kapseln sie schlucken müssen. An der Wirksamkeit von Kombi-Arznei gab es aber immer wieder Zweifel.

Wirkstoff-Kombi gegen hohe Blutdruck- und Cholesterinwerte

Diese wurde nun für eine Polypille nachgewiesen, und zwar in einer Studie mit knapp 7000 Teilnehmern über fünf Jahre. Danach war klar: Die „4-in-1“-Kapsel mit

  • blutverdünnendem Aspirin (81 mg),
  • zwei Blutdrucksenkern: Enalapril (5 mg) und HCT (12,5 mg),
  • und einem cholesterinsenkenden Statin: Atorvastatin (20 mg)

führte bei den Probanden zu einem Drittel weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen als in der Vergleichsgruppe, die lediglich Ratschläge für einen herzgesunden Lebensstil bekommen hatten: 202 gegenüber 301 Erkrankungen von jeweils 3420 Teilnehmern.  

Die Wirkstoff-Kombination senkte das schlechte LDL-Cholesterin sehr deutlich, hatte aber relativ wenig Effekt auf den Blutdruck. Am meisten profitierten die Teilnehmer, die sich dauerhaft strikt an die Einnahme des Medikaments hielten.

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4-in-1-Herzprävention – einfach und kostengünstig

Den Studienautoren um Reza Malekzadeh von der Universität Teheran lag weniger die Bequemlichkeit einer reduzierten Tablettenmenge am Herzen, sondern die Herzgesundheit in weniger entwickelten Gegenden der Welt. Anders als in westlichen Industriestaaten, stünden den Ärzten in Schwellenländern weniger Therapiemöglichkeiten zur Verfügung und eine geringere Arzneivielfalt für eine individuell zugeschnittene Behandlung. Auch die Studienteilnehmer stammten aus über 100 Dörfern im ländlichen Iran. Sie waren zu Beginn der Studie zwischen 50 und 75 Jahre alt.

Die Polypille selbst ist keine neue Erfindung, sie wurde aber noch nie so umfassend getestet. Die Ergebnisse, die jetzt im Fachjournal „Lancet“ veröffentlicht wurden, zeigen zum ersten Mal die Wirksamkeit einer fixen Vierer-Kombi über längere Zeit.

Mediziner in wohlhabenden Ländern plädieren für Einzelpräparate

Mediziner im Westen sehen in der Polypille keinen großen Vorteil. Hier könne man für Menschen mit einem Herzrisiko oder einer kardiologischen Erkrankung ganz individuell die optimal passenden Wirkstoffe zusammenstellen. Die Darreichung in einem einzigen Präparat sei zweitrangig.

Diese Einschätzung ist möglicherweise falsch. So hat sich zum Beispiel gezeigt, dass ein Drittel der Herzpatienten schon einen Monat nach einem Krankenhausaufenthalt mindestens eines ihrer wichtigen Medikamente weglassen.

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Eine seit 2015 in Deutschland zugelassene Polypille in Kapselform sollte der Einnahmemüdigkeit von Herzpatienten entgegenwirken: Sincronium mit blutverdünnendem ASS, Cholesterinsenker Atorvastatin sowie Blutdrucksenker Rampiril in drei verschiedenen Dosierungen. Außerdem gibt es in Deutschland noch die Polypille Triveram, zugelassen bei nachgewiesenen Risikofaktoren.

Ob die positive Wirksamkeitsstudie aus dem Iran Aussagekraft für die deutschen Medikamente hat, bleibt zu prüfen. Derzeit überwiegt die Skepsis gegenüber Polypillen.

Skepsis aufgrund von Neben- und Wechselwirkungen

Eine Auswertung von internationalen Studien zu Kombipräparaten mit fixer Wirkstoffdosierung für die Cochrane Library hat den Pillen beschieden, dass sie hinter den Erwartungen zurückbleiben. Urteil: nicht besser als Einzelpräparate. Nur Menschen, die bereits Medikamente gegen Blut­hoch­druck und erhöhte Blut­fett­werte einnehmen, würden profitieren. Wirkung, Nebenwirkungen und die Wechselwirkung mit weiteren Arzneien seien zu wenig erforscht.

Wogegen sich die meisten Mediziner aber besonders sträuben, ist die Idee, allen Menschen ab einem bestimmten Alter prophylaktisch eine tägliche Herzschutz-Polypille zu verordnen. Das fordern etwa die Autoren der iranischen Studie. Sie sehen die getestete Polypille als preiswertes Mittel, das allen Menschen in ärmeren Ländern ab einem bestimmten Alter zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Verfügung gestellt werden sollte.

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