Omikron verbreitete sich von Südafrika aus über den Globus. Für Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist das nicht verwunderlich. Wenn sich die Kluft zwischen Ungeimpften und Geimpften weiter vertiefe, sei das der ideale Nährboden für weitere Mutationen, warnten Experten des Gremiums. Die niedrige Impfquote in Südafrika könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass sich eine neue Virusvariante gebildet hat, hieß es zuletzt immer wieder. In dem Land mit etwas mehr als 60 Millionen Einwohnern sind gerade einmal 28 Prozent grundimmunisiert, ein Drittel sind einfach geimpft (Stand 12. Februar 2022).
Dass die humanitäre Katastrophe bisher ausblieb, grenzt an ein Wunder. Die Lebensverhältnisse der Bevölkerung sind in vielen Teilen prekär, Hygiene und Infektionsschutz unter anderem in den Townships um die Metropolregionen so gut wie unmöglich. Und trotzdem sind Südafrika sowie der Rest des Kontinents vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen. Wobei nördliche Länder wie Tunesien, Ägypten oder Marokko, Daten der CDC Afrika zufolge, stärker betroffen waren als der Süden. Seit Pandemiebeginn verzeichnet das Land, das mehr als eine Milliarde Einwohner zählt, etwas über elf Millionen Corona-Infizierte. Zum Vergleich: Das 83 Millionen große Deutschland zählt im selben Zeitraum mehr als zwölf Millionen Infektionen.
Meldesystem mit Lücken und stille Durchseuchung
Tatsächlich sind die niedrigen Infektionszahlen auf dem Kontinent jedoch kein Indiz für ein ruhiges Pandemiegeschehen. WHO-Vertreter rechnen damit, dass die Zahl der Neuinfektionen siebenmal höher sein könnte als ausgewiesen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Experten gehen davon aus, dass der niedrige Altersdurchschnitt von 17 Jahren die Welle abgeschwächt haben könnte. Zumindest, was die Todeszahlen anbelangt. Mit 151.000 Verstorbenen hat der Kontinent nur drei Prozent der globalen Pandemieopfer zu verantworten.
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Die Infektions- und Todeszahlen werden, anders als in reicheren Teilen der Welt, zudem nicht systematisch erfasst. "Wir sind uns bewusst, dass unsere Probleme mit unserem Überwachungssystem auf unserem Kontinent, beispielsweise beim Zugang zu Testmaterial, zu einer Unterschätzung der Fälle geführt haben", räumte Matshidiso Moeti, Ärztin und Regionaldirektorin der WHO für Afrika, auf einer Pressekonferenz ein.
Anders als es die Zahlen vermuten lassen, hat Afrika eine stille Durchseuchung erlebt. Das legt eine Studie von Forschern des Tropeninstituts am LMU-Klinikum in München nahe. Zusammen mit Fachleuten vor Ort haben die Forscher im August 2020 und April 2021 an verschiedenen Orten in Äthiopien über 2300 Menschen auf Antikörper gegen das Coronavirus getestet. Die Hälfte der Probanden waren in zwei Lehrkrankenhäusern tätig. Zudem untersuchten die Forscher die Virusverbreitung auf dem Land und in der Stadt.
Besonders stark verbreitete sich das Virus in den medizinischen Einrichtungen. Waren im November 2020 noch 31 Prozent des Krankenhauspersonals infiziert, hatte sich die Zahl bis Februar 2021 fast verdoppelt. In städtischen Regionen verzeichneten die Forscher ein Wachstum bei den Infektionen um 40 Prozent. Bis zum April stieg der Wert auf 73 Prozent. In ländlichen Regionen stieg der Wert von 18 Prozent im Dezember/Januar auf 31 Prozent (Feburar/März). "Andere sporadische Berichte geben teilweise noch höhere Zahlen an, etwa 60 Prozent unter Blutspendern in Südafrika", heißt es in dem Bericht. Zudem deckten sich die Daten mit nationalen Berichten über die "erhöhte Belastung der kritischen Patientenversorgung".
Patentfreier Impfstoff in Produktion
Problematisch ist laut der Forscher die niedrige Impfquote. Nach Angaben der Afrikanischen Union waren bis Anfang Februar weniger als zwölf Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Die EU will hier nachhelfen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte an, weitere 125 Millionen Euro für Impfprogramme in Afrika bereitzustellen. Zuvor waren 300 Millionen Euro versprochen worden. Damit sollen medizinische Teams geschult und die Forschung unterstützt werden, etwa die Bestimmung von Virusvarianten. Ziel sei es, "mindestens 450 Millionen Dosen Impfstoff mit den afrikanischen Ländern bis zu diesem Sommer zu teilen", betonte von der Leyen.
Es ist das erste Mal, dass europäische Außen- und Gesundheitsminister gemeinsam über mögliche Verbesserungen bei der Zusammenarbeit im Kampf gegen die Pandemie beraten. "Covid hat uns deutlich gemacht, dass Gesundheit in einem globalen Zusammenhang gesehen werden muss", sagte Kyriakides. Mit dem Geld für den sogenannten ACT-Accelerator könne ein Pool mit 600 Millionen Impfdosen geschaffen, 700 Millionen Tests gekauft sowie die Behandlung von 120 Millionen Patienten ermöglicht werden, hieß es seitens der WHO.
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Bisherige Spenden, die etwa über die Covax-Initiative an arme Länder verteilt wurden, dürften teilweise für Enttäuschung gesorgt haben. Beispielsweise in Nigeria. Dort mussten nach Angaben der nationalen Gesundheitsbehörde im Dezember eine Millionen Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs vernichtet werden. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters hätten die Behörden nur vier bis sechs Wochen Zeit gehabt, um sämtliche Dosen zu verimpfen. Danach seien sie verfallen. Für ganz Afrika zählte die CDC zuletzt 2,8 Millionen Impfdosen, die deswegen vernichtet werden mussten. Ähnliches ereignete sich im Kongo: Weil die Spendenlieferungen zu kurzfristig angekündigt worden waren, hatte etwa die Demokratische Republik eine Lieferung von 1,3 Millionen Dosen an die Covax-Initiative zurückgesendet.
Möglicherweise ist der Kontinent aber schon bald nicht mehr auf Spenden aus dem Ausland angewiesen. Ein von der WHO ausgewähltes Forschungs- und Fertigungszentrum in Südafrika habe innerhalb weniger Wochen einen patentfreien Impfstoff auf Basis der neuartigen mRNA-Technologie entwickelt, teilte die Organisation mit. Als Hub hatte die WHO im Juni 2021 das Biotechnologieunternehmen Afrigen Biologics and Vaccines in Kapstadt ausgewählt. Die Tests mit dem neuen Impfstoff könnten im Herbst beginnen. Die WHO betont, dass das Labor öffentlich zugängliche Technologien verwendet und keine Patente verletzt. Die Technologie soll Firmen in anderen ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt werden. Das Labor bildet auch Personal aus. Noch im Februar sollen weitere Länder genannt werden, in denen produziert werden soll. Argentinien und Brasilien stehen als Standorte bereits fest.
Das Ende der Pandemie?
Und noch eine gute Nachricht hat das Land zu vermelden: Wie die WHO mitteilte, könnte die Corona-Pandemie demnächst zu einer Endemie werden. "Wir glauben, dass wir uns jetzt, insbesondere angesichts der erwarteten Zunahme der Impfungen, in eine Art endemisches Leben mit dem Virus hineinbewegen", sagte WHO-Regionalbeauftragte Moeti. Afrika ist die erste Region weltweit, für die die Organisation eine endemische Phase in Aussicht stellt.
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Aber auch mit dem bisherigen Pandemieverlauf ist Moeti zufrieden. "Trotz aller Hindernisse, inklusive der großen Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe, sind wir Covid-19 mit Resilienz und Entschlossenheit begegnet. Sehr geholfen hat uns dabei Afrikas langjährige Erfahrung im Umgang mit Epidemien." Laut der Hilfsorganisation Unicef habe die Pandemie dazu beigetragen, dass die Kapazitäten zur Behandlung von Covid-19 ausgebaut wurden. Mittlerweile verfügt der Kontinent über 20 Intensivbetten pro eine Million Einwohner. Angesichts der hohen Bevölkerungszahl mag das wenig anmuten. Vor zwei Jahren standen aber weniger als halb so viele Betten zur Verfügung. Afrika verfügt damit über knapp 27.500 Intensivbetten. Zum Vergleich: Deutschland zählt 25.000.
Wie sich das Virus künftig handhaben lässt, ist aber noch ungewiss. Aufgrund der niedrigen Impfquote ist derzeit nicht auszuschließen, dass sich eine neue Virusvariante bildet. Sollte es so kommen, bleibt zu hoffen, dass der Immunschutz in der Bevölkerung das Schlimmste verhindert.
Quellen: "The Lancet","Nature", African Union/CDC, "The Guardian", "Der Standard", Unicef, Redaktionsnetzwerk Deutschland, Reuters, mit Material von DPA
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