Die Meldungen klingen alarmierend: „Smartphones lassen Menschen Hörner wachsen“ heißt es auf einem Blog. Eine andere Nachrichtenwebsite berichtet: „Handygucken lässt Nackenhorn wachsen“. Die Rede ist von „sichtbaren Veränderungen am Kopf“, die auf den Handy-Gebrauch „zurückzuführen“ seien. Was hat es damit auf sich?
Die Berichte beziehen sich auf eine Studie, die bereits im Februar 2018 am Fachblatt „Scientific Reports“ erschien. Die Autoren sind David Shahar, ein Chiropraktiker, und Mark G.L. Sayers, ein Professor für Biomechanik. Beide arbeiten an der „University of Sunshine Coast“ in Queensland, Australien.
Das Röntgenbild eines 28-jährigen Mannes – der Pfeil zeigt auf einen knöchernen Vorsprung am Hinterkopf mit einer Länge von knapp 2,8 Zentimetern. Das Bild wurde im Rahmen einer Studie aus dem Jahr 2018 von zwei australischen Wissenschaftler ausgewertet.
Das Wissenschaftler-Duo hatte über Tausend Röntgenbilder von Menschen im Alter zwischen 18 und 86 Jahren ausgewertet und dabei Erstaunliches festgestellt: Auf den Bildern zeichnete sich oft eine knöcherne Erhebung am Hinterkopf ab – und zwar an der Stelle, an welcher der Schädel in den Nacken übergeht. Ein „Knubbel“ an dieser Stelle ist normal und tritt vor allem bei älteren Menschen auf, die über Jahre hinweg starken körperlichen Belastungen ausgesetzt waren.
Doch die Wissenschaftler waren überrascht, wie häufig sie diese knöcherne Vergrößerung auch in der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen fanden und stellten eine interessante These auf: Die gekrümmte Haltung beim Benutzen von Smartphones und Tablets könnte die Muskeln und Sehnen am Schädel derart belasten, dass der Körper schon im frühen Lebensalter eine knöcherne Erhebung ausbildet.
Weltweite Aufmerksamkeit nach „BBC“-Bericht
Die „BBC“ griff die Studie vor rund einer Woche in einem Bericht auf und bescherte den Wissenschaftler weltweite Aufmerksamkeit. Vor allem australische Medien berichteten über die Beule am Hinterkopf und nannten sie fantasievoll „Head Horns“ oder „Phone Bones“.
Der große Faktencheck
Augenschäden, Strahlung und Fruchtbarkeit: Wie gefährlich sind Smartphones?
Interessant sind die Ergebnisse durchaus, doch es gibt auch berechtigte Kritik an der Untersuchung: So hatten alle Studienteilnehmer wegen Nackenproblemen eine chiropraktische Klinik aufgesucht und Röntgenbilder anfertigen lassen. Ob und wie die Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung übertragbar sind, bleibt unklar. Auch lässt sich anhand des Studienaufbaus keine Aussage über Ursache und Wirkung treffen. Wie und warum sich die Beulen formten, lässt sich nicht nachweisen.
Der Mediziner Evan Johnson erklärt im Gespräch mit der „New York Times“, dass sich derartige Knubbel theoretisch bilden können, wenn Menschen den Kopf für längere Zeit nach vorne beugen. In dieser Position drückt ein Band, das dabei hilft, den Kopf zu halten, gegen den Schädelknochen. „Der Knochen passt sich an, indem er einen kleinen Hügel oder Höcker ausbildet“, so Johnson. Anlass zur Sorge ist der Höcker seiner Meinung nach aber nicht: „Die Tatsache, dass Sie diesen kleinen knöchernen Vorsprung in Ihrem Schädel haben, bedeutet nichts.“
Gleichwohl kann eine Haltung mit nach vorne gebeugtem Nacken zu anderen gesundheitlichen Problem führen – etwa zu verspannten Muskeln und Kopfschmerzen.
Nackenhorn? „Weit hergeholt“
Von Chirurgen, die berufsbedingt viel mit gebeugtem Nacken arbeiten, sei etwa bekannt, dass sie später häufig Probleme mit den Bandscheiben entwickeln, erklärt der Neurochirurge David Langer im Gespräch mit der „New York Times“. Er glaubt, dass sich eine länger andauernde gebeugte Haltung eher mit Nackenbeschwerden bemerkbar macht – weniger mit einem knöchernen Horn.
„Ich habe bislang noch kein solches Horn gesehen, und ich fertigte viele Röntgenbilder an“, sagte er gegenüber der Zeitung. „Ich hasse es, ein Neinsager zu sein, aber das Ganze scheint mir ein bisschen weit hergeholt.“
Quellen: Scientific Reports / New York Times
Quelle: Den ganzen Artikel lesen