Forschende züchten erstmals menschliche Blutgefäße ohne Körper
Von einem völlig neuen Ansatz zur Heilung von Diabetes und anderen chronischen Erkrankungen berichtet ein österreichisches Forschungsteam. Den Forschenden ist es erstmals gelungen, funktionsfähige menschliche Blutgefäße, also Adern, im Labor aus Stammzellen nachzuzüchten. Das Team will auf diese Weise neue Erkenntnisse über Diabetes, Krebs und weitere Gefäßkrankheiten gewinnen.
In den letzten Jahren zeigten Stammzellenforschungen immer wieder, dass es möglich ist, Organe oder Zellen aus Stammzellen nachzuzüchten. Solche kultivierten Organe werden in der Fachsprache vaskuläre Organoide genannt. Forschenden des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) ist es nun erstmals gelungen, ein Netz aus funktionsfähigen menschlichen Blutgefäßen aus Stammzellen zu züchten. Solche Adersysteme ohne Körper sollen völlig neue Studien ermöglichen, die Gefäßerkrankungen heilbar machen könnten. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
Forschungsdurchbruch oder Ethik-Überschreitung?
Das IMBA-Team spricht von einem Meilenstein in der Stammzellenforschung. Die sogenannten Blutgefäß-Organoide aus dem Labor sollen eine wichtige Triebfeder in der Grundlagenforschung werden. Denn die nachgezüchteten menschlichen Adersysteme spiegeln laut den Forschenden Prozesse der Organentwicklung und der Krankheitsentstehung beim Menschen wider. Dank solcher Systeme könne man Gefäßkrankheiten wie Diabetes erstmals im Labor „nachspielen“. „Unsere Organoide sind den menschlichen Kapillaren unglaublich ähnlich und erlauben uns erstmals, Blutgefäßerkrankungen direkt am menschlichen Gewebe zu untersuchen “, erläutert Reiner Wimmer, der Erstautor der aktuellen Studie, in einer Pressemitteilung.
Neue Therapien für Gefäßerkrankungen von Nöten
Die menschlichen Blutgefäße überziehen den Körper wie ein feines Netz und erreichen nicht nur sämtliche Organe. Die kleinsten Äderchen, die sogenannten Kapillaren, sind nur wenige Mikrometern groß und versorgen jede einzelne Zelle des Körpers mit lebenswichtigen Nährstoffen und Sauerstoff. Wie die Forschenden berichten, nehmen krankhafte Veränderungen der Blutgefäße, wie es bei Diabetes der Fall ist, weltweit stark zu. Mittlerweile seien rund 420 Millionen Personen betroffen. Wer unter Diabetes leide, habe auch ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Folgeerkrankungen wie Nierenversagen, Erblindung, Herzinfarkt, Schlaganfall und Amputationen. Angesichts der steigenden Zahlen müssen laut dem Forschungsteam dringend effektivere Therapien entwickelt werden.
Welche Rolle spielen die Kapillaren bei Diabetes?
Nach Angaben der Forschenden finden die ersten Krankheitsprozess in den winzigen Zweigen der Kapillaren statt. Die äußere Wand dieser Gefäße werde dabei von sogenannten Basalmembranen ummantelt, die die Kapillaren stützen. Diese Membranen seien bei Diabetes-Patienten massiv vergrößert, wodurch die Nähr- und Sauerstoffzufuhr erheblich eingeschränkt ist. Diese führe oft zum Absterben der kleinen Blutgefäße.
Gezüchtete Gefäßerkrankungen
Die gezüchteten Blutgefäß-Organoide aus dem Labor ermöglichen es erstmals, solche Krankheitsprozesse an „echten“ Blutgefäßen zu simulieren. Die Forschenden leiteten ein Nährmedium mit hohem Zuckeranteil und Entzündungsstoffen durch die Gefäße. „Überraschenderweise konnten wir die bei Diabetes typische Verdickung der Basalmembran in den zuckerkranken Organoiden beobachten“, resümiert Wimmer.
Medikamententest mal anders
In weiteren Experimenten testeten die Forschenden, wie die zuckerkranken Blutgefäße auf aktuelle Diabetes-Medikamente reagierten. Die meisten Arzneien zeigten jedoch keine Effekte. Das Team konnte allerdings zwei Moleküle (Notch3 und Dll4) identifizieren, die die Verdickung der Basalmembran der Kapillaren maßgeblich regulieren. Auch eine Überprüfung an menschlichen Diabetes-Patienten zeigte, dass diese eine erhöhte Aktivität von Notch3 aufwiesen. Eine Blockierung diese Signalwege könne ein neuer Ansatz für die Behandlung von Diabetes sein, schlägt das Forschungsteam vor.
Auch neue Erkenntnisse bei Alzheimer und Krebs möglich
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