Der Ad-hoc-Beschluss des Robert-Koch-Instituts, den Genesenenstatus zu verkürzen, bringt Gesundheitsminister Karl Lauterbach immer mehr in Bedrängnis. Viele Fragen bleiben ungeklärt und der Frust unter den Kollegen ist groß.
Es ist noch gar nicht so lange her, da besaß Karl Lauterbach den Status des Heilsbringers. Ihm, dem Epidemiologen, trauten es die Bürger zu, die fehlerbehaftete Politik des früheren Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) hinter sich zu lassen. Endlich ein Fachmann im Kampf gegen das Virus – so die gängige Meinung nach dem Regierungswechsel. So dachte wohl auch Kanzler Olaf Scholz und machte Lauterbach zum Minister.
Spätestens seit vergangener Woche ist der Vertrauensvorschuss für Lauterbach allerdings ziemlich aufgebraucht. Durch die Ad-hoc-Entscheidung des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 15. Januar, den Genesenen-Status von sechs auf drei Monate zu verkürzen, verloren Millionen Bürger plötzlich ihr Recht, ohne zusätzliche Tests an weiten Teilen des öffentlichen Lebens teilzunehmen. Eine Entscheidung, die auch auf Lauterbach zurückfällt, schließlich ist das RKI seinem Ministerium unterstellt.
Ähnlich groß war die Empörung, als am Dienstag bekannt wurde, dass in den Räumlichkeiten des Bundestages die alte Regelung – also ein Genesenenstatus von sechs Monaten – gelten soll. Schnell stand der Vorwurf im Raum, die Regierung würde den Abgeordneten an ihrem Arbeitsplatz eine Sonderregelung spendieren. Tatsächlich kam der Beschluss der RKI schlicht zu plötzlich, um in die entsprechende Allgemeinverfügung der Bundestagspräsidentin einzugehen. Die war nämlich bereits einen Tag zuvor verfasst worden.
Für gut koordinierte Abläufe spricht das alles nicht. Selbst der eigenen Partei ist Lauterbachs Pandemie-Management mittlerweile zu hektisch und zu abrupt. Aus dem Fraktionsvorstand der SPD heißt es, dass solche Entscheidungen in Zukunft besser kommuniziert werden müssten. Ähnliches geht aus der Beschlussvorlage der Ministerpräsidentenkonferenz vom Montag hervor.
Lauterbach entscheidet sich für nationalen Alleingang
Für zusätzliche Verwunderung sorgte dann auch noch die Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten am Dienstag, wonach vormals Erkrankte den Status bei Reisen innerhalb der EU für 180 Tage innehaben sollen. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte dem Portal "Business Insider" am Dienstag: "Das Mindeste, was wir alle erwarten können, ist, dass die Mitgliedstaaten diese Empfehlung auch umsetzen."
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Lauterbach sieht das offenbar anders, beharrt auf den deutschen Alleingang. Sein Ministerium kündigte auf Anfrage des "Business Insider" an, dass es keine erneute Änderung geben werde. Die EU habe sich in ihrer Empfehlung nicht auf eine sechsmonatige Gültigkeit des Genesenenstatus geeinigt, sondern auf sechs Monate als Obergrenze. In der Verordnung heißt es, "dass Genesenenzertifikate frühestens 11 Tage nach positivem PCR-Test und höchstens 180 Tage gelten". Die deutsche Regelung bewege sich in diesem Rahmen, so ein Sprecher des Gesundheitsministers.
"Was hat der Minister zu welchem Zeitpunkt darüber gewusst?"
Die Opposition hat aber noch viele Fragen. Die Union möchte von Lauterbach wissen, wie das RKI eine so weitreichende Entscheidungen unangekündigt treffen konnte. Gegenüber FOCUS Online erklärte CDU/CSU-Fraktionsvorstandsmitglied Tino Sorge, die Union werde eine Kleine Anfrage zur Rolle Lauterbachs an die Bundesregierung stellen.
Er fordere Gewissheit darüber, "wie eine derart wichtige Entscheidung Hals über Kopf getroffen werden konnte – und was der Minister zu welchem Zeitpunkt darüber gewusst hat". Es dürfe nicht noch einmal passieren, dass Millionen Deutsche über Nacht von der Politik überrumpelt würden.
Ähnlich deutlich wird Sorge hinsichtlich der Sonderbehandlung der Abgeordneten: "Die Regeln im Bundestag müssen schnellstmöglich angepasst werden. Im Parlament müssen die gleichen Regeln gelten wie überall sonst auch." Es sei Aufgabe der Bundestagspräsidentin, ihre Allgemeinverfügung so schnell wie möglich zu ändern.
Kritik gibt es auch aus der Ampel selbst. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, erklärte im Gespräch mit der "Bild"-Zeitung: "Sonderregelungen im Bundestag darf es nicht geben." Sie forderte eine Änderung der zugrundeliegenden Allgemeinverfügung – möglichst noch in den nächsten Tagen.
Lauterbach selbst verteidigt sein Vorgehen
Lauterbach selbst hatte die spontane Umsetzung ohne Übergangszeit verteidigt: "Ich kann jetzt nicht sagen, es gibt einen Übergang, wenn das medizinisch nicht zu halten ist", sagte der SPD-Politiker in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Corona-Genesene hätten angesichts der jetzt vorherrschenden Omikron-Variante ihren Impfschutz nach drei Monaten leider verloren und könnten sich infizieren. "Wenn man da Sicherheit will und die Fallzahlen kontrollieren will und die Vulnerablen besonders schützen will, dann muss man schnell handeln."
Ein Sorge, die andere Länder in Europa so nicht teilen. In der Schweiz etwa gilt ab dem 31. Januar 2022 der Genesenenstatus beispielsweise für neun Monate. Zuvor konnte der Genesenenstatus durch einen entsprechenden Antigen-Test sogar auf 12 Monate verlängert werden.
Ganz gleich, welche Regelung am Ende in Deutschland gilt: Lauterbachs Ruf hat in der vergangenen Woche massiv gelitten. Böse Überraschungen, wie einst unter Jens Spahn, so dachten viele, würde es unter ihm nicht mehr geben. Nun aber muss sich auch der neue Minister zunehmend den Vorwurf gefallen lassen, ohne die nötige Weitsicht zu agieren.
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