Behandlung von COVID-19 mit der Hilfe von Ultraschall?
Coronaviren scheinen empfindlich auf Ultraschallvibrationen zu reagieren, welche im Bereich der Frequenzen liegen, die in der medizinischen diagnostischen Bildgebung verwendet werden. Dies könnte gegebenenfalls zur Behandlung und auch zur Vorbeugung von Coronavirus-Infektionen genutzt werden.
Es ist möglich, Coronaviren mit der Hilfe von Ultraschall zu destabilisieren und sogar deren Hülle aufzubrechen, so das Ergebnis einer Untersuchung unter der Beteiligung von Forschenden des international hoch anerkannten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Die Studie wurde in dem englischsprachigen Fachblatt „Journal of the Mechanics and Physics of Solids“ veröffentlicht.
Wie sind Coronaviren aufgebaut?
Die Struktur des Coronavirus ähnelt durch seine dicht gepackten Oberflächenrezeptoren einer dornigen Krone. Die ährenartigen Proteine heften sich an gesunde Zellen und lösen die Invasion der viralen RNA aus. Während die Geometrie und die Infektionsstrategie des Virus mittlerweile recht gut bekannt sind, gibt es über seine physikalische Integrität bisher nur wenig Erkenntnisse, berichten die Fachleute.
Team erstellte Vibrationsmodell des Coronavirus
Durch Computersimulationen hat das Team die mechanische Reaktion des Virus auf Vibrationen in einem Bereich von Ultraschallfrequenzen modelliert. So stellten die Fachleute fest, dass Vibrationen zwischen 25 und 100 Megahertz die Hülle und die Spikes des Virus innerhalb eines Bruchteils einer Millisekunde kollabieren lassen, wodurch sie anfangen zu brechen. Dieser Effekt wurde in Simulationen des Virus sowohl in Luft als auch in Wasser beobachtet.
Ultraschallbasierte Behandlung von Coronaviren?
Die Ergebnisse sind nach Angaben der Forschungsgruppe lediglich vorläufig und basieren auf begrenzten Daten zu den physikalischen Eigenschaften des Virus. Dennoch berichtet das Team, dass ihre Ergebnisse ein erster Hinweis auf eine mögliche ultraschallbasierte Behandlung von Coronaviren darstellen könnten, einschließlich SARS-CoV-2.
Wie genau der Ultraschall zur Behandlung eingesetzt werden könnte und wie effektiv er das Virus in der Komplexität des menschlichen Körpers schädigen würde, gehört zu den wichtigsten Fragen, welche die Fachleute noch klären müssen.
Vibrationen führten zu Schäden am Virus
„Wir haben bewiesen, dass unter Ultraschallanregung die Hülle und die Spikes des Coronavirus vibrieren, und die Amplitude dieser Vibration wird sehr groß, was zu Belastungen führt, die bestimmte Teile des Virus brechen könnten, so dass sichtbare Schäden an der äußeren Hülle und möglicherweise unsichtbare Schäden an der RNA im Inneren verursacht werden”, erläutert Studienautor Professor Tomasz Wierzbicki vom MIT in einer Pressemitteilung.
Der Schwerpunkt der Forschungsgruppe liegt in der Festkörper- und Strukturmechanik und der Untersuchung, wie Materialien unter verschiedenen Spannungen und Belastungen zerbrechen. Die Fachleute wollten bei ihrer aktuellen Untersuchung mehr über das Bruchpotenzial des Coronavirus herausfinden und machten sich daher daran, das neuartige Coronavirus und seine mechanische Reaktion auf Vibrationen zu simulieren.
Die Forschenden verwendeten einfache Konzepte der Mechanik und Physik von Festkörpern, um ein geometrisches und rechnerisches Modell der Struktur des Virus zu konstruieren, das sich auf die begrenzten Informationen der wissenschaftlichen Literatur stützt, wie beispielsweise mikroskopische Bilder der Hülle und der Stacheln des Virus, berichten die Forschenden.
Wie ist die Hülle des Coronavirus aufgebaut?
In früheren Studien haben die Fachleute bereits die allgemeine Struktur von Coronaviren entschlüsselt. Diese Struktur besteht aus einer glatten Hülle aus Lipidproteinen und dicht gepackten, ährenartigen Rezeptoren, welche aus der Hülle herausragen, erklären die Forschenden.
Mit dieser Geometrie im Hinterkopf modellierte das Team das Virus als eine dünne, elastische Hülle, die mit etwa 100 elastischen Spikes bedeckt ist. Da die genauen physikalischen Eigenschaften des Virus bisher nicht bekannt sind, simulierten die Fachleute das Verhalten dieser einfachen Struktur über einen Bereich von Elastizitäten sowohl für die Hülle als auch für die Stacheln.
Materialeigenschaften der Spikes sind noch unbekannt
„Wir kennen die Materialeigenschaften der Spikes nicht, weil sie so winzig sind – etwa zehn Nanometer groß. Noch unbekannter ist, was sich im Inneren des Virus befindet, welches nicht leer, sondern mit RNA gefüllt ist, die wiederum von einer Proteinkapsidhülle umgeben ist. Diese Modellierung erfordert also eine Menge Annahmen“, erklärt Professor Wierzbicki.
Können akustische Schwingungen das Virus zerbrechen?
„Wir sind zuversichtlich, dass dieses elastische Modell ein guter Startpunkt ist”, fügt der Experte hinzu. Die Frage bleibe, durch welche Spannungen und Dehnungen das Virus zum Zerreißen gebracht werden kann. Um diese Frage zu beantworten, nutzten die Forschenden akustische Schwingungen in der Simulationen und beobachteten, wie sich die Schwingungen über einen Bereich von Ultraschallfrequenzen durch die Struktur des Virus kräuselten.
Das Team begann zunächst mit Schwingungen von 100 Megahertz oder 100 Millionen Zyklen pro Sekunde, was nach dem, was über die physikalischen Eigenschaften des Virus bekannt ist, die natürliche Schwingungsfrequenz der Hülle sein dürfte.
Schwingungen führten zu Verformung der Hülle
Als sie das Virus 100 MHz-Ultraschallanregungen aussetzten, waren die Eigenschwingungen des Virus zunächst nicht nachweisbar. Aber innerhalb eines Bruchteils einer Millisekunde bewirkten die externen Schwingungen, die mit der Frequenz der natürlichen Schwingungen des Virus in Resonanz traten, dass sich die Hülle und die Spikes nach innen wölbten, ähnlich wie ein Ball, der beim Aufprall auf dem Boden Dellen bekommt, erklären die Fachleute.
Virus zerbrach durch Behandlung
Als die Forschenden die Amplitude oder Intensität der Schwingungen erhöhten, konnte die Schale brechen – ein akustisches Phänomen, das als Resonanz bekannt ist und auch erklärt, wie Opernsänger ein Weinglas zerbrechen können, wenn sie genau in der richtigen Tonhöhe und Lautstärke singen.
Bei niedrigeren Frequenzen von 25 MHz und 50 MHz wölbte sich das Virus noch schneller und zerbrach, sowohl in simulierten Umgebungen aus Luft als auch aus Wasser, welches in seiner Dichte den Flüssigkeiten im Körper ähnelt. Nach Angaben von Professor Wierzbicki liegen diese Frequenzen und Intensitäten in dem Bereich, der auch für die medizinische Bildgebung verwendet wird und daher als sicher gilt.
Behandlung wird an Schweinen überprüft
Um ihre Simulationen zu verfeinern und zu validieren, arbeitet das Team mit Mikrobiologen in Spanien zusammen, die mit Hilfe der Rasterkraftmikroskopie die Auswirkungen von Ultraschallschwingungen auf eine Art von Coronavirus beobachten, welches ausschließlich bei Schweinen vorkommt.
Wenn experimentell bewiesen werden kann, dass Ultraschall Coronaviren, einschließlich SARS-CoV-2, schädigt, und wenn sich zeigt, dass diese Schädigung eine therapeutische Wirkung hat, wäre das eine bahnbrechende Entdeckung. So könnte Ultraschall, der bereits zur Zertrümmerung von Nierensteinen und zur Freisetzung von Medikamenten über Liposomen eingesetzt wird, zur Behandlung und möglicherweise zur Vorbeugung von Coronavirus-Infektionen genutzt werden, berichtet das Team.
Außerdem könnten Miniatur-Ultraschallwandler, welche in Telefone und andere tragbare Geräte eingebaut werden, in der Lage sein, Menschen vor dem Virus zu schützen, spekulieren die Forschenden.
Professor Wierzbicki betont allerdings, dass noch weitere Forschung nötig sei, um zu überprüfen, ob Ultraschall eine effektive Behandlungs- und Präventionsstrategie gegen Coronaviren sein kann. Während sein Team daran arbeitet, die bestehenden Simulationen mit neuen experimentellen Daten zu verbessern, plant Wierzbicki, die spezifischen Mechanismen des neuartigen, schnell mutierenden SARS-CoV-2-Virus genauer zu untersuchen. „Wir haben uns die allgemeine Coronavirus-Familie angeschaut, und jetzt schauen wir uns speziell die Morphologie und Geometrie von COVID-19 an“, fügt der Experte hinzu. (as)
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