Eigentlich wollte Großbritannien Ende Juni alle Corona-Maßnahmen aufheben, bereits Ende Februar hatte Premier Boris Johnson einen entsprechenden Öffnungsplan vorgestellt. Doch nun wackeln diese Pläne. Das Problem: Delta. Die Corona-Variante, die zuerst in Indien entdeckt wurde, breitet sich auf der Insel rasant aus. Weil die Infektionszahlen in Großbritannien zuletzt wieder anstiegen, wurde die Impfkampagne noch einmal beschleunigt. Die Variante ist nach neuesten Erkenntnissen wahrscheinlich nicht nur ansteckender und gefährlicher, sondern auch resistenter. Sorgen machen jetzt vor allem die Ergebnisse zur Wirksamkeit der Impfung gegen die Variante. Denn auch das Biontech-Vakzin scheint gegen Delta weniger als gegen andere Corona-Varianten ausrichten zu können. Demnach entwickelten mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech Geimpfte wesentlich weniger neutralisierende Antikörper gegen die Delta-Variante als gegen die zuvor in Großbritannien zirkulierenden Varianten.
Die "Legacy-Studie" des Francis Crick Institute und des National Institute for Health Research UCLH Biomedical Research Centre ist die bisher größte veröffentlichte Studie, welche die Wirksamkeit von Impfstoffen gegen die neuesten Corona-Varianten untersuchte. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlicht. Untersucht wurden Blut- und Abstrichproben von 250 gesunden Erwachsenen, die eine oder zwei Impfstoffdosen des Biontech-Vakzins erhalten hatten. Beobachtet wurde, wie die produzierten neutralisierenden Antikörper gegen die unterschiedlichen Varianten arbeiten und ob diese imstande sind, das Eindringen des Virus in die Zellen zu verhindern. Außerdem verglichen sie die jeweilige Menge an produzierten neutralisierenden Antikörpern, die gegen die unterschiedlichen Varianten, die zuerst in China, Großbritannien (Alpha), Südafrika (Beta) und Indien (Delta) entdeckt worden waren und den Virus-Stamm (D614G), der in der ersten Pandemiephase in Europa dominierte.
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Schwächere Antikörperreaktion gegen Delta
"Neue Varianten treten natürlich auf und diejenigen, die einen Vorteil haben, werden sich ausbreiten", ordnete David LV Bauer, Gruppenleiter des Crick's RNA Virus Replication Laboratory, ein. Die Delta-Variante scheint eine solche zu sein. Denn die Forschergruppe fand heraus, dass die Teilnehmenden nach den Impfungen wesentlich weniger Antikörper gegen die Variante entwickelten als gegen die andere Variante. Demnach war die Menge an neutralisierenden Antikörpern gegen Delta um das Fünf- bis Achtfache geringer als bei dem ursprünglichen Stamm, auf dem die aktuellen Impfstoffe basieren.
Nach der ersten Impfstoffdosis fiel die Antikörperreaktion sogar noch geringer aus. Nur bei 32 Prozent der Studienteilnehmern wurden neutralisierende Antikörper in quantifizierbarer Menge gegen die Delta-Variante gefunden. Zum Vergleich: Die Antikörperreaktion gegen den Wildtyp lag bei 79 Prozent, bei 50 Prozent gegen Alpha und bei 25 Prozent gegen Beta. Bemerkenswert sei zudem, schreiben die Forscher:innen, dass über alle Varianten hinweg die Antikörperproduktion mit erhöhtem Alter sinke, Zusammenhänge von Geschlecht oder Body-Mass-Index und produzierten Antikörpern aber keine festgestellt werden konnten.
Ansteckender, gefährlicher, resistenter?
Wirkt das Biontech-Vakzin gegen Delta also schlechter? Das sei nach wie vor nur schwer abzuschätzen, schreiben die Forscher:innen. Betrachte man die Studienergebnisse und die epidemiologischen Daten, sei eine reduzierte Impfstoffwirksamkeit und eine erhöhte Übertragbarkeit möglich. Welche Auswirkungen dies haben könnte, ob dies beispielsweise dazu führen könnte, dass auch Geimpfte schwer an der Variante erkranken, ließe sich nur schwer vorhersagen. "Diese evolutionären Veränderungen im Auge zu behalten, ist für uns entscheidend, um die Kontrolle über die Pandemie zu behalten und zur Normalität zurückzukehren", so Bauer. "Wir haben jetzt die Möglichkeit, unsere Impfstrategien schnell anzupassen, um den Schutz dort zu maximieren, wo wir wissen, dass die Menschen am anfälligsten sind." Eine solche Anpassung könnte die Verkürzung des Impfintervalls zwischen erster und zweiter Impfung sein.
Wegen indischer Mutante
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Erst vor etwa zwei Wochen hatte eine andere Studie für Aufsehen gesorgt, die zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen war. Laut dieser Studie schützten sowohl der mRNA-Impfstoff von Biontech als auch der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca nach zweifacher Impfung beinahe so effektiv gegen Delta wie gegen die Variante B.1.1.7 (Alpha). Als "bahnbrechend" hatte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock die Ergebnisse der Studie der Regierungsbehörde Public Health England (PHE) genannt. Inzwischen aber geht auch das Beratergremium der britischen Regierung davon aus, dass die Delta-Variante ansteckender, wahrscheinlich gefährlicher und auch resistenter als andere Corona-Varianten ist.
In einem Überblick, den die Behörde PHE veröffentlichte, ist nachzulesen, dass diese nicht nur ansteckender zu sein scheint als der Wildtyp und und wohl auch "deutlich übertragbarer" als Alpha (B.1.1.7). Auch die Wahrscheinlichkeit von Sekundärinfektionen seien höher. Dabei handelt es sich um Infektionen, die zusätzlich zu einer schon vorliegenden Infektion (Primärinfektion) vorliegen. Zudem ist davon die Rede, dass erste Daten aus England und Schottland darauf hindeuten, dass das Virus auch gefährlicher sei. Dass Menschen, die sich mit der Delta-Variante infizieren, häufiger schwer erkranken und im Krankenhaus behandelt werden müssen als solche, die sich mit Alpha infizierten. Der nationale Trend sei allerdings noch nicht eindeutig.
„Wir impfen jetzt gegen die Zeit“
Ein Grund für die schnelle Verbreitung der Variante in Großbritannien könnte auch Immunflucht sein, ist bei PHE nachzulesen. Das Virus könne möglicherweise die natürliche Immunität umgehen. So wurde beobachtet, dass die Immunabwehr nicht so gut gegen Delta funktioniert wie gegen Alpha, die Viren weniger gut neutralisiert werden können. Allerdings seien die epidemiologischen Daten diesbezüglich noch unzureichend. Erwähnt werden auch die Analysen zur Biontech-Impfstoffwirksamkeit. Wie der Impfstoff von Astrazeneca gegen die Delta-Variante wirkt, ist bislang nicht bekannt. An entsprechenden Studien wird derzeit gearbeitet.
In Großbritannien hat Delta die zuvor dominante Corona-Variante B.1.1.7 abgelöst. In den jüngsten wöchentlichen Zahlen wurden 5472 neue Fälle der Delta-Variante gemeldet, womit die Gesamtzahl auf 12.431 steigt. Am Donnerstag wurden mehr als 5000 Neuansteckungen auf der Insel gemeldet, die höchste Zahl seit März. In Deutschland spielt die Variante bislang noch eine untergeordnete Rolle. In einem Bericht, den das Robert-Koch-Institut am Mittwoch veröffentlichte, machte die Variante lediglich 2,1 Prozent der untersuchten Proben aus (Woche vom 17. bis 23. Mai). Es sei allerdings nur eine Frage der Zeit, bis die Corona-Mutante auch Deutschland erreiche, sagte Anfang der Woche Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Interview mit "RTL". Sie werde die britische Variante verdrängen, das ließe sich kaum verhindern. "Schlechte Nachrichten zur Delta Variante B1.617.2 Ursprung Indien", kommentierte Lauterbach die neuesten Nachrichten aus Großbritannien auf Twitter. Und: "Wir impfen jetzt gegen die Zeit."
Quellen: The Lancet, Eurekaltert, PHE1, PHE2, RKI, RTL
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