Der Sonntagsbraten hat etwas, was weder Nudelauflauf noch der bunte Salat vorweisen können: eine lange Tradition. Schließlich stammt das Gericht aus einer Zeit, in der Fleisch so teuer war, dass Familien es sich nur einmal in der Woche leisten konnten.
„Der Sonntagsbraten hatte damals das Ziel, die Energiereserven nach einer körperlich anstrengenden Woche wieder zu füllen – ganz nach dem Motto: „Den haben wir uns nun verdient“, erklärt Volker Tabatt, Koch in Lindow (Mark) in Brandenburg. Der Braten war aber nicht nur Belohnung, sondern sorgte auch für Geselligkeit. Und heute?
Jüngere Leute wenden sich von der Tradition ab
Durch Kantinen und Kühltheken im Supermarkt ist Fleisch für viele alltäglich geworden. „Der Sonntagsbraten ist damit am Kippen – und wird in einigen Jahrzehnten womöglich verschwinden“, wagt Volker Tabatt eine Prognose. Er beobachtet, dass ältere Generationen auf dem Land diese Tradition zum Teil noch pflegen, sich jüngere Leute – gerade in den Städten – jedoch von ihr abwenden.
Jasmin Parapatits, Kochbuch-Lektorin beim Hölker-Verlag in Münster, betrachtet die Zukunft des Sonntagsbratens mit mehr Optimismus: „Da immer mehr Menschen darauf achten, ihren Fleischkonsum zu reduzieren, kann der Braten eine Rückkehr zu den Ursprüngen sein.“ Heißt: Fleisch landet insgesamt seltener auf dem Teller, dann aber saisonale und regionale Produkte, die umso mehr genossen werden.
Und doch wird der Braten immer wieder mit Skepsis betrachtet: zu viel Aufwand, zu schwer im Magen, zu altbacken. „Dabei lässt sich das Gericht hervorragend modern interpretieren“, findet Andreas Geitl, Koch in Oberhaching (Bayern). Ein guter Ansatz ist, Zutaten einzubeziehen, die zu Omas Zeiten noch keine Rolle spielten. So sorgen Curry, Kreuzkümmel oder Basilikum in der Marinade oder in der Bratensoße für Raffinesse.
Karamellisierte Apfelspalten zum Sauerbraten
Wer dem deftigen Fleisch etwas Süße entgegensetzen mag, stellt ein Glas Chutney auf den Tisch – oder serviert karamellisierte Apfelspalten zum Sauerbraten, wie Andreas Geitl vorschlägt. Der Grundidee „mehr Süße“ folgt auch der klassische Rotkohl, den der Koch gerne mit etwas Schokolade oder Himbeeren aufpeppt.
Auch andere Beilagen lassen sich modern interpretieren. „Knödel sind eine tolle Beilage, aber es müssen nicht immer 800 Gramm pro Person sein“, sagt Geitl. Besser: Kleine Knödel vorbereiten und – je nach Belieben – mit Pilzen oder Gemüse und Kräutern etwas leichter machen.
Ob damals oder heute: Der Sonntagsbraten braucht deutlich mehr Zeit und Planung als jede Lasagne. „Der Satz „Ich mache das mal schnell“ passt beim Sonntagsbraten nicht“, sagt Volker Tabatt. Bestes Beispiel ist der Sauerbraten, der bereits einige Tage zuvor in einer Beize aus Essig, Wasser oder Wein, Zwiebeln und Gewürzen eingelegt wird.
Ein Sonntagsbraten fängt schon am Samstag an
Auch beim Garen ist Geduld wichtig. „Je langsamer man den Braten gart, desto besser schmeckt das Fleisch“, so Geitl. Wenn das erste Magenknurren einsetzt, sollte das Fleisch also schon längst im Bräter schmoren. Ratsam ist es also, den Sonntagsbraten etwa eine Woche im Voraus zu planen. Was soll auf dem Teller landen? Was muss im Laufe der Woche besorgt werden? Muss das Fleisch vorbereitet werden?
Dabei gibt es einige Kniffe, die helfen, sich den großen Stress am Sonntagvormittag zu ersparen. „Ein Sonntagsbraten fängt bestenfalls schon am Samstag an“, so Geitl. Am Vortag können Gemüse, Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch vorbereitet werden. Auch am Esstisch heißt es dann: Zeit nehmen. Ein so aufwendiges und besonderes Gericht wie der Sonntagsbraten hat es schließlich verdient, in vollen Zügen genossen und geschätzt zu werden.
Literatur:
Andreas Geitl: Sonntagsbraten. Heute wird einfach nur geschlemmt, BLV Buchverlag, 256 Seiten, 19,99 Euro, ISBN-13: 978-3-8354-1967-4.
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