Ein Lungenfacharzt erklärt die in Deutschland geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide für „völligen Blödsinn“, mehr als 100 Kollegen springen ihm bei, und der Bundesverkehrsminister frohlockt: Wenn sich so viele Wissenschaftler zusammenschlössen, sei das „ein Signal“, die aktuellen Messpraktiken zu überdenken.
So weit, so vereinfacht. Denn das Positionspapier, von dem nun überall die Rede ist und das federführend von Dieter Köhler verfasst wurde, dem ehemaligen Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP), wurde bereits Anfang Januar an 3800 DGP-Mitglieder verschickt. Aber nur 112 haben es nach aktuellem Stand unterschrieben, also weniger als drei Prozent der angefragten Lungenexperten. Dies deutet darauf hin, dass eine sehr große Mehrheit der Lungenexperten in Deutschland Köhlers Ansicht nicht teilt.
Weitaus mehr Lungenexperten halten Luftverschmutzung für bedenklich
Die offizielle Position der in der DGP vereinten Kollegen lautet auch ganz anders: „Luftschadstoffe gefährden unsere Gesundheit – besonders die von Kindern, älteren Menschen und Erkrankten“, teilte der Verband im November 2018 mit. Experten hatten damals für die DGP ein entsprechendes Dossier erstellt. Auf 100 Seiten mit Hunderten Fußnoten fassen sie den Wissensstand der Forschung zusammen.
Ihr Fazit: „Negative Gesundheitseffekte treten auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte auf.“ Für die deutsche Bevölkerung sei derzeit „kein optimaler Schutz vor Erkrankungen, die durch Luftverschmutzung verursacht werden, gegeben“. Deshalb sei „eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich“ – also sogar noch verschärfte Richtlinien.
Auch der Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP) hat Stellung bezogen. „Eine Bagatellisierung der Auswirkungen von Luftschadstoffen gefährdet die Bemühungen, Risiken und Gefahren von Luftverschmutzung zu minimieren!“, warnt Frank Heimann, Vorsitzender des BdP, in einer Mitteilung. Der Verband vereint mehr als 1200 Lungenärzte in Deutschland.
Um welche Schadstoffe es in der Debatte geht, wie sie entstehen und was man über ihre Wirkung auf die Gesundheit weiß, haben wir im nachfolgenden Überblick für Sie zusammengestellt:
Woher kommen Stickoxide?
Stickoxide haben keine natürliche Quelle, sondern entstehen, wenn Kohle, Öl, Gas oder Holz verbrannt werden. In Städten stammen dem Umweltbundesamt zufolge 60 Prozent der Stickoxide aus dem Verkehr. Benziner bilden so gut wie keine Stickoxide, deshalb konzentrieren sich die Diskussionen auf Diesel.
Welche Grenzwerte gelten für Stickoxide?
Europaweit gilt ein Grenzwert von 200 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter Luft pro Stunde. Er darf eigentlich nicht öfter als 18-mal pro Jahr überschritten werden. Zudem gilt ein Grenzwert von höchstens 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel, dieser Wert wird auch von der WHO empfohlen.
Wie wirken sich Stickoxide auf den Körper aus?
Stickstoffdioxid ist ein ätzendes Reizgas. Es gelangt hauptsächlich beim Atmen in den Körper und dringt bis zur Lunge vor. Ab einer bestimmten Menge kann es die Atemwege reizen und so Brustschmerzen, Atemnot und Husten verursachen. Menschen, die über längerer Zeit einer erhöhten Stickstoffdioxidbelastung ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko für Asthma, Atemwegsinfektionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Besonders gefährdet sind Personen mit Grunderkrankungen sowie Kinder, da sich ihre Atemwege noch entwickeln.
Die Auswirkungen von Stickoxiden lassen sich allerdings nur schwer isoliert betrachten. Stattdessen handelt es sich bei den meisten Untersuchungen um sogenannte Beobachtungsstudien: Dafür analysieren Forscher, wie groß die Stickoxidbelastung in bestimmten Gebieten ist und wie viele Menschen dort etwa an einem Herzinfarkt erkranken.
Diese Art von Studien haben alle eine Schwäche: Sie können nie absolut sicher sagen, dass tatsächlich die Stickoxide schuld an den beobachteten Erkrankungen sind und nicht etwa andere Faktoren wie der Feinstaub. Um das Risiko solcher Verzerrungen so weit wie möglich zu reduzieren, rechnen Forscher den Einfluss anderer bekannter Faktoren heraus. Trotzdem liefern die Ergebnisse nie absolute Sicherheit.
Klar ist jedoch, dass Stickoxid neben Ammoniak und anderen Gasen ein Ausgangsstoff für die Entstehung von Feinstaub ist – der anderen Gruppe von Luftschadstoffen, um die es in der aktuellen Debatte geht.
Wie entsteht Feinstaub?
Als Feinstaub gelten Partikel, die kleiner sind als zehn Mikrometer (PM10). Ein Mikrometer entspricht einem Millionstel Meter. Der überwiegende Teil stammt aus natürlichen Quellen. Vulkane blasen beispielsweise große Mengen Partikel in die Luft. Auch Waldbrände und Wüstensand trägt zur Staub- und Feinstaubmenge in der Luft bei. Mit der Zeit verteilen sich die Partikel weiträumig in der Atmosphäre, sodass die Belastung mit der Entfernung zur Quelle je nach Wetterlage deutlich abnimmt.
Der Mensch erzeugt Staub und Feinstaub vor allem durch Verbrennungsprozesse in der Industrie. Betrachtet man nur die besonders gesundheitsschädlichen Partikel unter 2,5 Mikrometern (PM 2,5), sind nach Industrieprozessen vor allem Haushalte und Kleinverbraucher sowie der Verkehr die wesentlichen Verursacher. Haushalte erzeugen Feinstaub beispielsweise durch Kamine und Heizungen sowie Abfallverbrennungsanlagen.
Beim Verkehr trägt neben dem Abrieb von Bremsen und Reifen vor allem der Verbrennungsprozess im Ottomotor zur Feinstaubbelastung bei. In modernen Benzinmotoren mit Direkteinspritzung entstehen besonders kleine Partikel, die kleiner sind als 0,1 Mikrometer (Ultrafeine Partikel, UFP).
Welche Grenzwerte gelten für Feinstaub?
Für Partikel unter 2,5 Mikrometer (PM 2,5) gilt in der EU ein Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. In den USA liegt er deutlich niedriger, dort sind nur 10 Mikrogramm erlaubt, dies entspricht der Empfehlung der WHO.
Wie wirkt sich Feinstaub auf den Körper aus?
Das Problem mit dem Feinstaub: Je kleiner die Partikel sind, desto weiter dringen sie in den Körper vor, wenn sie eingeatmet werden. Die größeren Feinstaubteilchen, die PM10, verbleiben größtenteils in den oberen Atemwegen, also dem Rachen, der Luftröhre oder den Bronchien. PM2,5 gelangen dagegen bis in die Lungenbläschen.
Die ultrafeinen Partikel können sogar in den Blutkreislauf übergehen und so im Prinzip sämtliche Körperregionen erreichen und dort Schaden anrichten. Man geht davon aus, dass UFP unter anderem in den Blutgefäßen Entzündungsprozesse in den Gefäßwänden auslösen und damit die Arterienverkalkung sowie das Entstehen von Blutgerinnseln fördern.
Welche Krankheiten löst Feinstaub aus?
Anders als bei den Stickoxiden gilt die schädliche Wirkung des Feinstaubs als eindeutig nachgewiesen. Feinstaub reizt Atemwege und Schleimhäute, damit kann er Atemwegsprobleme wie Husten, Atemnot und Asthma entstehen lassen oder verstärken. Auch an der Entstehung von Lungenkrebs können die Partikel beteiligt sein. Wenn sie ins Blut gelangen, richten sie auch dort Schäden an, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – Herzrhythmusstörungen, Arterienverkalkung und Infarkt – steigt.
Menschen, die bereits Atemwegs- oder Herzprobleme haben, sind laut der Weltgesundheitsorganisation WHO besonders durch Feinstaub gefährdet, das gilt auch für Kinder und Senioren.
Fazit: Sowohl Stickoxide als auch Feinstaub gelten unter Fachleuten als gesundheitsbedenklich, wobei sich die Auswirkungen des Feinstaubs besser wissenschaftlich belegen lassen, als die der Stickoxide. Für beide Schadstoffe kann man keine eindeutige Aussage darüber treffen, ab welcher Konzentration die Stoffe definitiv schädlich sind. Die geltenden Grenzwerte stützen sich teilweise auf Empfehlungen der WHO, sind aber letztliche politisch festgelegt.
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