Pünktlich an meinem 18. Geburtstag arbeitete ich mehrere To-Dos ab: Ich kaufte mir endlich eine Schachtel Zigaretten an der Tankstelle, ohne die Angst, keine zu bekommen. Ich feierte mit einer großen Party meinen Geburtstag in dem Club, in den ich es zuvor nur ein einziges Mal mit Glück und einem geliehenen Ausweis reingeschafft hatte.
Und zu guter Letzt, die einzige Tat, auf die ich heute noch stolz bin: Ich füllte meinen Organspendeausweis aus und registrierte mich bei der DKMS, als potenzieller Knochenmark- und Stammzellenspender.
Ich hatte gerade erst die Aufnahme in die Kartei hinter mir (Mundschleimhaut-Probe, Fragebogen, etc.), als mich eines Nachmittags ein Anruf der DKMS erreichte. Sie bräuchten Blutproben von mir, da ich für einen bestimmten Patienten tatsächlich in Frage käme.
Natürlich hatte ich damit nicht in dem Tempo gerechnet. Die meisten Menschen, die sich registrieren lassen, kriegen nie den Anruf, dass Ihre Stammzellen für einen Patienten passen würden. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit für einen genetischen Zwilling sehr, sehr gering.
Umso glücklicher war ich, dass ich tatsächlich jemandem helfen konnte und mich gerade noch rechtzeitig registrieren hatte lassen, um für ihn Stammzellen zu spenden.
Nicht erwünscht: Häftlinge, Prostituierte, Drogenabhängige, Homosexuelle
Aber irgendwann in dem darauffolgenden Prozess mit Blutabnahmen, Untersuchungen und der letztendlichen Reise in die Entnahmeklinik mit weiteren medizinischen Checkups, musste ich einen weiteren Fragebogen ausfüllen – und der hatte es in sich.
Ich sollte Schwarz auf Weiß bestätigen, dass ich zu keiner der folgenden "Risikogruppen" gehöre: Häftlinge, Prostituierte, Drogenabhängige und Homosexuelle. Mit einem Kreuz bei "Nein" und einer schnellen Unterschrift verleugnete ich zum ersten Mal meine sexuelle Orientierung.
Ich war erschüttert. Einerseits wollte ich natürlich weiterhin spenden, dafür habe ich mich ja schließlich auch registrieren lassen. Aber innerlich tobte eine große Wut in mir. Wieso wurde ich mit Junkies und Häftlingen auf die gleiche Stufe gestellt?
Die Antwort seitens der Organisation, die ich mir damals ergoogelte, war folgende: Natürlich wird jede Spende gründlichst auf jegliche Krankheiten und Viren überprüft, bevor sie einem fremden Patienten verabreicht wird – das gilt auch für ganz normale Blutspenden. Dennoch besteht ein winzig kleines Restrisiko: das sogenannte "diagnostische Zeitfenster".
Denn wenn sich ein Spender unmittelbar vor der Entnahme beispielsweise mit HIV infiziert haben sollte, sind zwar die Viren im Blut, aber es haben sich noch keine Antikörper gebildet. Aber nach genau diesen wird als Nachweis für eine eventuelle Infizierung gesucht.
Ich, das Risiko
Heißt das, dass Blut- und Stammzellen gefährlich sind? Fakt ist: Es besteht immer ein Restrisiko und ja, man kann sich im schlimmsten Fall bei einer Spende mit Krankheiten und sogar HIV anstecken. Hier gibt es jedoch ein großes "aber". Denn die Wahrscheinlichkeit liegt bei rund 1:1.000.000, also ist laut dem Deutschen Roten Kreuz bei "4 bis 5 Millionen Blutpräparaten pro Jahr mit 4 bis 5 unvermeidbaren Infektionen zu rechnen".
Nichtsdestotrotz wollen natürlich alle vermeiden, dass es zu diesem Fall kommt. Also wurden pauschal alle Gruppen ausgeschlossen, die sich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit innerhalb der letzten Wochen vor einer Spende mit übertragbaren Krankheiten hätten anstecken können.
Und das waren nunmal auch Homosexuelle, sofern diese "in den letzten 12 Monaten sexuell aktiv waren". Aus statistischer Sicht mag das vielleicht ein Stückweit nachvollziehbar sein, aber promiskuitive Heterosexuelle werden nach ihrem ausufernden Sexualleben schließlich auch nicht befragt… oder?
Ich würde es wieder machen!
Mittlerweile gehört dieses Problem zum Glück der Vergangenheit an, denn seit 2014 (einige Jahre nach meiner Spende), wurden die Spendemöglichkeiten für alle Risikogruppen geöffnet. In meinen Augen eine sehr positive Entwicklung.
Nach meiner Spende, die, wie ich später erfuhr, tatsächlich das Leben eines Patienten rettete, sprach ich natürlich mit vielen Freunden über dieses Thema. Alle gaben mir Zuspruch, egal ob hetero- oder homosexuell. Nebenbei erfuhr ich auch von anderen schwulen Freunden, dass diese regelmäßig Blut spenden würden – und jedesmal ihre sexuelle Orientierung quasi verleugnen mussten.
Ich würde es jederzeit wieder tun, auch wenn es illegal wäre. Zum einen habe ich mir persönlich nichts vorzuwerfen. Ich habe mich während meiner damaligen Single-Zeit regelmäßig auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen – und das obwohl ich immer ausschließlich Safer-Sex praktiziert habe. Alles andere wäre auch Wahnsinn.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich kurz vor der Entnahme meiner Stammzellen mit etwas angesteckt hätte, ging also praktisch gegen Null – wie bei jedem anderen Menschen, der ein verantwortungsvolles Liebesleben führt, ganz gleich ob hetero oder schwul.
Und schlussendlich werden ja Blut und Stammzellen nur im äußersten Notfall an Patienten verabreicht. Hier gilt also der Vergleich: Will man lieber an Leukämie sterben oder eine neue Chance ergreifen, mit einer fast nicht existenten Wahrscheinlichkeit, sich mit einer anderen Krankheit zu infizieren? Ich kenne meine Antwort auf diese Frage.
Hier können auch Sie sich als Spender für die DKMS registrieren.
GQueer
__Unser Autor Paul Sattler ist schwul und lebt in München. In seiner Kolumne „GQueer“ schreibt er über das Leben als Homosexueller in einer heteronormativen Welt. Alle weiteren Teile der Kolumne finden Sie hier__ .
Dieser Artikel wurde verfasst von (Paul Sattler)
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*Der Beitrag „Schwules Blut unerwünscht: Wie ich illegal einem Menschen das Leben rettete“ stammt von GQ. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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