Heroin in Tampons und Morphium für Kleinkinder – als harte Drogen zum Alltag gehörten

Die Therapie war ein voller Erfolg: Bei drei Kindern  – drei, vier und acht Jahre alt – schlug das Medikament bei Keuchhusten an. Auch andere Kinder, die das neue Präparat, das 1898 von einem Vorläufer-Unternehmen von Bayer registriert wurde, verabreicht bekamen, hätten dies gut vertragen. „Ohne eine Spur von ungünstigen Nebenwirkungen“, zitiert das Therapeutische Monatsheft von 1899 den Versuch. Der Name des Medikaments: Heroin.

Heroin, Kokain, Morphium – im 19. Jahrhundert gelang es Forschern und Chemikern, die Wirkstoffe aus Heilpflanzen zu extrahieren. Bekannt war die Wirkung schon über Jahrhunderte, doch nun wurde die Produktion der Wirkstoffe industrialisiert. Statt unsicherer Salben, Tees und Co. bekamen Patienten nun ein wirksames Präparat. „Heroin und Kokain wurden früher medizinisch eingesetzt, mit tollen Erfolgen und begeistert war die Ärzteschaft, die Patienten waren es auch“, sagte Tom Bschor, Chefarzt der psychiatrischen Abteilung der Schlosspark-Klinik in Berlin und Sprecher der Arbeitsgruppe „Psychiatrie der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ zum „Deutschlandfunk. Dabei waren die Mittel, die die Menschen einnahmen, nichts anderes als harte Drogen.

Opiate für kleine Kinder

Die neuen Produkte wirkten: Morphium war der Vorläufer von Heroin und bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von dem Apothekergehilfen Friedrich Wilhelm Adam Sertürner aus Paderborn aus Opium isoliert worden. Er nannte die einschläfernde Substanz Morphium, nach Morpheus, dem griechischen Gott der Träume. Es war der Vorläufer des Heroins und wurde in allerlei Mittelchen gerüht. Selbst zahnende Kinder erhielten mit dem „Mrs. Winslow’s Soothing Syrup“ ein Mittel, das vor allem aus Morphium und Alkohol bestand.

Heroin, das „heroische“ Mittel von Bayer, wurde fast gegen alles genommen: gegen Schmerzen, bei Depression, Atemwegserkrankungen oder Krebs. Sogar als Ersatzmittel wurde Heroin Morphium-Patienten verabreicht – da es nicht süchtig machen würde. Diese Einschätzung rührte auch daher, dass Heroin geschluckt – und nicht gespritzt – wurde. So wirkte es langsamer und deutlich weniger stark.

Auch zwei Ärzte aus Berlin sollen Tests mit dem neuen Wundermittel Heroin durchgeführt haben. Statt vier Wochen brauchten sie nur wenige Tage. „Der Husten ihrer Patienten verschwand, Tuberkolosekranke spuckten kein Blut mehr, und selbst Todkranke fanden neuen Lebensmut“, schreibt Harro Albrecht in „Schmerz – Eine Befreiungsgeschichte“ über die damalige Wirkung. „So etwas hatte die Welt noch nicht gesehen.“

Heroin ohne klinische Tests

Nebenwirkungen traten laut Ärzten bei Heroin kaum auf. Vielleicht etwas Verstopfung und Schwindel – doch das war es dann auch schon. Dass Heroin oder Kokain einen Siegeszug antreten konnte, hatte mehrere Ursachen. Zum einen: „Heroin stammt aus einer Zeit, in der die Zulassungskriterien für Arzneimittel noch viel lascher waren“, sagte vor einigen Jahren Dieter Steinhilber, Professor für pharmazeutische Chemie an der Uni Frankfurt, der „Zeit“. Statt aufwendiger, teurer Test unter klinischer Aufsicht, wurde an Mitarbeitern und deren Angehörigen herumprobiert. Bayers Heroin wurde sofort zum Verkaufserfolg: Ein Jahr nach Marktstart war es bereits in mehr als 20 Ländern verfügbar. Verkaufte der Pharmaproduzent 1898 nur 45 Kilogramm des neuen Mittels, waren es rund zehn Jahre später schon 783 Kilogramm. Doch: Auch andere Pharmafirmen boten Heroin-Produkte an. Und so nahmen es alle Bevölkerungsschichten, selbst Tampons sollen mit Heroin getränkt worden sein (gegen Geschlechtskrankheiten).

Leichter Internethandel

Immer mehr Drogentote in Deutschland

Ein weiterer Grund für den Erfolg der Präparate: Die Werbetrommel wurde mächtig für Salben, Säfte, Pillen und Pulver gerührt. Große Anzeigen bewarben den Nutzen der Mittel, auf Rezeptkarten, Flyern oder in Kalendern fanden Leser die Packungen abgedruckt. Mütter, die ihre glücklichen Kinder ins Bett brachten oder spielende Kleinkinder – das familiäre Idyll als Motiv funktionierte offenbar.

Doch es war nicht alles rosig, schon zur Jahrhundertwende meldeten sich Ärzte, die vor den neuen Wundermitteln warnten. Sie zeigten, dass Heroin – in erhöhter Dosis – sehr wohl abhängig mache. Auch die ersten Herointoten kratzten am Bild der Mittels. 1912 fand die erste Opiumkonferenz statt. Dort einigten sich die Teilnehmer darauf, dass Opiate streng zu kontrollieren seien und die Abgabe nur in Apotheken möglich sein sollte. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschwerte allerdings die internationale Umsetzung dieser Beschlüsse.

Von Heroin und Aspirin

Die Verwundungen der Soldaten bescherten Opiaten einen ungeahnten Absatz, so dass die Abhängigkeit nach diesen Drogen auch „Soldatenkrankheit“ genannt wurde. Allerdings war klar: Es handelt sich nicht um Wundermittel, sondern um harte Drogen. Die USA schwangen sich zum Vorreiter im Kampf gegen die Substanzen auf – hier verkaufte sich Heroin besonders gut. Erst 1925 einigte sich die Opiumkommission des Völkerbundes auf ein Verbot von Heroin, Deutschland ratifizierte dieses Verbot 1929. Das Verbot machte die Produktion unattraktiv für die Hersteller. Bayer stellte die Produktion fast vollständig ein, im Jahr 1931 war ganz Schluss.

Felix Hoffmann, Chemiker bei Bayer, gilt als Erfinder des Diacethylmorphins – das Bayer unter dem Namen Heroin vermarktete. Doch er entwickelte noch ein weiteres Mittel, das für Bayer durchaus lohnender wurde: Aspirin. 


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