Er dachte, Frauen mögen das: Wie Pornos unser Sexleben zerstören

Wie viele Frauen spricht Sarah*, 27, mit ihren Freundinnen oft über Sex – wie viel Sex sie haben, die Überraschungen, die Enttäuschungen, die Tipps.

Aber wie viele Frauen hat auch sie schon unendlich viele Geschichten über Sex gehört, die bei ihr ein unangenehmes Gefühl ausgelöst haben.

Als sie 15 war, erzählte ihr eine Freundin, dass ihr Freund sie immer wieder eine “schmutzige Schlampe” nannte, weil er online gesehen hatte, dass Männer das so machen.

Sarahs eigener Freund zu dieser Zeit versuchte immer wieder sie dazu zu bringen, mit ihm Analsex zu haben – sie weigerte sich, machte Schluss und hoffte, dass ihr Sexleben besser werden würde, wenn sie älter sei.

Er dachte, Frauen würden es so wollen

Aber es wurde nicht wirklich besser. Während ihres letzen One-Night-Stands drückte der Mann Sarahs Kopf gewaltvoll nach unten und zerrte beim Oralsex an ihren Haaren, bis sie würgen musste.

Als sie ihn auf sein Verhalten ansprach, sagte er, dass er dachte, dass Frauen diese körperliche Erzwingung mögen würden. Zumindest die Frauen aus den Pornos, die er guckt, würden es mögen.

“Es fehlt einfach der komplette Respekt und die Aufmerksamkeit, damit ich überhaupt zum Orgasmus kommen könnte”, sagt Sarah über andere Männer, denen sie bisher begegnet ist.

Sie vermutet, dass sie es einfach nicht verstehen oder gar nicht interessiert, dass man sich gegenseitig befriedigen kann. “Ich hatte ein paar Männer, die sich einfach auf die Seite gerollt und das Licht ausgemacht haben, wenn sie fertig waren. Ich kam mir vor, als hätten sie mich genau so benutzt wie ihren Laptopbildschirm.”

Pornos verursachen oft Probleme im Sexleben

Es ist nicht so, dass Frauen keine Pornos gucken. Die Webseite xHamster berichtete von einem massiven Anstieg ihrer Zuschauer, von denen 30 Prozent Frauen sind.

Doch laut einer neue Umfrage der Stiftung “Relate” berichten 47 Prozent befragter Therapeuten, dass die Zahl ihrer Patienten jeglichen Geschlechts, die über Probleme in ihrem Sexleben sprechen, die durch Pornos ausgelöst wurden, ansteigt.

Für einige lösen sie große Besorgnis über ihr Aussehen aus – viele andere verlieren den Bezug zu realistischen Erwartungen gegenüber anderen im Schlafzimmer.

Die Lust zwischen zwei Menschen wird durch Druck ersetzt: Ob es nun der Druck ist, bestimmte Dinge machen zu müssen oder etwas zu genießen, was sich falsch anfühlt.

Viele Menschen suchen Hilfe

Der Berater Peter Saddington sagt der HuffPost, dass er diesen Anstieg aus erster Hand erfahren habe – bei eigenen Klienten und den Klienten der Therapeuten, die er bei einer Beratungsstelle in Mittelengland betreut.

“Vor einigen Jahren kamen nur wenige Menschen zu uns, um über Pornos zu reden”, sagt Saddington. Jetzt schätzt er, dass etwa 40 Prozent der Klienten zur Beratungsstelle kommen, weil Pornografie ein Problem in ihrer Beziehung oder in ihrem Sexleben darstellt. “Es wird immer und immer wieder angesprochen und löst richtige Verzweiflung bei ihnen aus.”

Er ist nicht der einzige, der diese Auswirkung spürt. Die Radiomoderatorin und Psychotherapeutin Lucy Beresford schreibt mir per Mail, dass ihr auch aufgefallen sei, dass immer mehr Klienten mit diesen Problemen zu ihr kommen.

Eine junge Frau kam zu ihr, weil sie das Gefühl hatte, nicht genug zu sein – da sie ihre Schambehaarung nicht entfernt hatte, bevor sie sich vor ihrem Freund auszog und Körbchengröße 75B hat. Ihr Partner war es durch Pornos gewöhnt, dass Frauen große Brüste haben und glatt rasiert sind.

Eine andere Klientin kam zu Beresford, nachdem ihr Freund darauf bestanden hatte, dass sie Prostituierte in ihr Sexleben miteinbeziehen, da sie nicht bereit oder nicht dazu fähig war, bestimmte Stellungen nachzumachen, die er im Internet gesehen hatte. “Sie war einige Monate bei mir in Therapie und löste die Beziehung letztendlich auf, da er sie ständig frigide nannte.”

Junge Erwachsenen werden ihr ganzes Leben von Pornos begleitet

Für die älteren Generationen hat der Zugriff auf Pornografie – online, auf dem Bildschirm oder in Magazinen – vielleicht ihre sexuellen Erfahrungen als Erwachsene beeinflusst. Doch junge Erwachsene heutzutage werden in ihrem Sexleben dauerhaft von Internet-Pornos begleitet.

Diejenigen, die momentan in ihrer Pubertät sind, haben ein ganzes Lexikon mit sexuellen Akten gesehen, bevor sie diese überhaupt legal durchführen durften.

“Unsere sexuelle Vorlage – was uns im Bett gefällt, was uns anmacht – entwickelt sich in unserer frühen Jugend”, sagt Peter Saddington. “Wenn wir schon von Anfang an Pornos online sehen, im Alter von zehn oder elf Jahren, können wir uns die Konsequenzen nur ausmalen.”

Pornos schaffen unrealistische Erwartungen

Die Therapeutin Miranda Christophers sagt, dass ihre Klienten, die in ihren Zwanzigern und Dreißigern sind, oft erzählen, dass ihr Sexleben durch Pornos angefangen habe. Viele von ihnen stießen auf Pornoseiten, als sie etwa acht Jahre alt waren.

Laut Christophers ist das Ergebnis, dass diese Altersgruppe eine andere Auffassung von “normalem” und “extremen” Sex hat. Das führt zu der Erwartungshaltung, dass sie – oder andere – für alles offen sein müssen.

Emily*, 35, schlief vor kurzem mit einem Mann, der während dem Sex auf ihre Vulva spuckte, um sie zu befeuchten. “Ich mochte es nicht und ich habe nicht danach gefragt. Ich kann mir nur vorstellen, dass er das vermutlich in Pornos gesehen hat. Ich war völlig perplex von diesem Verhalten.”

Das war nicht das erste Mal, dass sie sich so fühlte. Ein vorheriger Partner hatte die Fantasie von einem Dreier mit Emily und ihrer Zwillingsschwester, weil er einen Porno mit dieser Handlung gesehen hatte.

“Ich muss betonen, dass sie keine Neandertaler sind. Sie sind intelligente, gebildete Männer, die sehr einfühlsam wirken. Bis du sie ins Schlafzimmer nimmst”, sagt Emily. “Es ist ein massiver Unterschied zwischen dem, was Männer denken, was sie uns geben und was sie tatsächlich machen.”

Pornos vermitteln eine falsche Vorlage

Für Menschen unter 30 ist es viel schwerer zu realisieren, dass Pornos nicht real sind. Sex- und Dating-Expertin Annabelle Knight sagt: “Den Personen muss bewusst sein, dass es für die meisten wenig bis gar nichts mit realen sexuellen Situationen zu tun hat.”

Ähnlich wie bei anderen Seiten, durch die man einen Blick in das Leben anderer werfen kann – Facebook, Instagram, Twitter. Denn nur weil Pornos im Internet eine bestimmte Form von Sex zeigen, heißt es nicht, dass er in der Realität genau so ist.

Sarah erzählt, dass einige Männer, mit denen sie geschlafen hat, dachten, dass gezwungene Gewalt der einzige Weg sei, sie zum Orgasmus zu bringen.

Das heißt auch, dass bestimmte Elemente bei Pornos oft fehlen. Intimität, Emotionen, weibliche Lust – all das wird somit auch oft beim Sex im realen Leben außer Acht gelassen.

Männer wissen nicht, wie sie Intimität schaffen sollen

Saddington sagt, dass Männer zu ihm kommen und ihm erklären würden, dass sie mit ihrem Partner “liebe machen” wollten.

Sie bauen eine sexuelle Beziehung auf, die sich um Intimität dreht, doch durch ihre selbst beigebrachten Sexual-Kenntnisse durch Pornos wissen sie nicht, wie sie das erreichen können.

“Dieses Verhalten widerspricht ihren Werten”, erklärt er. “Sie wollen keinen gezwungenen oder gewalttätigen nicht-einvernehmlichen Sex. Sie wünschen sich Intimität und Emotionen.”

Hardcore-Pornos könnten ein Problem sein

Erika Lust, eine selbsternannte feministische Porno-Produzentin, sagt, dass wir nicht Pornos generell beschuldigen sollten.

Wir sollten eher einen Blick auf die Explosion von kostenlosen Hardcore-Inhalten werfen, die nicht mehr hinter Paywalls versteckt sind, sondern innerhalb Sekunden durch eine Google-Suche gefunden werden könnten – denn diese seien das Problem.

“Das hat die Industrie komplett verwüstet und verändert wie wir, als Gesellschaft, Pornos gucken”, sagt sie.

“Das Problem ist, dass bestimmte Handlungen in Pornos so dargestellt werden, als wäre das der einzige Weg Sex zu haben. Ohrfeigen, würgen, spucken usw. sind im Schlafzimmer Nischenhandlungen – aber bei vielen Mainstream-Seiten wird es als Standart beim Sex dargestellt. Viele dieser Filme werden von und für eine bestimmte demografische Gruppe heterosexueller Männer produziert. Diese Art von Pornos sind oft frauenfeindlich und sexistisch. Sie zeigen Sex als eine Sache, die Männer den Frauen geben oder Frauen für Männer machen.

Pornos können den sexuellen Horizont erweitern

Dennoch ist das Publikum von Pornos größer und diverser als je zuvor. Franki*, die polyamorös ist, erzählt, dass sie und ihre Partner beider Geschlechter Pornos als gegenseitig-erfüllende Erfahrung genießen: “Ich habe viele Dinge durch Pornos entdeckt. Ich bin auch generell sehr offen gegenüber der Vorstellung Dinge aus Pornos auszuprobieren”, sagt sie.

Von dieser Seite betrachtet, können Pornos dazu beitragen, den sexuellen Horizont zu erweitern, neue Dinge zu erleben und in einem sicheren Raum über seine Grenzen zu schreiten.

Pornos, die inklusiv und divers sind, weibliche Lust und Emotionen anerkennen, könnten dabei helfen, sagen Produzenten und Fans.

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Pornos zeigen eine verzerrte Realität

Das Problem liegt vermutlich in der Differenz zwischen Pornos und Realität. “Pornografie zeigt Sex ohne die alltäglichen Unterbrechungen oder der Normalität, die wir erfahren – Körperbehaarung, Krämpfe, lustige Geräusche, eine peinliche Stellung, ein klingelndes Handy oder ein schreiendes Baby”, sagt Psycho- und Sexualtherapeutin Kate Moyle.

“Das kann besonders für Menschen eine Herausforderung sein, die in ihren frühen Phasen ihres Sexlebens stecken. Denn das kann die Erwartung an Perfektion schaffen.”

Und diese Erwartungshaltung betrifft nicht nur Frauen. Peter Saddington sagt zur HuffPost, dass seine männlichen Klienten immer mehr unter Ängsten leiden, die das Körperbild und die Performance betreffen – angetrieben durch die Männer, die sie online sehen.

Nicht nur, dass sie sich für die Größe oder Form ihrer Körper und Genitalien schämen oder nicht so viel Ausdauer wie Porno-Stars haben – sie machen sich auch Sorgen, dass sie von einer “normalen” sexuellen Handlung nicht mehr erregt werden, aufgrund des Verhaltens und der Behandlung von Frauen, die sie online gesehen haben.

Gemeinsam Pornos gucken kann Paare näher zusammen bringen

Die Umfrage von “Relate” zeigt, dass 24 Prozent der befragten Therapeuten männliche Klienten haben, die unter Erektionsstörungen leiden. Diese Zahl ist mit dem freien Zugang zu Pornos direkt angestiegen.

Pornografie wird so schnell nicht von der Bildfläche verschwinden. Experten raten, sie nicht zu ignorieren, sondern zu lernen, damit umzugehen.

Beresford glaubt, dass Kommunikation der Schlüssel ist. Sie schlägt eine “Wir-gucken”-Methode vor, bei der Partner Pornos in ihr gemeinsames Sexleben einbringen sollten, anstatt sie alleine zu gucken oder so zu tun, als würde man keine Pornos ansehen.

Verbunden mit einer ehrlichen und aufrichtigen Diskussion kann diese Taktik durch eine gemeinsame Erfahrung Paare näher zusammen bringen, erklärt sie.

Aufklärung über Pornos ist wichtig

Und genau diese Ehrlichkeit sollte auch bei der Sexualerziehung angewendet werden, sagen Experten der HuffPost. Besonders da junge Menschen anfälliger seien, unrealistischen Darstellungen zu glauben, die ihre sexuellen Gewohnheiten für den Rest ihres Lebens prägen werden.

Moyle argumentiert, dass Sexualkunde in England momentan sehr unzureichend sei.

“Wenn wir nicht über den Unterschied von Pornografie und echten Sex aufklären, kann es passieren, dass wir unsere eigenen Einstellungen aufeinander übertragen, ohne es zu bemerken.”

*Einige Namen wurden geändert.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei der HuffPost UK und wurde von Martina Zink aus dem Englischen übersetzt.

(ame)

Dieser Artikel wurde verfasst von Sophie Gallagher

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