So unterschiedlich behandeln deutsche Ärzte

Die medizinischen Gründe für Rezepte und Operationen sollen in Deutschland einheitlich sein. Doch in Bayern verlieren Kinder achtmal häufiger ihre Mandeln, im Nordosten bekommen sie doppelt so oft Antibiotika wie in anderen Regionen.

Die Bertelsmann Stiftung lässt für ihren „Faktencheck Gesundheit“ regelmäßig auffällige regionale Unterschiede analysieren. Für Mandeloperationen ergab sich zum Beispiel, dass im Stadtkreis Schweinfurt in Bayern 109 von 10.000 Kindern operiert wurden – fast achtmal mehr als im Landkreis Sonneberg in Thüringen (14 von 10.000). Eine Analyse für Antibiotika ergab, dass Kinder im Nordosten Deutschlands solche Medikamente bis zu doppelt so häufig erhalten wie im Süden. Hyperaktive Jungen werden in Unterfranken viel öfter als behandlungswürdig eingestuft als im Rest der Republik. „Es gibt immer wieder Unterschiede, die erstaunen“, sagt Versorgungsforscher Gerd Glaeske von der Universität Bremen.

Antibiotika oft in ländlichen Gebieten

„Im Einzelfall lassen sich solche Unterschiede oft noch nicht genau erklären“, sagt Glaeske. „Es gibt vermutete Faktoren, aber kaum Beweise.“ Bekannt sei zum Beispiel, dass Allgemeinärzte Antibiotika im Schnitt häufiger ohne Bedarf – etwa bei einem Virusinfekt – verordnen als Kinderärzte. Noch geringer sei die Verschreibungsrate bei HNO-Ärzten.

Bei nicht eitrigen Mittelohrentzündungen, für die Antibiotika laut Leitlinien nur in Ausnahmefällen sinnvoll sind, verordneten demnach 33 Prozent der Hausärzte Antibiotika, 17 Prozent der Kindermediziner – aber nur neun Prozent der HNO-Ärzte. In ländlichen Regionen, wo Patienten vor allem den Hausarzt aufsuchen, würden deshalb eher mehr Antibiotika genommen, erklärt Glaeske.

ADHS-Diagnose häufig im Raum Würzburg

Die unterschiedliche Einschätzung von Ärzten wird auch bei Mandeloperationen als eine Hauptursache angenommen. Dem Bertelsmann-Faktencheck zufolge spielt zudem die Zahl der HNO-Kliniken in der Region eine Rolle: Kinder aus Kreisen mit mehreren großen Einrichtungen wurden häufiger operiert.

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Groß ist der Einfluss der Ärzte auch bei der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS). „Da gab es in den vergangenen Jahrzehnten bundesweit eine rasante Zunahme der Diagnosen und Arzneiverordnungen. Besonders auffällig ist der Raum Würzburg“, erklärt Thomas Grobe vom Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (AQUA). Bundesweit wurde 2011 rund 6,5 Prozent der zehn- bis zwölfjährigen Jungen ein ADHS-Präparat wie Ritalin verordnet – in Unterfranken waren es mit 13,3 Prozent mehr als doppelt soviel.

Fach-Spezialisten beeinflussen Schwerpunkte

Klar ist die Ursache dafür nicht – Hinweise gibt es aber. „Eine These ist, dass besonders engagierte Mediziner im Umfeld der Uniklinik Würzburg einen Anteil haben“, sagt Grobe. „Prominente Vertreter eines Fachs mit bestimmten Ansichten und Forschungsaktivitäten können die Sensibilität für ein Thema in einer Region steigern.“

ADHS-Medikamente würden von Kinder- und Jugendpsychiatern verordnet. Die Zahl entsprechender Spezialisten sei überschaubar, relativ wenige könnten insofern die Arzneiverordnungen in einer Region maßgeblich beeinflussen. Einfluss auf die Diagnose ADHS hätten auch Bildungsniveau und Alter der Eltern. „Kinder arbeitsloser Eltern sind häufiger betroffen“, sagt Grobe. „Und es gibt Hinweise darauf, dass Kinder jüngerer Eltern ein höheres Diagnose-Risiko haben.“ Dies erkläre aber nicht die regionalen Auffälligkeiten um Würzburg.

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