Ich stehe jeden Tag eine Stunde früher auf als nötig – das hat sich für mich verändert

Im Dschungelcamp ist er gerade das Gesprächsthema: Bastian Yotta und sein „Miracle Morning“. Erfunden hat ihn der selbsternannte Millionär natürlich nicht, sondern der US-Bestsellerautor Hal Elrod. Unser Autor hat den Miracle Morning bereits ausprobiert.

Eigentlich bin ich ganz froh, ein Gehirn zu haben. Gerade jetzt steht es mir aber im Weg. Beim Aufstehen. So ein Gehirn ist darauf programmiert, dass sein Besitzer seine Komfortzone nicht verlässt, um böse Überraschungen zu vermeiden. Meine Komfortzone besteht aus einem Sieben-Zonen-Taschenfederkern für mehr Entspannung, einer vitalisierenden Kernabdeckung aus Polyurethanschaum mit Waffelschnitt für angenehmes Liegen und 365 Federn für eine verbesserte Druckentlastung.

Ich nehme es deshalb so genau, damit gleich klar wird, wie viel mir Schlaf bedeutet. Als mein Wecker also um sechs Uhr klingelt, eine Stunde früher als sonst, melden sich zwei Stimmen in meinem Kopf. Schlechte Idee, sagt die eine. Ganz schlechte, die andere. Beide gähnen. Ich gähne auch – und versuche, nicht auf sie zu hören. Der Grund, warum mein Wecker nicht erst um sieben Uhr klingelte, ist ein einziger Satz, ich bin neulich im Klappentext eines Buchs auf ihn gestoßen: Steh auf und nimm dein Leben in die Hand.

Das Buch heißt „Miracle Morning. Die Stunde, die alles verändert“, geschrieben vom amerikanischen Bestsellerautor Hal Elrod. Ich habe es gekauft und gelesen, und es erinnert mich an eine Dauerwerbesendung aus dem US-Fernsehen. Dennoch interessiert er mich, dieser Miracle Morning. Und das bessere Leben, das Elrod verspricht. Denn es gibt zwei Fragen, die mich schon lange bewegen: Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Und: Mache ich jeden Tag das Beste daraus? Meine Antwort lautet wenigstens einmal Nein. Wodurch sich für mich zwei weitere Fragen stellen: Wieso ist das so? Und vor allem: Was kann ich dagegen tun?

Morgenmensch werden? Lieber morgen.

Vor anderthalb Jahren hat mich meine Frau verlassen. Seit circa sechs Monaten habe ich keinen festen Job mehr. Ich habe Netflix für mich entdeckt, Selbsthilfegruppen und Glückskekse. In einem stand: Mut bedeutet, Angst zu haben und trotzdem weiterzumachen. An dem Keks hatte ich lange zu knabbern, der Zettel hängt seitdem an meinem Badezimmerspiegel. Weitermachen, das bedeutet für mich auch, offen zu sein für Dinge, die ich vorher nie in Erwägung gezogen hätte. Für Elrods Miracle Morning beispielsweise.

Hal Elrod, der vor Jahren durch einige Schicksalsschläge an einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen war, schreibt in seinem Buch, dass er durch Zufall die erste Stunde des Tages für sich entdeckte. Seitdem stellt er sich seinen Wecker jeden Tag 60 Minuten früher und macht in dieser Zeit etwas nur für sich: Sport treiben, ein Buch lesen, meditieren. Seit­dem habe Elrod mehr Energie, sei konzentrierter und fokus­sierter, er fühle sich glücklich, motiviert, beflügelt. Wenn das mal so einfach ist.

Bisher bin ich ein Morgenmensch, weil ich Dinge auf morgen verschiebe. Als Prokrastinierer schaffe ich es nicht nur nicht, früher aufzustehen, ich bleibe bei den ersten Versuchen sogar länger als sonst im Bett. Es fällt mir schwer, hochzukommen. Vor allem wenn meine Tochter neben mir liegt und weiterschläft – aufstehen, bevor eine Dreijährige wach wird, das ist wirklich fies.

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Erst hochfahren, dann loslegen

Immerhin, auch Elrod fiel es anfangs nicht leicht, aber er hat eine hilfreiche Methode für sich gefunden. Er vergleicht das Aufstehen mit Sport: „Viele müssen sich ins Fitnessstudio oder auf die Laufstrecke schleppen, aber alle lieben das Gefühl, es geschafft zu haben.“ So einfach lässt sich mein Gehirn nicht überlisten. Sobald ich länger als fünf Sekunden über etwas nachdenke, übernimmt es Regie und entscheidet immer, immer, immer zugunsten meiner Komfortzone. Ich benötige eine radikale Methode.

Wenn mein Wecker also um null sechshundert klingelt, springe ich sofort aus dem Bett, als wäre meine Kaltschaummatratze ein Nagelbrett. Nicht denken, bewegen muss ich mich, ins Wohnzimmer rennen, eins, zwo, drei, vier, und Liegestütze machen, acht, neun, zehn, und dann ein paar Hampelmänner hinterher. Danach ist mein Kreislauf so weit hochgefahren, dass der Widerstand gegen das Wachwerden gebrochen ist.

Elrod empfiehlt sechs Gewohnheiten für den Morgen, die er als „Life-S.A.V.E.R.S.“ bezeichnet. Methoden, die einen eine Mischung aus Entspannung und Aktivität erleben lassen sollen. Das „S“ steht für Silence, also Stille, der mit Atem­übungen und Meditation begegnet wird. Gefolgt von „A“ – Affirmation: sich selbst positiv zureden, ermutigen, bestätigen und sein Ziel in Worte fassen. „V“ – Visualisierung: sich Bilder seines Ziels im Kopf oder mithilfe von Mood­boards und Zeichnungen erschaffen. „E“ – Exercises: Bewe­gung durch Yoga, Pilates, Joggen oder Sit-ups. „R“ – Reading: etwas Inspirierendes lesen. „S“ – Scribing: seine Pläne, Gedanken und Ideen aufschreiben.

Alle zehn Minuten etwas anderes zu tun ist mir zu anstrengend, deshalb passe ich Elrods Programm an. Es geht schließlich darum, etwas für mich selbst zu tun. An den Wochentagen, an denen meine Tochter nicht bei mir übernachtet, es sind drei, gehe ich ins Fitnessstudio und relaxe danach in der Sauna. Etwas, das ich abends selten auf die Reihe bekommen habe. Nie, wenn ich ehrlich bin. Bereits nach dem ersten Training fühle ich mich besser und genieße die Spannung und das Brennen in den Muskeln. Auf dem Weg zum Sport rede ich mir selbst positiv zu und wiederhole den Glückskeksspruch, der zu meinem Mantra geworden ist. Ein wenig albern fühlt sich das schon an, aber mich hört ja niemand.

Ein gutes Gefühl ist der Anfang

Die anderen Tage der Woche beginne ich meist mit Entspan­nungs- und Dehnübungen, nicht länger als 15 Minuten. An­schließend sitze ich am Piano und verknote mir die Finger beim Versuch, Akkorde zu spielen. Seit einiger Zeit nehme ich Unterricht bei meinem Nachbarn Georgi, der Berufsmusiker ist und mir Hausaufgaben gegeben hat: Wenigstens 15 Minu­ten pro Tag soll ich üben – die meisten Abende war ich dafür zu faul. Aber morgens kommt es vor, dass ich erst aufhöre, wenn meine Tochter wach wird. Ein toller Start, ich habe das Gefühl, bereits etwas für mich getan zu haben, bevor der eigentliche Tag beginnt. Das motiviert und begleitet mich die nächsten Stunden positiv.

Die Kehrseite ist, dass ich schon in der ersten Woche abends um 22 Uhr müde werde. Klar, eine Stunde fehlt mir schließ­lich. Es gefällt mir nicht, so früh ins Bett zu gehen, aber ich tausche damit eine unproduktive Stunde am Abend durch eine produktive am Morgen. Ein guter Deal, also ziehe ich auch die zweite Woche durch. Den einen Morgen setze ich mich in den großen Ohrensessel, in dem ich seit der Tren­nung nicht mehr saß, aber jetzt wieder, und lese in einem der Romane, die lange unangetastet auf meinem Nachtisch lagen: „Hier bin ich“ von Jonathan Safran Foer. Ein Satz geht mir nicht mehr aus dem Kopf, weil er mein Leben in diesem Moment wunderbar beschreibt: Die Suche nach dem Glück ist die Flucht vor der Zufriedenheit.

Den anderen Morgen sitze ich am Schreibtisch und notiere mir Gedanken und Ideen, gute Ideen, die ich vorher nicht hatte: für ein Kinderbuch, für meine berufliche Entwicklung und für einen Blog, für den ich mir sofort die Domain siche­re. Es ist erstaunlich, aber ich habe mehr Elan, bin geistig beweglicher und fühle mich nicht mehr wie ein Sitzsack.

Es geht nicht um Entweder oder

Aber es gibt Rückschläge, natürlich gibt es die. Den ersten, als ich mit meinen Freunden beim Griechen versacke. Den zweiten ohne Grund. Beide Male komme ich nicht früher aus dem Bett. Anfangs bin ich enttäuscht, so wie ich es mir bei einem Raucher vorstelle, wenn er es geschafft hat, zwei Wochen keine Zigarette anzufassen, dann aber einen schwachen Moment hat. Aber was heißt schon schwacher Moment? Was heißt schon Rückschlag? Deshalb wird das zuvor Erreichte nicht weniger wert. Es geht nicht um entweder oder, nicht um Schwarz oder Weiß. Es geht darum, dir selbst Gutes zu tun, so oft du es schaffst. Es geht darum, wie du an Dinge herangehst, sie wahrnimmst.

Früh aufstehen macht wach

Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Ja. Mache ich jeden Tag das Beste daraus? Nein, nicht jeden. Aber häufiger als vorher. Ich habe nicht mehr so oft das Gefühl, Zeit zu ver­geuden. Mich hat der Miracle Morning tatsächlich inspiriert, sprichwörtlich wacher gemacht. Das fühlt sich toll an. Ich würde aber nicht behaupten, dass die Stunde am Morgen mein Leben revolutioniert oder für immer verändert hat. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Sicher ist für mich nur, dass ich auch mal wieder ausschlafen werde. Auch das fühlt sich toll an. Und an den anderen Tagen muss ich nicht jeden Morgen eine Stunde früher raus, um mich besser zu fühlen. Auch eine halbe Stunde ist gut, eine Viertelstunde oder auch nur fünf Minuten, in denen ich im Bademantel aus dem Fenster schaue und den kleinen Vorsprung genieße.

Der Text stammte aus dem Magazin „Cord“.

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