Fit und schlank dank Fitnesstrackern: Was "Wearables" leisten können

Bin ich heute schon 10.000 Schritte gelaufen? Warum bloß habe ich schon wieder die Rolltreppe am Bahnhof genommen? Soll ich noch zum Sport gehen? Jeder hört irgendwann die Stimme im Kopf, die daran erinnert: Eigentlich könnte ich mehr für die Gesundheit tun. Da scheinen die schicken „Wearables“, tragbare digitale Trainings- und Messgeräte, wie gerufen zu kommen. Schon für deutlich unter 100 Euro sind sie zu haben.

Die schlichteren Modelle messen den Puls, zählen Schritte und zeichnen die Schlafphasen auf. Intelligentere Smartwatches erinnern zudem daran, wann es Zeit wird, sich zu bewegen, zu trainieren oder auszuruhen. Viele, die sich etwa eine Apple Watch oder ein Fitbit-Armband kaufen, hoffen, damit besonders sportlich zu wirken. Aber machen die Geräte sie auch messbar gesünder, verlängern sie gar das Leben?

Thomas Teyke, Gesundheitsökonom

Thomas Teyke müsste das wissen. Er lehrt als Gesundheitsökonom an der Hochschule Fresenius in Köln. Im Büro des drahtigen Endfünfzigers hängen Marathon-Medaillen. „Ich bin Geräte-frei. Ich brauche niemanden, der mir sagt: Du bist 10.000 Schritte gegangen. Heute Morgen bin ich mit meinem Hund durch den Wald gejoggt, und mittlerweile bin ich bereits bei 15.000 Schritten.“ Der sportliche Professor hat seine Studenten aber schon mehrfach prüfen lassen, welchen Nutzen Wearables für andere haben könnten – und sagt, dass sie durchaus sinnvoll seien.

Gesundheitsbewusste nutzen eher Wearables

In der jüngsten Untersuchung wurden Nutzer und Nicht-Nutzer von Fitnes­s­armbändern miteinander verglichen. Das ­Ergebnis bestätigte den internationalen ­Forschungstrend: Wer Wearables trägt, ist besonders gesundheitsbewusst, sportlich aktiv, achtet auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Und hat den Eindruck, von seinen Accessoires zu profitieren. „Die Nutzer geben mehrheitlich an, dass sich ihr Gesundheitsverhalten deutlich verbessert hat“, heißt es in der Fresenius-Studie.

Die mitforschenden Studenten haben ­allesamt ihre privaten Erfahrungen mit den digitalen Helfern gemacht. Yannick Michels, 25, studiert Gesundheitsökonomie und arbeitet bei einem Apothekensoftware-Start-up: „Ich habe eine Apple Watch der 3. Generation, die ich täglich nutze. Die vibriert oder leuchtet, und dann geht’s ab. Die Extra-Motivation hilft, den  Antrieb zu finden, doch noch mal loszugehen.“ Kim Stephan, 21, arbeitet neben dem Studium in einem zahnmedizinischen Versorgungszentrum und tanzt bei der Kölner Karnevalstruppe „Fidele Fordler“: „Ich trage mein Fitbit nicht dauerhaft. Mich hat das immer ein bisschen wahnsinnig gemacht, wenn man sieht, man hat dies und das nicht getan. Dann habe ich gedacht: Lass mich in Ruhe, ich laufe jetzt keine 3000 Schritte mehr, ich sitze jetzt vorm Fernseher.“ Wer wie die Studentin ohnehin dreimal die ­Woche zum Tanztraining geht, kann die Kommandos der digitalen Drill Sergeants auch mal guten Gewissens ignorieren.

Saskia Frensch, 21, studiert Sportmanagement und ist Fußballerin beim 1. FC Köln

Diese Freiheit will sich Saskia Frensch, 21, nicht nehmen. Sie studiert Sportmanagement und ist Fußballerin und spielt für die zweite Mannschaft des 1. FC Köln in der Regionalliga und hat schon für die zweite von Hoffenheim in der 2. Bundesliga gespielt: „Ich benutze meine Polar M400 vor allem zum Tracking beim Jogging und beim Krafttraining, um dort in bestimmten Herzfrequenzbereichen zu trainieren. Schon seit ich 16 bin, arbeite ich mit Trackern. Vor allem in meiner Rehapause nach einem Kreuzbandinnenbandriss habe ich sie intensiv genutzt.“ Die beeindruckendste Erfolgsstory aber hat Kim Stephan zu erzählen: „Mein bester Freund hatte mit 19 Jahren Gewichtsprobleme. Er hat auch mithilfe eines Trackers innerhalb von einem halben Jahr fast 20 Kilo verloren. Sein Gewicht hat er gehalten, und er geht jetzt regelmäßig laufen.“

Am Handgelenk wird der Puls nur ungenau erfasst

Wer Technik typgerecht einsetzt, kann profitieren – allerdings, sagt Dominik Sethe, Wissenschaftler an der Hochschule Fresenius, ­seien die Produkte für den breiten Markt keinesfalls mit sportmedizinischen Präzisionsinstrumenten zu vergleichen: „Man braucht nur drei oder vier verschiedene Tracker zu vergleichen und wird erleben, dass sie jeweils eine andere Herzfrequenz anzeigen. Mir ist das beim Marathon-Training passiert, dass ein Tracker 140 bis 150 angezeigt hat – und die Polar-Uhr mit Brustgurt war 50 Pulsschläge da drunter.“ Noch immer ist die elektrische Pulsmessung an der Brust wesentlich genauer als die modischen, aber arg geschüttelten ­Sensoren am Handgelenk, die mit Leuchtdioden die Pulswelle in den Blutgefäßen erkennen. Manche Wearables erlauben daher die Funk-Kopplung mit zusätzlichen Sensoren.

Aber in Zeiten von Big Data ist die Frage nach der Präzision nicht die einzige, die sich Nutzer von Fitness-Armändern stellen. Denn Wearables erfahren allerlei Intimes über uns. Obwohl bei Kim Stephan das Interesse an den Möglichkeiten der Technik größer ist als die Angst um ihre Privatsphäre, wünscht sie sich klare Regeln: „Medizinische Daten sollten nicht bei Konzernen gespeichert werden, sondern bei einer medizinischen Datenbank, auf die nur Ärzte zugreifen können. Die Arztpraxis hat sowieso schon meine Daten. Und für den Umgang damit gibt es strenge Schutzbestimmungen.“

Die real existierende Datenwirtschaft ist allerdings ­weitgehend unreguliert und ­intransparent. Es gibt Unmengen von Fitness-, Gesundheits- und Ernährungs-Apps. Was mit den Daten passiert, die sie sammeln, ist oft kaum durchschaubar. Die Internetriesen Google (Websuche und Android-Smartphones) und Apple (iPhone, Apple Watch) horten bereits gigantische Mengen medizinisch relevanter Daten.

Und doch freuen sich die Sportwissenschaftler über jeden neuen Nutzer digitaler Trainingshelfer – die Vorteile, so sind sie überzeugt, überwiegen. Kopfzerbrechen bereitet ihnen allerdings, dass es schwer ist, die richtige Klientel für Fitness und Sport zu begeistern. „Es sind oft die falschen Leute, die digitale Hilfsmittel anwenden – die, die es eigentlich nicht nötig haben“, sagt Gesundheitsökonom Teyke.

Wie bringt man Nutzer dazu, dranzubleiben?

Wie schafft man es also, die Wearables an die richtigen Nutzer zu bringen? Einige Krankenkassen schenken Mitgliedern Tracker als Anreiz für mehr Bewegung. Aber bloß Geräte zu verteilen, sagt  Dominik Sethe, gleiche einem Strohfeuer. Die smarte Technik müsse noch smarter werden, psychologischer, denn: „Nur wenn man Verhaltensänderungs-Techniken einbaut, ist sie nachhaltig wirksam.“ Die Frage ist: Wie bringt man Menschen dazu dranzubleiben?

Lars Donath, Sportwissenschaftler

„Irgendwann fällt man in den Autopiloten zurück, man braucht eine verbindliche Begleitung“, sagt auch der Trainingswissenschaftler Lars Donath, 38, von der Deutschen Sporthochschule Köln. In der von ihm betreuten „Movingcall“-Studie in der Schweiz setzt er auf Coachings: „Wir machten per Skype eine Anamnese: Wie ist ihre familiäre und berufliche Situation? Haben Sie Sport gemacht?“ Die erste Gruppe bekommt eine schriftliche Empfehlung. In der zweiten Variante werden telefonische Coachings durchgeführt und in der dritten Variante wird das Coaching durch SMS ergänzt.  Ziel der Studie ist, die Teilnehmer zu 150 Minuten moderater Aktivität im Monat zu motivieren. „Wir versuchen, ohne viel Aufwand die Freude an der Bewegung im Alltag zu etablieren. Hat man Gefallen daran gefunden, setzt man sich später vielleicht das Ziel, einen Volkslauf abzuschließen.“ Erste Ergebnisse seien vielversprechend.

„Bewegung, Schlaf, Ernährung, Stress und Arbeit sind entscheidend“, sagt Donath. Zu diesen fünf Feldern müssten Daten ­gesammelt und in individuelle Verhaltenstipps umgesetzt werden – digitales Personal Training statt bloßem Messen.

Denn das Grundproblem bei allen gesundheitsfördernden Aktivitäten liegt auch im Digitalzeitalter noch im evolutionär geformten Betriebssystem des Homo sapiens: Es fällt uns Menschen grundsätzlich schwer, heute etwas zu tun, das sich erst in ferner Zukunft auszahlen wird.

Wer grübelt schon gern darüber, wie er sich in 20, 30 oder 40 Jahren körperlich und geistig fühlen wird? „Ich weiß, dass Rauchen, Trinken und Stress ungesund sind, aber man denkt, dass der Kelch an mir schon vorbeigehen wird“, so Donath. Wer eine Tüte Chips leer knabbert, fühlt sich nicht gleich ungesünder und unzufriedener. So, wie negative Effekte zeitverzögert eintreten, kommen auch Erfolgserlebnisse nicht sofort.

Ein psychologischer Trick kann die Motivation erhöhen

Um die Psyche auszutricksen, er­forschen US-Psychologen das ­Konzept des zukünftigen Selbst („Future Self“), erklärt Donath. Die Idee: Das Verhalten im Jetzt wird mit seinen ­Effekten in der Zukunft verknüpft und anschaulich gemacht. Für eine Untersuchung wurden Studienteilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Alle bekamen die Aufgabe, einen Brief an ihr zukünftiges Ich zu schreiben – für die einen war es das Ich von in drei Monaten, für die anderen das Ich von in 20 Jahren. Die letztere Gruppe trainierte danach deutlich länger: Die Konfrontation mit dem gereiften Selbst kann Menschen offenbar zu einem gesünderen Lebensstil anregen.

Donath kann sich deshalb Apps vorstellen, in denen ein Avatar den Nutzer in seiner zukünftigen Verfassung verkörpert. „Wer sich nicht täglich mit seinem eigenen Alterungsprozess konfrontieren möchte, könnte sich aber auch einmal im Jahr einen Brief von seinem künftigen Selbst schicken lassen, etwa zu Weihnachten oder zum Geburtstag“, sagt der Forscher. Mit derartigen Tricks könnte die  zweite Lebenshälfte leichter zur „besseren Hälfte“ werden.


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